Die Wienerin Irene (Weisz) lebt gemeinsam mit ihrer 18-jährigen Tochter Lena (Julia Franz Richter) auf Ibiza. Sie führt eine Boutique, ihre Tochter steht kurz vor der Matura, träumt von einer Ausbildung zur Animationsfilmerin. Statt zu lernen, arbeitet Lena abends an einem Stop-Motion-Film, den sie ihrem verstorbenen Vater widmet. Es ist ein inniges Verhältnis, das Mutter und Tochter verbindet – so innig, dass Lena ihren Geburtstag lieber mit der Mutter feiert als mit ihren Freundinnen. Aus Beschützerinstinkt. Denn Irene ist eine Frau, die Gewalt erlebt hat.
Jahrelang hat sie die Schmähungen, Beschimpfungen, Schubser und Schläge ihres Ex-Partners Paul (Alex Brendemühl) ertragen, der sie nach dem Tod ihres Mannes zunächst getröstet hatte und dessen Zärtlichkeit bald in Verachtung umgeschlagen war. Dabei würde man Paul, dem preisgekrönten Musiker und feinsinnigen Komponisten, gar keine Gewalt zutrauen. Dass er seine Gereiztheit zu Hause an seiner Partnerin abreagiert, passt so gar nicht zum Bild des Denkers und Künstlers.
Geld oder Gerechtigkeit
Tatsächlich hat er Irene regelmäßig geschlagen, bis sie auf dem Boden lag. Irgendwann schaffte sie die Trennung und zeigte ihn an. Nun steht die Gerichtsverhandlung bevor, und auf einmal steht auch Paul wieder da und will angehört werden: Seine große Tournee soll demnächst stattfinden, ein neues Stück kommt zur Aufführung. Dass sein Name da im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt in den Schmutz gezogen wird, ist ihm höchst unangenehm. Paul bietet Irene Geld, damit sie ihre Anzeige zurückzieht, bittet sie um ein weiteres Treffen, schmeichelt, droht, zwingt seinen Sohn Robert (Dominic Markus Singer) zu vermitteln.
Hilfe für Betroffene
- 24-Stunden-Frauennotruf: 0171719
- Rat auf Draht: 147
- Frauen-Helpline: 0800222555
- Frauenhäuser
„Der Taucher“ ist ein beklemmender Film – und Schwaigers Spielfilmdebüt. Der Salzburger Regisseur setzt die meisten seiner Filmprojekte in Spanien um. 2013 hatte er mit „Martas Koffer“ einen Dokumentarfilm über die Spanierin Marta Anguita gedreht, die einen Mordanschlag ihres Exmannes überlebte und, nachdem der Täter aus dem Gefängnis entlassen wurde, versteckt leben muss.
In der Villa hört dich keiner schreien
Je höher das Ansehen eines Mannes, desto hartnäckiger das Verschweigen von Gewalterfahrungen, desto größer die Scham – das war schon bei „Martas Koffer“ die Erkenntnis. Seinen Spielfilm „Der Taucher“ verortet Schwaiger nun vor einer Urlaubskulisse und in einem Milieu, das – zumindest nach gängigen Klischees – nicht mit prügelnden Ehemännern assoziiert wird. Dazu zitiert Schwaiger die Juristin Renate Hoyas: „Wenn in einem Gemeindebau eine Frau misshandelt wird, dann hören das alle Nachbarn. Wenn das aber in einer Villa passiert, dringen die Schreie nicht hinaus; ein passendes Bild dafür, dass gerade in finanziell gehobenen Verhältnissen Gewalt an Frauen einem extremen Tabu unterliegt.“
Die Besetzung mit Weisz ist spannend, hat sie doch ihre Schauspiellaufbahn in Ulrich Seidls „Hundstage“ begonnen – mit der Darstellung eines geprügelten Mädchens, das nicht von ihrem Misshandler loskommt. Die Figur der Irene ist wie eine direkte Fortsetzung davon: Weisz spielt Irene als selbstbewusste Frau, Unternehmerin und Alleinerzieherin, die um ihrer Tochter und ihrer selbst willen entschlossen ist, ein glückliches Leben zu führen.
Aus eigener Kraft schafft sie es dennoch nicht, die Manipulation durch den Täter zu überwinden: Als Paul gesundheitliche Probleme vortäuscht, kehrt sie zu ihm zurück, der Kreislauf der Gewalt beginnt von Neuem. Warum eine Frau zu einem Täter zurückkehrt, ist von außen oft schwer nachzuvollziehen. Weisz erklärt es so: „Irene liebt ihn, er ist derjenige, bei dem sie immer noch weiche Knie bekommt. Auch zur schlimmsten Zeit hat sie ihn vergöttert, wenn er zwischendurch lieb zu ihr war.“ Die Sehnsucht nach Bestätigung und Zärtlichkeit ist zu groß.
Das Recht zu gehen
Dafür dürfe man eine Frau nicht verurteilen, so Weisz: Egal wie lange sie die Gewalt durch den Partner schon ertragen habe, sie habe immer das Recht zu gehen. „Wir wollten, dass der Film genau solche Fragen provoziert. Warum bleibt eine Frau zehn Jahre lang bei dem Mann, der sie schlägt? Weil da immer noch eine Art von Liebe da ist, und vor allem: Weil zu dem Zeitpunkt das Selbstwertgefühl schon dermaßen im Keller ist, dass man gar nicht mehr sagen kann: Vielleicht hat er ja recht? Vielleicht hab ich mich wirklich so mies verhalten, vielleicht bin ich ja wirklich selber schuld?“
„Der Taucher“ erzählt die Gewaltbeziehung als Beziehungsgeflecht, das die ganze Familie umfasst. Lena wird zur Beschützerin ihrer Mutter, anstatt ihre Jugend unbeschwert zu genießen, Pauls Sohn Robert leidet unter der psychischen Gewalt durch seinen Vater. „Wenn ein Kind damit aufwächst, dass Gewalt zwischen den Eltern Normalität ist, dann ist das eine schwer zu überwindende Verletzung“, sagt Weisz.
Im echten Leben gibt es Beratungsstellen, nicht nur für die misshandelte Frau, im besten Fall auch für die Kinder und für den Täter. „Auch der muss therapiert werden, der will ja nicht den Rest seines Lebens so weitermachen“, sagt Weisz. „Aber bis ein Mann so etwas freiwillig macht, muss wohl einiges an Aufklärung passieren.“