Kaffeehaus mit Pflanzen
Birgit Sterckx
Hype um Topfpflanzen

Espresso unterm Gummibaum

Wer sich in den letzten Jahren durch Soziale Netzwerke geklickt hat, der hat es nicht übersehen können: Die Topfpflanze ist (wieder) in, und ihrer Vermarktung sind keine Grenzen gesetzt. Ein neuer Trend ist es, den Kauf einer Zimmerpflanze mit dem Kaffeetrinken zu verbinden. Ein Konzept, das vom Pflanzenhype profitiert, wie ein Beispiel aus Brüssel zeigt.

Bummvoll trifft auf das kleine Cafe Gruun im Herzen der Stadt wohl am besten zu. Bummvoll nicht nur mit Menschen, sondern vor allem mit Pflanzen. Doch ist der grüne Dschungel nicht bloß Deko, man kann jede Pflanze und jeden Übertopf auch kaufen. Zu kaufen gibt es freilich auch Kaffee – das Heißgetränk, nicht die Pflanze.

Höchstwahrscheinlich ist das Kaffeetrinken im Topfpflanzendschungel kein Konzept, das in Brüssel erfunden wurde, wenn auch der genaue Ursprung unklar ist. Schließlich gibt es in der deutschen Bobo-Metropole Nummer eins, in Berlin, gleich mehrere Kaffeehäuser, in denen man Zimmerpflanzen kaufen kann, und auch in Amsterdam sowie London scheint das Geschäftsmodell aufzugehen. Doch wer ist überhaupt die Zielgruppe, und gibt es in Europas Städten nicht schon genug Kaffeehäuser?

„Die Idee ist, dass die Menschen sich Zeit nehmen“

In Brüssel sei die Auswahl an gutem Kaffee jedenfalls rar, meinte Lore Tiebout, Inhaberin, Verkäuferin und Barista von Gruun, zu ORF.at. „Brüssel hat wirklich nicht so viele gute Cafes“, so die junge Unternehmerin, die laut eigener Angaben zuvor weder Berufserfahrung in der Gastronomie noch im Gärtnern hatte. Der dürftigen Kaffeehaussituation in ihrer Stadt habe sie ein Ende setzen wollen. Und die Idee, auch Pflanzen zu verkaufen, sei einer persönlichen Leidenschaft entsprungen.

Kaffeehaus mit Pflanzen
Birgit Sterckx
Topfpflanzen sind in manchen Kaffeehäusern nicht nur mehr Deko

Wenn jemand eine Pflanze kaufen will, soll er oder sie das in gemütlicher Umgebung tun können, so Tiebouts Geschäftsmodell. „Die Idee ist, dass die Menschen sich Zeit nehmen, einen Kaffee trinken, sich umschauen und langsam entscheiden können.“ Die Pflanzen würden außerdem für zweierlei sorgen: „Sie sind meine Produkte, die ich verkaufe, aber auch meine Dekoration. So will ich eine angenehme Atmosphäre schaffen, und es ist nett, weil es im Cafe nie genau gleich aussieht.“

„Hi, habt ihr WLAN?“

In Werbung investiere sie nicht, sagte Tiebout, bisher sei alles ein Selbstläufer. Ein Selbstläufer, der sich für das Konzept der Pflanzencafes vor allem in der Onlinewelt abspielen dürfte: Unter einem Instagram-Foto von The Greens etwa, einem Pflanzencafe in Berlin, fragt eine Userin in den Kommentaren: „Hi, do you have WiFi?“ („Hi, habt ihr WLAN?“) Dass auch sie von den Fotos instagramaffiner Gäste auf Sozialen Netzwerken profitiere, dessen ist sich Tiebout bewusst, doch würden sie nur einen kleinen Teil der Gäste ausmachen, sagte sie.

„Zimmerpflanzen sind gerade ein Riesending auf Instagram. Vor allem zu Beginn war das sehr wichtig für mich“, erzählte die Entrepreneurin vom Start ihres Unternehmens vor eineinhalb Jahren. „Viele junge Menschen machen Fotos, das Grün macht sich gut auf Bildern.“ Sogar eine eigene Bezeichnung gibt es schon für Userinnen und User, die regelmäßig Fotos ihrer Zimmerpflanzen auf Sozialen Netzwerken posten: „Houseplant-Blogger“ und „Plantfluencer“.

Auf Instagram ist in der Tat nicht zu übersehen, dass Blumenstöcke seit ein paar Jahren ein Revival erleben – und zwar nicht Omas altvaterische Alpenveilchen, sondern vielmehr Sukkulenten in verschiedenen Grüntönen. „Sukkulenten sind sehr einfache Pflanzen, sie brauchen nicht viel Pflege“, sagte Tiebout zur Erklärung für den Trend. Doch gebe es auch andere Zimmerpflanzen, beispielsweise Philodendron, die genauso einfach zu pflegen seien und sich gut verkaufen würden. „Doch im Moment wird eigentlich jede Pflanze gehypt“, so die Einschätzung der Fachfrau.

Biedermeier-Revival?

Zwar gibt es Topfpflanzen schon seit über 2.500 Jahren, doch etablierten sie sich insbesondere ab der Zeit des Biedermeiers. Nicht nur wurden im Biedermeier Blumentische zu einem essenziellen Bestandteil der Salons, als typisch galten sozialpolitisch gesehen auch die Flucht ins Idyll und ins Private – Merkmale, die sich unter jungen Menschen heutzutage beobachten ließen, glaubt man einigen Trendforscherinnen und -forschern.

Für Deutschland erhob etwa die Shell-Jugendstudie 2019, dass 26 Prozent der Zwölf- bis 25-Jährigen „Nichts tun und chillen“ als häufigste Tätigkeit in ihrer Freizeit ansehen. Wirklich repräsentative Studien, wie oft junge Menschen das Haus verlassen, gibt es allerdings keine. Doch scheinen Themen wie „Self Care“ und „Self Love“, also die Fähigkeit, sich seine mentale, physische und emotionale Gesundheit zu bewahren, im digitalen Zeitalter immer wichtiger zu werden.

Das zeigen Millionen Postings auf Social-Media-Plattformen, in denen junge Menschen über die Verbindung zwischen ihrem eigenen Leben, der Umwelt und dem Konsum posten. Letzterer wird zwar kritisch betrachtet, jedoch auch für (Selbst-)Vermarktung genutzt. Schließlich ist Instagram eine Werbeplattform. „Life is short, buy more plants (Das Leben ist kurz, kauft mehr Pflanzen). Pflanzenmutti zu sein, bedeutet viel Arbeit“, textet etwa Userin Marie-Lina zu ihrem Foto mit einer Topfpflanze und fügt den Hashtag „#fridaysforfuture“ hinzu.

„… weil wir alle Teil der Natur sind“

Das sei durchaus typisch für „Plantfluencer“, beschreibt Judith Klute, niederländische Kommunikationsexpertin, in ihren Beobachtungen. Das Interesse an Pflanzen kommt Klute zufolge vom steigenden Bewusstsein junger Menschen für Umwelt, Natur und gesunde Ernährung. „Zimmerpflanzen sind eine Erweiterung davon. Pflanzen im Haus geben ein gutes Gefühl. Menschen brauchen unwissentlich viel Grün um sich herum, weil wir alle ein Teil der Natur sind. In einer Welt der Verstädterung mildern Pflanzen im Haus den Mangel an Natur ein wenig“, schreibt Klute.

Einen weiteren simplen Grund für den Pflanzenhype nannte Tiebout: „Es macht Freude und ist relativ einfach, sich um eine Pflanze zu kümmern.“ Doch sei es immer noch mit einer gewissen Verpflichtung verbunden. Wenn man der Verantwortung aber gewachsen sei, dann seien Topfpflanzen etwas, das dem Leben „Beständigkeit“ gebe, meinte die Unternehmerin. Kann also die Verbindung von Kaffee und Pflanzen als ein Kompromiss aus Öffentlichkeit und Privatsphäre gesehen werden? „Das ist etwas, das ich hier beobachte“, so Tiebout über ihr Cafe. „Die Menschen sitzen eine Zeitlang hier im Grünen, fühlen sich inspiriert und entscheiden sich dann, eine Pflanze mit nach Hause zu nehmen.“