NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hält Rede vor NATO-Staatschefs im The Grove in Watford, England.
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Abschlusserklärung

China ist neue NATO-„Herausforderung“

Trotz vieler Differenzen haben sich die NATO-Staaten auf ihrem Gipfel in Watford bei London auf eine gemeinsame Abschlusserklärung geeinigt. Erstmals erkennen die NATO-Partner auch die „Herausforderungen“ durch das stärker werdende China an, ohne das Land aber als Bedrohung einzustufen.

„China ist jetzt das Land auf der Welt, das nach den USA am meisten Geld für Verteidigung ausgibt“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg dazu am Mittwoch. Der Aufstieg Chinas sei dem NATO-Chef zufolge Chance und Herausforderung zugleich.

Als ein mögliches Problem wird der Mobilfunkstandard 5G genannt, bei dem das chinesische Unternehmen Huawei als Technologieführer gilt. „Die NATO und die Verbündeten verpflichten sich im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse, für die Sicherheit unserer Kommunikation, auch im Bereich 5G, zu sorgen, und erkennen zugleich die Notwendigkeit an, sich dabei auf sichere und widerstandsfähige Systeme zu stützen“, heißt es in dem als Londoner Erklärung bezeichneten Papier.

NATO-Staatschefs beim gemeinsamen Foto
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Trotz Differenzen einigten sich die NATO-Mitgliedsländer auf eine Abschlusserklärung

„Gute Fortschritte“

Die Allianz sei „mit unterschiedlichen Bedrohungen und Herausforderungen konfrontiert“, heißt es in dem Text, mit dem die NATO-Länder ihre Beistandsverpflichtung erneuern und die Bedeutung der „transatlantischen Bindung zwischen Europa und Nordamerika“ hervorheben. Genannt werden explizit „die aggressiven Aktionen Russlands“ und „der Terrorismus in all seinen Formen“. Mit Russland soll der Dialog aber fortgeführt werden.

Bei dem internen Streitpunkt Verteidigungsausgaben, bei dem vor allem US-Präsident Donald Trump die Verbündeten zu einem stärkeren Anteil drängt, bekennen sich die Staaten zum Prinzip der Lastenteilung und sehen „gute Fortschritte“. Trump hatte wiederholt insbesondere Deutschland wegen aus seiner Sicht zu niedriger Verteidigungsausgaben kritisiert.

Weltraum als weiteres Einsatzgebiet

Mit „wir müssen und werden mehr tun“ bekennen sich die Staats- und Regierungschefs in ihrer Abschlusserklärung zum Prinzip einer Lastenteilung zwischen den Verbündeten. NATO-Chef Stoltenberg wird zudem aufgefordert, einen Vorschlag „für einen zukunftsorientierten Reflexionsprozess unter seiner Schirmherrschaft vorzulegen, (…) um die politische Dimension der NATO (…) weiter zu stärken“.

Schließlich will sich die NATO nach eigenem Bekunden weiter „uneingeschränkt für die Erhaltung und Stärkung einer wirksamen Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung“ einsetzen. Die Verbündeten seien „fest entschlossen, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen in all seinen Aspekten (…) uneingeschränkt umzusetzen.“ Zudem will die NATO ihre Fähigkeiten, auf Cyperattacken zu reagieren, weiter verstärken. Der Cyberspace ist neben den traditionellen Operationsbereichen Land, Luft und See seit 2016 Einsatzgebiet der NATO. Hier kommt nun der Weltraum als fünftes militärisches Einsatzgebiet dazu.

Gemeinsame Abschlusserklärung beim NATO-Gipfel

In London ist am Mittwoch der Gipfel zum 70-jährigen Bestehen der NATO zu Ende gegangen. Trotz vieler Differenzen haben sich die Mitgliedsländer auf eine gemeinsame Abschlusserklärung geeinigt.

Weiter festhalten will die NATO an ihrer „Politik der offenen Tür“. An dem Treffen nahm bereits Nordmazedonien teil, das im kommenden Jahr 30. Mitglied der Allianz wird. Zu Georgien und Ukraine, denen bereits vor vielen Jahren der Beitritt versprochen worden war, findet sich in der Abschlusserklärung hingegen nichts. Der nächste NATO-Gipfel soll 2021 stattfinden – wann und wo, ist noch offen.

Jubiläumsgipfel im Schatten des „Hirntod“-Sagers

Der Gipfel zum 70. Gründungsjahr des transatlantischen Bündnisses hatte am Dienstagabend mit einem Empfang bei der britischen Königin Elizabeth II. begonnen. Belastet war das Treffen von Anfang an unter anderen durch die scharfe Kritik von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der dem Bündnis wegen fehlender Abstimmung zwischen den USA und der Türkei auf der einen Seite und den Europäern auf der anderen Seite den „Hirntod“ attestiert hatte.

Hintergrund war der nicht abgestimmte Abzug der US-Truppen aus Nordsyrien mit dem darauffolgenden, heftig kritisierten Einmarsch der türkischen Armee in der kurdischen Region. Nun soll das Vorgehen besser koordiniert werden: Ein „zukunftsorientierter Reflexionsprozess“ in der NATO soll eingeleitet werden, um die „politische Dimension“ des Bündnisses zu stärken, wie es in der Londoner Erklärung heißt.

Erhöhte Einsatzbereitschaft

Zudem erreichte die NATO nach eigenen Angaben ihre Ziele zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft von Streitkräften. Wie Stoltenberg zum Abschluss des Jubiläumsgipfels mitteilte, haben die Bündnisstaaten zusätzliche 30 Einheiten von Heer, Luftwaffe und Marine so trainiert und ausgerüstet, dass sie ab 2020 im Fall einer Krisensituation innerhalb von höchstens 30 Tagen einsatzbereit wären.

Insgesamt soll es um rund 25.000 Soldaten, 300 Flugzeuge und mindestens 30 Kriegsschiffe gehen. Deutschland, Frankreich und Großbritannien gehören zu den wichtigsten Unterstützern der „Readiness Initiative“. Das Projekt war 2018 im Zuge der Aufrüstung gegen Russland beschlossen worden. Die selbst gesteckten Ziele bereiteten den Bündnispartnern zuletzt allerdings größere Probleme. Noch in der vergangenen Woche waren erst rund 90 Prozent der benötigten Einheiten zusammen.

„Sehr erfolgreiches Treffen“

US-Präsident Trump und Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichneten den NATO-Gipfel als großen Erfolg. „Das war ein sehr erfolgreiches Treffen“, sagte Merkel nach einem bilateralen Gespräch mit Trump. Auch Trump sprach von einem „großen Erfolg“. Es habe „einen sehr guten Geist bei diesem Treffen“ gegeben.

US-Präsident Donald Trump und Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan
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Die Türkei bezeichnete ein Gespräch zwischen Trump und Erdogan als „sehr produktiv“

Am Rande des Gipfels gab es am Mittwoch auch ein bilaterales Treffen zwischen Trump und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Das Treffen sei „sehr produktiv“ verlaufen, teilte ein Sprecher des türkischen Präsidialamts auf Twitter mit. Das Weiße Haus bestätigte das Treffen, das zuvor nicht angekündigt worden war. Trotz zahlreicher Streitpunkte hatte Trump bereits zuvor auf eine „sehr gute“ Beziehung zur Türkei und zu Erdogan verwiesen.

Aus Watford reiste Trump ohne abschließende Pressekonferenz ab. „Wir werden keine Pressekonferenz machen zum Abschluss der NATO, weil wir schon so viele in den vergangenen zwei Tagen gemacht haben“, begründete Trump seine Entscheidung. Abschließend wünschte er allen Gipfelteilnehmern „eine sichere Reise“.