Ein Teddybär mit einer Patientin in einem Pflegewohnheim
ORF.at/Christian Öser
Studien

Viele offene Baustellen bei Pflege

Sozialministerin Brigitte Zarfl hat am Montag zwei Studien zur Zukunft der Pflege in Österreich präsentiert. Unter anderem wurden darin die Aspekte der zukünftigen Finanzierung der Langzeitpflege und des Pflegepersonalbedarfs beleuchtet. Die Ergebnisse sollen der kommenden Regierung bzw. in den laufenden Koalitionsverhandlungen als Grundlage dienen, denn es gibt viele offene Baustellen.

Die Studie des Instituts für höhere Studien (IHS) untersuchte die Pflegefinanzierung im europäischen Ländervergleich. Dafür wurden die Modelle von Dänemark, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Schweden und Spanien mit dem hiesigen hinsichtlich Systemcharakteristika, Mittelaufbringung und jüngsten Reformen gegenübergestellt.

Dabei habe sich etwa gezeigt, dass die österreichische Regelung der Mittelaufbringung mittels Steuerfinanzierung ohne Zweckbindung durchaus im internationalen Trend liege, so IHS-Chef Martin Kocher. Österreich gibt derzeit zwischen 1,3 bis 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Pflege aus. Die Studie kommt ferner zum Ergebnis, dass eine Finanzierung ohne Einbindung der Sozialversicherung bei einem kontinentalen Wohlfahrtsstaatsmodell eher unüblich ist.

Suche nach der „optimalen Lösung“

Kocher betonte aber dennoch, dass eine Umstellung auf ein Modell, das primär über Sozialversicherungsbeiträge finanziert wird, „nicht die optimale Lösung“ sei, da es sich negativ auf die Lohn- und Abgabenquote auswirken würde. Auch seien derartige Modelle stärker von konjunkturell bedingten Entwicklungen des Arbeitsmarktes abhängig. Die ÖVP hatte im vergangenen Wahlkampf ein derartiges Modell aufs Tapet gebracht.

Sollte ein solches aber dennoch angedacht werden, müssten zwei Punkte beachtet werden, so IHS-Studienautorin Monika Riedel. Und zwar müsste zum einen verankert werden, welche konkreten Leistungen in die Zuständigkeit der Sozialversicherung übertragen werden. Derzeit liege die Kompetenz für Geldleistungen beim Bund, jene für Sachleistungen bei den Ländern. Zum anderen sollten neben dem Arbeitsmarkteinkommen auch andere Einkommensarten wie etwa Kapitalerträge – wie im internationalen Vergleich durchaus üblich – einbezogen werden. Damit würden etwaige negative Arbeitsmarkteffekte abgefedert werden.

Grafik zum Pflegepersonalbedarf
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Sozialministerium

Zusätzlicher Bedarf an 75.700 Pflegekräften prognostiziert

Neben der Frage der Finanzierbarkeit wird sich mittel- bis langfristig auch das Problem eines steigenden Bedarfs an Betreuungspersonal ergeben. Eine Studie von Gesundheit Österreich geht bis 2030 hierzulande von einem zusätzlichen Bedarf von 75.700 Kräften aus, so Studienautor Herwig Ostermann. Davon sind laut Prognose 41.800 diplomierte Pflegekräfte, 25.200 im Bereich Pflegeassistenz und 8.700 Heimhilfen.

Da rund ein Drittel der Pflege- und Betreuungspersonen über 50 Jahre alt ist, ergibt sich allein aufgrund von Pensionierungen ein Bedarf von 41.500, die restlichen 34.200 sind auf den steigenden Zusatzbedarf aufgrund demografischer Faktoren zurückzuführen.

Ministerin: Braucht „Bündel an Aktivitäten“

Die Studie geht von einem jährlich zu deckenden Jahresbedarf an Pflegefachkräften zwischen 3.900 und 6.700 Personen pro Jahr auf. Spätestens ab 2024 könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Bedarf mit Absolventinnen und Absolventen gedeckt werden könne, so Ostermann. Daher müssten schon jetzt Maßnahmen ergriffen werden.

Studien legen Baustellen bei Pflege offen

Das Sozialministerium hat jetzt zwei umfangreiche Studien zur Zukunft der Pflege präsentiert. Sie sollen der nächsten Regierung als Grundlage für Reformen dienen.

Geht es nach der Sozialministerin, braucht es ein „Bündel an Aktivitäten“. Es müssten verstärkt Initiativen gesetzt werden, um Menschen für diese Berufe zu gewinnen. Gleichzeitig seien Maßnahmen nötig, um das Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass diese möglichst lange und gesund im Beruf gehalten werden können.

SPÖ und NEOS fordern rasches Handeln

Reaktionen kamen aus der Politik und vonseiten der Arbeitnehmerinnenvertretungen. Die SPÖ sehe ihr Pflegemodell durch die neuen Studien bestätigt, so SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch in einer Aussendung. „Von den WissenschafterInnen wird die von der ÖVP geforderte Pflegeversicherung ganz klar abgelehnt“, heißt es in der Aussendung weiter. „Auch wir wollen keinesfalls, dass die Menschen mit einer zusätzlichen Pflegeversicherung belastet werden“, so Muchitsch. Der Staat habe genug Geld, um die Pflege solidarisch und mit Steuermitteln zu finanzieren.

NEOS sieht sich durch die präsentierten Studien ebenfalls bestätigt. Alle führenden Expertinnen und Experten seien sich einig: In Sachen Pflege auf Prävention zu setzen sei das Um und Auf, damit die Menschen so lang wie möglich ein gesundes, selbstbestimmtes Leben verbringen können, so NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker. Er appellierte an die künftige Bundesregierung, „schleunigst die Pflegereform anzugehen“, aber auch an Sozialministerin Zarfl, „hier die Weichen zu stellen“, so Loacker in einer Aussendung am Montag.

Die Wirtschaftskammer (WK) mahnte am Montag mit Blick auf die zwei Studien ebenfalls eine Pflegereform als „dringend nötig“ ein. Im Hinblick auf den bevorstehenden Mangel an Pflegepersonal verlangte WK-Generalsekretär Karlheinz Kopf eine höhere Durchlässigkeit in Pflegeberufen. Zudem müsse dieser Bereich „attraktiver“ gemacht werden, so Kopf. Ferner werde wichtig sein, den Grundsatz „daheim vor stationär“ zu forcieren, denn das entspreche dem Wunsch der Betroffenen.

Gewerkschaft: „Gerechter Beitrag der Ultrareichen“

Für die Präsidentin der Arbeiterkammer (AK), Renate Anderl, bestätigen die Studien erneut ihre Forderung nach raschem Handeln. „Der steigende Handlungsdruck angesichts der drohenden Pflegemisere lässt ein weiteres Hinauszögern nicht mehr zu“, so Anderl in einer Aussendung am Montag. Etwa müssten die Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen verbessert und der Arbeitsdruck reduziert werden. Hinsichtlich der Finanzierbarkeit der Pflege setzt Anderl auf ein steuerfinanziertes System. Zudem müsse ein langfristig tragfähiges Finanzierungssystem „breiter aufgestellt sein“. Diesbezüglich spricht sich die AK-Präsidentin für eine Steuer auf große Vermögen und Erbschaften aus.

Auch die Vorsitzende der GPA-djp, Barbara Teiber, fordert die Besteuerung großer Vermögen für die Mitfinanzierung der Pflege: „Die Pflegefinanzierung ist eine gesellschaftliche Herausforderung, zu deren Bewältigung alle etwas beisteuern sollten. Es braucht auch einen gerechten Beitrag der Ultrareichen.“

Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerks Österreich, begrüßte die im Auftrag der vorigen Bundesregierung durchgeführten Studien. Schließlich sorgten sie mit validen Daten für eine realistische Einschätzung des Pflegesektors und seiner Perspektiven. „Nun sollten wir aber schleunigst ins Tun kommen. Besonders im Bereich des Personals läuft uns in Österreich die Zeit davon“, so Anselm. Die künftige Bundesregierung müsse daher die Prioritäten entsprechend setzen.