Peter Seisenbacher
APA/Helmut Fohringer
Sexueller Missbrauch

Fünf Jahre Haft für Peter Seisenbacher

Der Judoka und Olympiasieger Peter Seisenbacher ist am Montag am Wiener Landesgericht wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er wurde in vollem Umfang der Anklage schuldig erkannt.

Bei einem Strafrahmen von bis zu zehn Jahren erschien dem Gericht eine fünfjährige Freiheitsstrafe tat- und schuldangemessen. Mildernd waren Seisenbachers bisherige Unbescholtenheit, der lange zurückliegende Deliktszeitraum und dass seit rund 15 Jahren keine weiteren strafbaren Handlungen bekanntgeworden sind.

Erschwerend wertete der Senat demgegenüber das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen, dass es mehrere Opfer gegeben hat und den langen Deliktszeitraum. Das erste Mädchen war neun Jahre alt, als Seisenbacher laut erstinstanzlichem Urteil die ersten Missbrauchshandlungen setzte. Diese dauerten mehrere Jahre an. Auf die Frage, ob er das Urteil verstanden habe, nickte der gefasst wirkende Seisenbacher kurz. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Verteidiger Bernhard Lehofer erbat Bedenkzeit. Staatsanwältin Ursula Schrall-Kropiunig gab vorerst keine Erklärung ab.

Ex-Judoka Peter Seisenbacher im Gerichtssaal
APA/Herbert Neubauer
Seisenbacher vor Gericht

Staatsanwältin: Gleiche Regeln wie für alle anderen

Einige von Seisenbachers Anhängern aus Judo-Kreisen wirkten entsetzt. Der vorsitzende Richter Christoph Bauer sagte zu Beginn seiner Urteilsbegründung, sämtliche Belastungszeuginnen hätten einen „außerordentlich glaubwürdigen“ Eindruck gemacht: „Wir haben nicht den Eindruck gehabt, dass die drei lügen, dass die drei sich geirrt haben, dass die drei sich verschworen haben.“

„Die Beweislage reicht aus, um den Angeklagten im Sinn der Anklage schuldig zu sprechen“, so Schrall-Kropiunig in ihrem Schlusswort. Den vom Angeklagten behaupteten „Promi-Malus“ gebe es nicht. „Für ihn gelten die gleichen Regeln wie für alle anderen.“ Daher wäre in diesem Fall die für schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen gesetzlich vorgesehene Höchststrafe von zehn Jahren „nicht vertretbar“, hielt die Staatsanwältin fest.

Verteidiger: Von seiner Unschuld überzeugt

Seisenbacher sei bisher unbescholten und habe dem Ermittlungsstand zufolge seit über 15 Jahren auch keine strafbaren Handlungen gesetzt. Allerdings habe dieser zwei unmündige Mädchen missbraucht, eines davon über mehrere Jahre. Schrall-Kropiunig sprach sich daher für eine „naturgemäß unbedingte Freiheitsstrafe“ aus, was eine Haftstrafe von mehr als drei Jahren voraussetzen würde. Nur in diesem Fall wäre eine gänzliche oder teilweise bedingte Strafnachsicht gesetzlich ausgeschlossen.

Fünf Jahre Haft für Peter Seisenbacher

Fünf Jahre Haft wegen wiederholten Missbrauchs Unmündiger und wegen Missbrauchs des Autoritätsverhältnisses, so lautet das Urteil gegen den zweifachen Judo-Olympiasieger Peter Seisenbacher.

Verteidiger Lehofer verlangte dagegen einen Freispruch. Seisenbacher sei nicht „der böse Narzisst, der Mephisto“. „Ich und viele, viele andere Leute sind von seiner Unschuld überzeugt“, betonte Lehofer. Er zählte „Risikofaktoren“ auf, die er den Belastungszeuginnen unterstellte. Diese könnten aus Eifersucht, aufgrund schwerer Enttäuschungen oder psychischer Probleme die Unwahrheit gesagt haben, mutmaßte der Anwalt: „Ihre Angaben sind nicht derart valide, dass man einen unbescholtenen Mann verurteilten könnte.“ Demgegenüber ortete Lehofer „ausreichend Argumente, um den Ausführungen des Herrn Seisenbacher Glauben zu schenken“. Seisenbacher selbst verzichtete auf ein Schlusswort und verwies auf Lehofers Feststellungen.

Seisenbacher: Ein Märchen erzählt

Der 59-Jährige hatte zuvor vor dem Schöffensenat unter dem Vorsitz von Christoph Bauer weiter auf seiner Schuldlosigkeit beharrt. „Ich bleibe bei meiner Aussage vom ersten Tag“, so Seisenbacher. „Haben Sie das Gefühl gehabt, dass Sie gelogen haben?“, sprach der Richter den Angeklagten direkt auf die beiden Hauptbelastungszeuginnen an, die am vergangenen Montag unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt hatten und dabei ihre bisherigen Angaben aufrechterhalten haben sollen.

Laut Anklage soll sich Seisenbacher an den beiden damals Unmündigen als ihr Trainer vergangen haben. „Sie sagen die Unwahrheit“, insistierte Seisenbacher. In Bezug auf jene ehemalige Schülerin, die er der Anklage zufolge mehrere Dutzende Male missbraucht haben soll, erklärte der 59-Jährige, es sei „sicherlich ein Teilaspekt“ der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen, dass er sie bei einem Studienaufenthalt in Japan nicht unterstützt habe. Er glaube daher beweisen zu können, „dass sie hier ein Märchen erzählt hat“.

Die langjährige Lebensgefährtin Seisenbachers erklärte im Anschluss im Zeugenstand, der Olympiasieger habe zu den beiden Schützlingen „ein ganz normales freundschaftliches Trainer-Schüler-Verhältnis“ gehabt. Was Berührungen betrifft, sei ihr nichts aufgefallen. „Wenn ich nur ansatzweise ein komisches Gefühl gehabt hätte, dass da etwas mit Mädchen ist, dann hätte ich sicher keine Beziehung mit ihm geführt.“ Die beiden Mädchen hätten hin und wieder auf ihre Kinder aus einer vorangegangenen Beziehung aufgepasst.

An Nacht im Matratzenlager erinnert

Vernommen wurde auch ein Mann, der seinerzeit in Seisenbachers Judo-Verein trainiert und an Wochenenden an Trainingslagern teilgenommen hatte. „Es gab komische Situationen, wo ich mich sehr unwohl gefühlt habe“, schilderte der mittlerweile 29-Jährige. Bei einer Gelegenheit habe er in der Nacht im Matratzenlager in Seisenbachers Schlafsack „eindeutige Bewegungen wahrgenommen, die ich sehr komisch gefunden habe als kleines Kind“. Er sei damals acht oder neun Jahre alt gewesen. Die Bewegungen beschrieb der Zeuge als „ruckartig“ und „schaukelig“: „Ich wusste, da passiert etwas.“ Im Schlafsack hätte sich eine zweite Person befunden, nahm der 29-Jährige an.

Bei einer anderen Gelegenheit habe er beim Übernachten in einem Trainingslager eine der laut Staatsanwaltschaft von sexuellen Übergriffen Betroffene halbnackt am Rücken neben ihrem Schlafsack liegend wahrgenommen: „Sie war wie eingefroren.“ Seisenbacher habe sich über das Mädchen gebeugt. Ihm sei klar gewesen, „dass mir das kein Mensch glauben wird. Ich war immer der Träumer, der Fantasierer“, gab der Zeuge an.

Vor der Einvernahme einer Frau, die als 16-Jährige einen sexuell konnotierten Annäherungsversuch Seisenbachers während eines Judo-Sommerlagers im August 2001 abgewehrt haben soll, und der detaillierten Befragung einer weiteren Zeugin, die als ebenfalls 16-Jährige mit Seisenbacher eine einvernehmliche sexuelle Beziehung unterhalten hatte, wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

In die Ukraine abgesetzt

Der ersten Verhandlung hatte sich Seisenbacher durch Flucht entzogen. Die Verhandlung hätte am 19. Dezember 2016 am Wiener Straflandesgericht stattfinden sollen. Alle waren gekommen, nur der Beschuldigte nicht. Er hatte sich in die Ukraine abgesetzt. Anschließend wurde er mit internationalem Haftbefehl gesucht – mehr dazu in wien.ORF.at.

Als Seisenbacher dann befürchten musste, von Kiew an die Wiener Justiz ausgeliefert zu werden, nachdem die Ukraine im Frühjahr 2019 ein Zusatzprotokoll des Europäischen Auslieferungsübereinkommens unterzeichnet hatte, versuchte er, mit einem gefälschten Pass die polnisch-ukrainische Grenze zu überwinden. Dabei wurde er festgenommen und später nach Wien überstellt. Seisenbacher hatte kein gültiges Reisedokument mehr, nach seiner Flucht war es von der Republik Österreich für ungültig erklärt worden. Der Pass, dessen sich Seisenbacher bediente, war auf einen Judofunktionär ausgestellt, aber manipuliert – mehr dazu in wien.ORF.at.

Verwerfungen in der Sporthilfe

Seisenbacher hatte österreichische Sportgeschichte geschrieben. 1984 wurde der gelernte Goldschmied in Los Angeles als erster Judoka aus Österreich Olympiasieger und verteidigte seinen Titel vier Jahre später in Seoul. Schon 1980 hatte er bei der Heim-EM in Wien mit Silber seine erste Medaille errungen. 1985 wurde er Weltmeister, 1986 Europameister.

Nur einen Monat nach der zweiten Olympiagoldmedaille wurde der vom aktiven Sport zurückgetretene Seisenbacher als Sporthilfe-Chef vorgestellt. Noch bevor er das Amt des Generalsekretärs mit 1. Jänner 1989 antrat, war er zum dritten Mal nach 1984 und 1985 als Österreichs Sportler des Jahres ausgezeichnet worden. Im Oktober 1993 trat der Vater von zwei Kindern nach etlichen Verwerfungen als Sporthilfe-Generalsekretär ab, unter anderem, weil er 1991 bei einem Judoturnier einem Grazer Judoka nach einer Meinungsverschiedenheit eine Ohrfeige gegeben hatte.