Demonstrant mit bengalischem Feuer in der Hand
AP/Thibault Camus
Pensionsdemos in Frankreich

Größter Protest in Macrons Amtszeit

In Frankreich ist Präsident Emmanuel Macron mit den größten Protesten seiner Amtszeit konfrontiert: Mehr als 800.000 Menschen sind am Donnerstag gegen die geplante Pensionsreform der Regierung auf die Straße gegangen – fast dreimal so viele wie auf dem Höhepunkt der Gelbwesten-Krise vor einem Jahr. Ein Generalstreik legte zudem das öffentliche Leben weitgehend lahm.

„Schützt unsere Pensionen“ und „Soziale Unsicherheit tötet“ hieß es auf Protestbannern. Bis zum Abend beteiligten sich rund 806.000 Menschen an Kundgebungen in Dutzenden Städten, darunter allein 65.000 in Paris, wie das Innenministerium mitteilte. Nach Angaben der Gewerkschaft CGT waren bei der größten Kundgebung in Paris sogar 250.000 Menschen auf der Straße, landesweit zählte die Gewerkschaft mehr als 1,5 Millionen Demonstranten und Demonstrantinnen.

Die Massenproteste sind die größten in Frankreich seit Jahren und gelten als Erfolg für die Gewerkschaften. Ihrem Aufruf folgten wesentlich mehr Menschen als dem der „Gelbwesten“ im November 2018. Damals gingen offiziell 282.000 Menschen auf die Straße, Macrons Präsidentschaft stand auf der Kippe. Nach milliardenschweren Zusagen des Staatschefs beruhigte sich die Lage allmählich wieder.

Tausende Demonstranten in Bordeaux
APA/AFP/Nicolas Tucat
Die Gewerkschaft konnte stark mobilisieren

Verkehrschaos und Staus auch am Freitag

Wegen der Streiks kommt es im Bahnverkehr wieder zu schweren Behinderungen. Die staatliche Bahngesellschaft SNCF rief Fahrgäste deshalb am Freitag auf, ihre Reisen zu verschieben. Bei der SNCF wird von zehn TGV-Hochgeschwindigkeitszügen nur einer fahren. Auch Verbindungen in die Nachbarländer sind stark eingeschränkt. In der Hauptstadtregion Paris stauten sich die Autos in der Früh auf einer Länge von insgesamt rund 350 Kilometern, wie der Radionachrichtensender Franceinfo berichtete. In Paris wird der öffentliche Nahverkehr weiter bestreikt.

Landesweite Proteste in Frankreich

Auch am Freitag gehen die Proteste weiter. Bereits in der Früh kam es zu einem Verkehrschaos. Nur wenige Züge der SNCF fuhren. In Paris wird auch der Nahverkehr weiter bestreikt.

Der Streik bei der Bahn und im Pariser Nahverkehr ist „unbefristet“ angekündigt. Der Vorsitzende der Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, drohte der Regierung mit wochenlangen Protesten. Der Streik sei in vielen Bereichen verlängerbar, „das ist sicher“, sagte er in Paris.

Vereinzelte Ausschreitungen

In Paris und anderen Städten kam es am Donnerstag vereinzelt zu Ausschreitungen. Am Nachmittag gingen in der Hauptstadt Fahrzeuge in Flammen auf, Vermummte schlugen Scheiben ein, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. Die Stimmung ist laut Reportern angespannt. Die Polizei nahm Dutzende Menschen fest und kontrollierte mehr als 9.000.

Ein Containerwagen ist umgefallen und steht in Flammen
APA/AFP/Zakaria Abdelkafi
In Paris brannten vereinzelt Fahrzeuge

Auch im westfranzösischen Nantes kam es laut Berichten zu Krawallen. In Südfrankreich wurde eine ölverarbeitende Anlage von Protestierenden blockiert. Aktivisten der Umweltbewegung Extinction Rebellion (XR) in Frankreich setzten nach eigenen Angaben Tausende Elektrotretroller in mehreren französischen Städten außer Betrieb. XR nannte die Roller „Streikbrecher“.

Cornelia Primosch aus Paris

ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch berichtet über die Proteste in Frankreich. Es gingen mehr Menschen auf die Straße als bei den Gelbwesten-Protesten.

Verkehr lahmgelegt

Der Generalstreik führte am Donnerstag zu starken Verkehrsbehinderungen. Vor allem die Region Paris war betroffen. Neben dem Bahnverkehr fielen auch Flugverbindungen aus. So sagte etwa die AUA ihren Frühflug nach Paris sowie den damit verbundenen Rückflug ab. Die staatliche französische Bahngesellschaft SNCF strich 90 Prozent der TGV-Verbindungen und 80 Prozent der Regionalzüge.

In Paris lag der Verkehr auf elf der 16 Metrolinien lahm. Wegen des eingeschränkten öffentlichen Verkehrs stiegen viele Pendler und Pendlerinnen auf Autos um. Vor allem in der Hauptstadtregion Paris staute sich der Verkehr, berichteten französische Medien. Insbesondere im Schienenverkehr dürften die Proteste fortgesetzt werden, im öffentlichen Nahverkehr in Paris auch bis Montag.

Demonstranten mit Gasmasken werfen Tränengaskanister zurück
APA/AFP/Thomas Samson
Die Proteste verliefen verhältnismäßig ruhig, vereinzelt kam es zu Krawallen

Für den Freitag rechnet die Staatsbahn SNCF nach eigenen Angaben mit sehr starken Störungen des Verkehrs. Die französische Zivilluftfahrtbehörde DGAC rief die Fluggesellschaften auf, ihr Flugaufkommen um 20 Prozent zu reduzieren. Betroffen sind nach DGAC-Angaben die Flughäfen Charles de Gaulle und Orly in Paris, der etwas außerhalb von Paris gelegene Flughafen Beauvais sowie Lyon, Marseille, Toulouse und Bordeaux.

Eiffelturm geschlossen

Dem Streik bei der Bahn und im Pariser Nahverkehr schlossen sich am Donnerstag unter anderen Feuerwehrleute sowie Mitarbeiter von Schulen, Krankenhäusern und der Müllabfuhr an. Die Streiks trafen auch Paris-Touristen: Das Wahrzeichen der Hauptstadt, der Eiffelturm, blieb am Donnerstag geschlossen. Wie die Betreibergesellschaft SETE mitteilte, gab es nicht ausreichend Personal, um die Touristenattraktion an der Seine zu öffnen.

Massenproteste in Frankreich

Zahlreiche große Streiks gegen die geplante Pensionsreform der Regierung von Präsident Emmanuel Macron haben in Frankreich den öffentlichen Verkehr fast komplett lahmgelegt.

Premierminister Edouard Philippe sagte am Rande einer Krisensitzung der Regierung, er danke den Gewerkschaften für die größtenteils friedlich verlaufenen Demonstrationen. Der Premier will die umstrittene Pensionsreform Mitte der kommenden Woche erstmals im Detail vorstellen.

Macron will an Plänen festhalten

Macrons Büro erklärte, der Präsident halte „entschlossen“ an seinem Plan fest. Macron will Frankreichs veraltetes Pensionssystem vereinfachen, das mehr als 40 verschiedene Pensionsformen umfasst. Dabei variieren Pensionseintrittsalter und -leistungen. So können beispielsweise Bahnangestellte wesentlich früher in Pension gehen als andere Beschäftigte. Auch Seeleute werden privilegiert. Sie können mit 37,5 Beitragsjahren mit 52,5 Jahren in Pension gehen und damit fast zehn Jahre früher als ein normaler Arbeiter.

EIne Demonstrantin mit einem Schild „Make our retraites great again“
APA/AFP/Lionel Bonaventure
Diese Demonstrantin will die Pensionen „wieder großartig machen“

Die Sonderregeln gehen auf die Zeit von König Ludwig XIV. zurück – also auf das 17. Jahrhundert. Laut OECD-Daten steckt Frankreich rund 14 Prozent der Wirtschaftsleistung in das Pensionssystem, in Österreich sind es 13,3 Prozent und in Deutschland zehn Prozent. Künftig soll es in Frankreich ein Punktesystem geben, das sich nach der Dauer der Beitragsjahre richtet, so der Vorschlag. Das neue System soll von 2025 an eingeführt werden. Gewerkschaften fordern aber eine „Großvaterklausel“. Mit dieser wären nur Berufseinsteiger von den neuen Regeln betroffen. Die Regierung spricht sich dagegen aus.