Student macht Notizen in seinen Block
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Bildungskarenz

Mit der Krise zur Beliebtheit

Die Bildungskarenz ist beliebt. Im vergangenen Jahr nahmen sich fast 15.000 Personen eine Jobauszeit, um sich weiterzubilden. Das ist ein Zuwachs von drei Prozent gegenüber 2017. Auch heuer dürfte der Trend anhalten, was insofern überraschend ist, weil das Modell in seinen Anfangsjahren kaum Interesse weckte. Erst eine Krise läutete die Wende ein.

Laut einer Sonderauswertung des Arbeitsmarktservice (AMS) stieg die Zahl der Weiterbildungsgeldbezieher und -bezieherinnen von 2009 bis 2018 um mehr als 34 Prozent. Besonders in Salzburg (plus 146 Prozent) und Wien (plus 204 Prozent) gab es ein deutliches Plus. Nur zwei von neun Ländern verzeichneten im Zehnjahresvergleich ein Minus. So sank die Zahl in der Steiermark um 13 und in Oberösterreich um 22 Prozent.

Aktuell (im ersten Halbjahr 2019) haben laut AMS im Schnitt schon knapp 11.000 Personen das Weiterbildungsgeld in Anspruch genommen, davon 63 Prozent Frauen. 88 Prozent der Personen waren im Alter zwischen 20 und 44 Jahren, 44 Prozent hatten eine höhere oder akademische Ausbildung. Ähnlich war das Ergebnis auch in den Jahren 2018 und 2017. In der Geschichte der Bildungskarenz war das aber nicht immer so.

525 Personen in Bildungskarenz 1998

Seit mehr als 20 Jahren gibt es die Möglichkeit, sich in einer Jobauszeit weiterzubilden. Bis 2008 war die Bildungskarenz aber nicht besonders beliebt. 1998 beanspruchten 525 Personen eine Auszeit, im Jahr darauf waren es nicht wesentlich mehr, und im Jahr 2007 bezifferte man die Bezieher und Bezieherinnen bei rund 1.000. So richtig durchgesetzt hat sich die Bildungskarenz erst im Jahr 2009. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Wirtschaftskrise 2008.

Grafik zeigt Zahlen zur Veränderung der Bildungskarenz in den Jahren 2009 und 2018
Grafik: ORF.at; Quelle: AMS

Heimische Betriebe meldeten bereits deutliche Umsatzeinbußen und mangelnde Aufträge. Um weitere Kündigungen und Kurzarbeit zu vermeiden, mussten Politik und Wirtschaft etwas tun. Die Maßnahmen machten auch vor der wenig populären Bildungskarenz nicht halt. So wurden etwa die Zugangsvoraussetzungen für die Karenz geändert, damit sich Beschäftigte zuerst weiterbilden und im Betrieb später wieder angestellt werden – quasi als Beschäftigungserhalt.

Vor 2008 musste man mindestens drei Jahre durchgehend bei demselben Arbeitgeber beschäftigt sein, um Weiterbildungsgeld beziehen zu können. Viele Beschäftigte konnten somit nicht in Bildungskarenz gehen. Anfang 2008 wurde diese Hürde auf ein Jahr gesenkt, später dann auf ein halbes Jahr. So befanden sich zum Stichtag 30. Juni 2009 mehr als 5.000 Personen in Bildungskarenz, 2008 waren es noch 1.396. Über die Jahre hinweg stieg die Zahl stetig an, das „Krisenmodell“ wurde fest verankert.

Von der Produktion zur Dienstleistung

Dass der rasche Anstieg eine Folge der Wirtschaftskrise war, zeigt sich auch im Vergleich zur heutigen Zusammensetzung der Bezieherinnen und Bezieher. Laut einer Analyse des Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) aus 2010 musste die Wirtschaftsklasse „Herstellung von Waren“ 2009 sechs Prozent der Beschäftigten abbauen. Die Krise, so heißt es im Bericht, erfasste die Industrie „überdurchschnittlich“. Bundesweit war der Personalstand der unselbstständig Beschäftigten nur um 1,4 Prozent gesunken. Männer waren stärker betroffen als Frauen.

Grafik zeigt Zahlen zur Veränderung der Bildungskarenz in den Jahren 2009 und 2018
Grafik: ORF.at; Quelle: AMS

Das führte dazu, dass 2009 mehr Männer (65 Prozent) als Frauen (35 Prozent) das Weiterbildungsgeld beanspruchten. 2018 gingen im Vergleich dazu mehr Frauen (57 Prozent) als Männer (43 Prozent) in Bildungskarenz. Vor zehn Jahren waren es auch hauptsächlich Beschäftigte aus der Warenproduktion (42 Prozent), die von der Weiterbildungsmöglichkeit Gebrauch machten. 2018 war diese Sparte nur noch zu elf Prozent vertreten, stattdessen gingen im vergangenen Jahr mehr Personen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich in Bildungskarenz. Außerdem nahmen vermehrt Akademikerinnen bzw. Akademiker die Bildungskarenz in Anspruch.

Leicht gesunken ist die Zahl der unter 25-Jährigen, leicht gestiegen jene der 25- bis 49-Jährigen. Für alle gilt aber: Wer sich weiterbildet, muss es auch nachweisen. Da man in der Bildungskarenz ein „fiktives Arbeitslosengeld“ bekommt, muss das AMS über die Weiterbildung informiert werden. Entweder der Bezieher bzw. die Bezieherin besucht einen Kurs von mindestens 20 Stunden pro Woche oder legt Prüfungen an der Uni ab (acht ECTS-Punkte).

AMS-Vorstand Kopf: „Erfolgreiches“ Modell

Aus der AMS-Analyse geht hervor, dass 45 Prozent der Personen nach Beendigung der Bildungskarenz beim selben Dienstgeber beschäftigt waren wie vor Antritt der Bildungskarenz. Für Johannes Kopf, AMS-Vorstandsmitglied, ist das ein Zeichen, dass sich die Karenz „mittlerweile auch zu einem Instrument der Förderung der Flexibilität am Arbeitsmarkt entwickelt hat“. Er nennt das Modell „erfolgreich“, merkte aber an, dass „niedrigqualifizierte und ältere Personen“ die Bildungskarenz in Anspruch nehmen sollten. Das sei aber „schwierig“.

Einen Rechtsanspruch auf Bildungskarenz, den die Arbeiterkammer seit Jahren fordert, gibt es nicht. Der Arbeitnehmer vereinbart mit dem Arbeitgeber eine schriftliche Übereinkunft samt Dauer und Inhalt der Bildungskarenz. Im Gegensatz zur Elternkarenz gibt es hier keinen Kündigungsschutz. Die Dauer muss mindestens zwei Monate und darf maximal ein Jahr betragen. Sofern die Zeit aufgeteilt wird, dürfen zwischen Beginn des ersten und Ende des letzten Blocks maximal vier Jahre liegen.