Neue kanadische Vize-Premierministerin Chrystia Freeland Premierminister Justin Trudeau
AP/The Canadian Press/Sean Kilpatrick
Neues Kabinett in Kanada

Risikojob für Trudeaus härteste Rivalin

Chrystia Freeland ist neben Justin Trudeau zum Gesicht der letzten kanadischen Regierung geworden. In ihrer Rolle als Außenministerin lief sie insbesondere im Match gegen die USA zur Hochform auf, sie bot US-Präsident Donald Trump erfolgreich die Stirn – und stellte dabei Kanadas Premier in den Schatten. Ein Monat nach der Wahl hievte Trudeau Freeland nun auf einen Hochrisikoposten – jetzt kann sie viel gewinnen, aber auch krachend scheitern.

Denn das schillernde Amt als Außenministerin wird die neue Vizepremierministerin Freeland nun gegen einen Job einzutauschen haben, der viel innerkanadische Spannung mit sich bringt. Im zuletzt vorgestellten Kabinett wird sie für die Verständigung zwischen der Regierung und den einzelnen Regionalregierungen der kanadischen Provinzen zuständig sein. Das ist brisant, denn damit muss sich Freeland mit Wut und Entfremdung im Westen des Landes auseinandersetzen.

In den Bundestaaten Manitoba, Saskatchewan und insbesondere im ölreichen Alberta wurden die Liberalen bei der Wahl brutal abgestraft – die Konservativen fuhren Erdrutschsiege ein. Der Absturz der Liberalen Partei ist laut Experten ein Signal der Wählerinnen und Wähler, die die dort bedeutsame Energiewirtschaft von der Regierung nicht ausreichend unterstützt sahen. Überhaupt gelang es nicht, zwischen Energiepolitik für die rohstoffreichen Gegenden und Ansätzen zu ambitionierter Klimapolitik einen Bogen zu spannen.

Neue kanadische Vize-Premierministerin Chrystia Freeland Premierminister Justin Trudeau
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Trudeau und Freeland – für die führenden Liberalen geht es in der anstehenden Regierungsperiode um den Erhalt der Macht

Für Machterhalt notwendig

Es gibt noch eine weitere Front: In der Provinz Quebec triumphierte die separatistische Partei Bloc Quebecois. Insbesondere in Bezug auf Immigration, Säkularismus und in Steuerfragen steht man dort mit der Regierung in Ottawa auf Kriegsfuß. Das zeigt ansatzweise, wie heikel bzw. sensibel Freelands neuer Job ist. Insbesondere weil die Liberalen aufgrund der jüngsten Stimmenverluste eine Minderheitsregierung bilden mussten, wird neu zu schaffendes Einverständnis mit den Regionalregierungen für den Machterhalt der Partei entscheidend sein.

Freeland wird sich also jedenfalls auf hartes Terrain gegeben müssen. „Chrystia Freeland wird für die nationale Einheit sehr positiv sein“, versprach Trudeau seiner Partei und den Landsleuten. Anlass zur Hoffnung aus liberaler Sicht besteht auch in ihrer Herkunft – sie stammt aus Alberta. Ob das reicht, ist fraglich, schließlich fühlen sich die Menschen dort übervorteilt und haben das Gefühl, Kanada mehr zu geben, als sie im Gegenzug dafür erhalten.

„Alberta hat keine Lust auf Kompromisse“

Freeland erklärte bei ihrer Vereidigung, ihren neuen Job nicht in Form einer „Werbebotschafterin“ ausüben zu wollen. Politische Beobachter äußerten sich unterschiedlich: „Damit Freeland erfolgreich sein kann, muss Kompromissbereitschaft auf der anderen Seite vorhanden sein – derzeit hat Alberta aber keine Lust auf Kompromisse“, sagte Stephen Carter der „Financial Times“ („FT“) unlängst. Er war Stabschef unter der früheren Premierministerin von Alberta, Alison Redford.

Andere wiederum erkennen in der Ernennung Freelands eine Strategie Trudeaus – nämlich seine derzeit größte Rivalin und mögliche Nachfolgerin in der Partei mit einer scheinbar unlösbaren Aufgabe zu betrauen und so zumindest in Schach zu halten. Der Grad des Erfolgs in diesem Job werde über die Zukunft Freelands entscheiden, wird Peter Loewen, Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Toronto, zitiert.

Die frühere Premierministerin von British Columbia, Christy Clark, stärkt diese These: „Wenn Sie jemandem einen schrecklichen Job geben und ihn zu Ihrem Stellvertreter machen, bedeutet das normalerweise, dass Sie ihn als potenziellen Gegner fürchten“, sagte sie gegenüber der „FT“. Und nach Ansicht der Konservativen Partei handelt es sich bei der Bestellung Freelands um eine „PR-Kampagne“.

„Beste verfügbare Option“

Andere orten wiederum einen gekonnten Schachzug Trudeaus. Jason Lietaer, ein konservativer Stratege, sagte der „FT“, die Ernennung Freelands sei Trudeaus „beste verfügbare Option“, um der mangelnden Vertretung des Westens in der liberalen Regierung entgegenzutreten. „Sie bringt Glaubwürdigkeit und hat einen guten Draht zum Premierminister“, so Lietaer. Politologe Loewen sieht Trudeau und Freeland in ihrem Job „immer besser“ werden – die Spannung hinsichtlich des künftigen Parteivorsitzes werde steigen.

Zwar beträgt die Dauer einer Legislaturperiode in Kanada vier Jahre, doch dauern Minderheitsregierungen im Schnitt nur zwei Jahre. Das jüngste Beispiel davon war die Regierung des konservativen Trudeau-Vorgängers und Premierministers Stephen Harper. Er regierte nur insgesamt zwei Jahre und 142 Tage. „Ich würde schätzen, dass die Kanadier im Herbst 2021 oder Frühling 2022 zurück in die Wahllokale gehen“, meinte Andrew Chater, Professor für Politikwissenschaft am Brescia University College in Ontario.

CETA verhandelt

Freeland war vor ihrer Bestellung zur Außenministerin die zuständige Ministerin für den internationalen Handel. In dieser Rolle war sie verantwortlich dafür, das Freihandelsabkommen CETA zwischen Kanada und der EU in trockene Tücher zu bekommen. Inzwischen steht die Vereinbarung, ist in Teilen umgesetzt und muss von einer Reihe von EU-Staaten noch beschlossen werden. Doch der Abschluss gilt als Erfolg und war nicht selbstverständlich.

Trudeau selbst hatte Freeland 2013 überzeugt, in die Politik zu gehen. Damals lebte sie mit ihrer Familie noch in New York, sie arbeitete als Journalistin in einer Führungsposition für Thomson Reuters nach Stationen bei der „Financial Times“ in Moskau und der „Globe and Mail“ in Toronto – gut zwei Jahre später war sie bereits Ministerin. Die Feuerprobe in der Rolle als Sprachrohr zwischen Regierung und den einzelnen Regionalregierungen könnte sie nun nach ganz oben bringen.