Männer tragen riesigen Milchkarton über den Zebrastreifen vor der Champs Elysee
C’est qui Le Patron? – La Marque du Consommateur
Fairtrade im Inland

„Perfekte“ Lebensmittel per Urabstimmung

Die Konsumentinnen und Konsumenten bestimmen die Eigenschaften des Produkts, bevor es auf den Markt kommt – und auch den Preis. Gleichzeitig werden die Produzenten fair bezahlt. Was nach Utopie klingt, ist auf dem französischen Lebensmittelmarkt zum Erfolgsrezept geworden. „C’est qui le patron?!“ („Wer ist der Chef?“) wurde zur am schnellsten wachsenden Marke in Frankreichs Geschichte.

Alles begann vor vier Jahren mit einer einfachen Rechnung. Nicolas Chabanne sah sich damals die Milchpreise im Supermarkt und die Beschwerden der Milchbauern über die vom Handel gedrückten Preise an. Mit acht Cent pro Liter mehr könnten die Produzenten über die Runden kommen.

„Der durchschnittliche französische Verbraucher kauft 50 Liter Milch pro Jahr“, sagte er gegenüber dem britischen „Guardian“. „Das bedeutete, dass, wenn die Verbraucher nur vier Euro mehr für ihre Milch pro Jahr ausgeben, der Produzent tatsächlich überleben könnte. Ich war überzeugt, dass die Leute bereit sein würden, das zu tun.“ Wie angespannt die Lage in Frankreich ist, bewiesen etwa die Bauernproteste Ende November in Paris.

Milch seit 2016 auf dem Markt

Zuvor hatte Chabanne schon mehrere Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung gestartet, so versuchte er etwa mit einem Start-up Obst und Gemüse zurück in den Handel zu bringen, das nur optisch den Kriterien der meisten Supermarktketten nicht entsprach und daher aussortiert wurde. Das Projekt hatte allerdings nicht den erwünschten Erfolg. Mit „C’est qui le patron?!“ bzw. „La marque du consommateur“ („Die Marke der Verbraucher“), wie der zweite Name der Produktlinie lautet, lief es hingegen von Anfang an besser. Seit im November 2016 die erste Packung um 99 Cent auf den Markt kam, stieß die fair gehandelte Milch auf Platz vier der Milchmarken vor, geschlagen nur von billigen Supermarkt-Eigenmarken.

Milchbauern Martial und Martine Darbon posieren mit Milchkartons von „C’est qui le patron?“
APA/AFP/Geoffroy van der Hasselt
Mit Milch hat es begonnen, mittlerweile wurden die Produkte in rund zwei Jahren insgesamt mehr als 130 Millionen Mal verkauft

Basisabstimmung vor Produkteinführung

„C’est qui le patron?!“ ist als Genossenschaft organisiert, die mehreren tausend teilnehmenden Produzenten zahlen nur einen symbolischen Beitrag für die Teilnahme, müssen allerdings bestimmte Kriterien erfüllen – und diese werden von den Konsumentinnen und Konsumenten vorgegeben. Bevor ein Produkt auf den Markt kommt, kann auf der Website der Marke oder per App abgestimmt werden, was angeboten werden soll und welche Eigenschaften es haben soll.

Nicolas Chabanne
APA/AFP/Geoffroy Van Der Hasselt
„Lebensmittelrebell“ Chabanne sorgt in Frankreich für Furore

Zur Wahl stehen Herkunft, Produktionsbedingungen wie Umweltauswirkungen, Tierschutz, Ernährung der Tiere – aber auch Verpackung und daraus resultierend letztlich Preisgestaltung. Bei der Abstimmung über die „Wunschmilch“ nahmen 6.850 Verbraucherinnen und Verbraucher teil. Mittlerweile sind 180.000 Menschen auf der Website registriert.

Keine Werbung

Die Produktpalette ist mit etwas mehr als 20 Angeboten – von Milchprodukten über Eier, Wein, Apfelsaft, Honig, Salat bis hin zu Hendl und Faschiertem – noch überschaubar. Die Erfolge sprechen dennoch für sich: Die angebotene Butter entwickelte sich zur beliebtesten Marke des Landes und zum am schnellsten wachsenden neuen Bioprodukt Frankreichs.

Und dabei verzichtete man auf Werbung für die Marke, setzte ganz auf Mundpropaganda und ein bisschen Social-Media-Einsatz. Mit derart reduzierten Marketingkosten gehen nur fünf Prozent der Erlöse an die Genossenschaft, damit werden die Kosten gedeckt, die etwa durch Qualitätskontrolle und die Absprachen mit Produzenten und Händlern entstehen.

Screenshot verschiedener Produkte von La Marque du Consommateur
Screenshot lamarqueduconsommateur.com
Noch ist die Zahl der angebotenen Produkte überschaubar

Verhandlungen mit Supermärkten über die Margen führt man keine, damit beugt man sich auch nicht dem Druck der großen Ketten. Dennoch führen viele französische Supermärkte mittlerweile die „C’est qui le patron?!“-Produkte – weil sie nachgefragt werden.

Fairtrade und alle Macht den Konsumenten

Gründer Chabanne sieht eine „tiefgreifende Veränderung der Einstellung der Verbraucher“. Natürlich werde es immer Menschen geben, für die, aus allen möglichen Gründen, der Preis am wichtigsten sei. Aber „eine ganze Reihe von Verbrauchern wolle sich jetzt verantwortungsbewusster verhalten“. Sie wollten „wenn möglich gesunde, qualitativ hochwertige Lebensmittel kaufen, die ethisch, transparent und unter Achtung des Tierschutzes und der Umwelt von Menschen hergestellt werden, welche dafür einen fairen Preis erhalten. Und sie sind bereit, dafür etwas mehr zu bezahlen“, zitiert der „Guardian“ den 50-Jährigen.

Dabei ist eine der beiden grundlegenden Ideen der Marke bestens erprobt: Man wendet die Fairtrade-Prinzipien, die in der Regel mit Entwicklungsländern in Verbindung gebracht werden, einfach auf den Inlandsmarkt an. Die zweite Idee zweifelt an einem Grundprinzip des Handels: nämlich dass sich findige Produzenten aus den Fingern saugen können, was Konsumentinnen und Konsumenten vielleicht wollen. Statt teurer Marktforschung werden die potenziellen Käufer einfach gefragt, was sie haben wollen – und deren, und nur deren, Stimme zählt.

Druck auf große Konzerne

Chabanne hat jedenfalls noch hochtrabende Pläne. „Mit fünfzig Produkten verändern Sie noch nicht die Agrarwelt und die Umweltprobleme“, sagte er im Oktober in einem Interview mit einem Branchenmagazin. Er habe Dutzende Anfragen, auch in andern Bereichen als im Lebensmittelhandel, mit denselben Prinzipien einzusteigen. Auch große Konzerne wie Danone und Nestle seien an „C’est qui le patron?!“ herangetreten um Kooperationen einzugehen. Das Angebot von Nestle habe man aber gemeinsam abgelehnt, so Chabanne. Dennoch gehe es darum, Druck auf die „Big Player“ in der Nahrungsmittelindustrie aufzubauen.

Per App können User schon jetzt jene Geschäfte finden, die entsprechende Produkte führen. Zudem können Geschäfte aufgefordert werden, sie anzubieten. In einem weiteren Schritt will die Genossenschaft aber auch die Möglichkeit anbieten, Konkurrenzprodukte nach den vorgegebenen Standards mit den eigenen zu vergleichen.

Internationale Nachahmer

Und die Idee scheint sich auch über die Grenzen Frankreichs hinweg auszubreiten. In mehreren Ländern wurden bereits Initiativen mit demselben Logo gestartet. In den USA heißt die Initiative „Eat’s my choice“, in Belgien „Wie is de baas?!“, in Spanien „Quien es el jefe?“ und „The Consumer Brand“ in Großbritannien.

Im deutschsprachigen Bereich ist bisher noch nichts geplant – auch wenn die Probleme und die potenziellen Lösungsstrategien natürlich ähnlich sind. In Österreich versuchten vor ein paar Jahren „Milchrebellen“ ihre Produkte abseits der großen Molkereien selbst zu vermarkten. Das Abenteuer scheiterte, die Marke „A faire Milch“, wie sie unter leicht abgeänderten Namen auch in anderen Ländern vertreten ist, blieb in einigen Supermärkten als Marke vorhanden.