Wald
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Nur wenige Details

Die weißen Flecken im „Green Deal“

Kein Auftritt der frischgebackenen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ohne ihr Herzensprojekt, den „Europäischen Green Deal“. Am Mittwoch wurde dieser in Brüssel dem EU-Parlament vorgestellt und verheißt Großes, um in der EU eine verbindliche Klimaneutralität bis 2050 zu schaffen. Der politische Tatendrang ist enorm, doch fielen in erster Linie Schlagworte. Mit der genauen Umsetzung blieb die Kommission vage.

Das Dach des „Green Deal“ bildet die Klimaneutralität. Das bedeutet, dass die EU mit all ihren Mitgliedsstaaten bis 2050 nicht mehr Treibhausgas produziert, als sie an Ausgleichsmaßnahmen wie Aufforstung und CO2-Speicherung anbietet. Die Maßnahmen sollen alle Politikbereiche betreffen – Steuern, Verkehr, Landwirtschaft, Industrie, den Gebäudesektor und so weiter.

Fossile Energieträger, in erster Linie Erdöl und Kohle, sollen so rasch wie möglich durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Als Beispiel führt der „Green Deal“ die „Offshore Wind Initiative“ an, also einen Windpark, der 2020 umgesetzt werden soll. „Wir haben noch nicht alle Antworten“, sagte von der Leyen, die den Deal bereits vor Monaten erstmals angekündigt hatte. „Heute ist der Beginn einer Reise.“

Windpark
APA/dpa/Jens Wolf
Windkraft soll ausgebaut werden – dafür gibt es auch schon ein konkretes Projekt für 2020

Im Bereich Verkehr und Transport sollen die Elektromobilität und auch Wasserstoff ausgebaut werden. Die Steuerbefreiungen für Treibstoffe in der Luft- und Schifffahrt sollen dagegen gestrichen werden. Den Anteil der Gratiszertifikate im Emissionshandel will die EU-Kommission deutlich reduzieren und auch den Straßenverkehr in den Emissionshandel einbeziehen. Auch ein flächendeckendes europäisches Bahnnetz findet sich im „Green Deal“ – als echte Alternative zum Flugzeug, wie es heißt. Bahnfahren soll billiger werden als Fliegen. Wie genau? Das blieb noch offen.

Milliardenschweres Unterstützungspaket

Den Agrarsektor und den Umweltbereich will die Kommission „grüner“ gestalten, also Pestizide reduzieren und Wälder aufforsten. Weiters setzt der „Green Deal“ auf die Wiederverwertbarkeit von Produkten. Vor allem vonseiten der Wirtschaft besteht die Sorge – wohl auch ob der bisher allgemein gehaltenen Ankündigungen –, dass all das Verlierer mit sich bringen könnte. Von der Leyens Lösung: der „Just Transition Mechanism“, also ein gerechter Übergangsmechanismus für Regionen und Unternehmen.

100 Milliarden Euro will die Kommissionspräsidentin dafür lockermachen. Die Gesamtkosten für den „Green Deal“ sind noch viel höher: Von der Leyen setzt auf Investitionen in der Höhe von einer Billion Euro. Das Geld soll einerseits von den Mitgliedsstaaten kommen, aber vor allem über die Europäische Investitionsbank (EIB) sowie Grüne Anleihen.

„EU-Kommission sollte hart auf die Bremsen steigen“

Dabei soll die europäische Wirtschaft stets geschützt werden, schließlich droht ein Wettbewerbsnachteil von EU-Firmen, wenn gleichzeitig klimaschädliche Produkte importiert würden. Deshalb soll es Importhürden für Staaten außerhalb der EU geben, wenn sie nicht klimafreundlich produzieren. „Der ‚Europäische Green Deal‘ ist unsere neue Wachstumsstrategie – für ein Wachstum, das mehr zurückgibt als wegnimmt“, so von der Leyen am Mittwoch.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Reuters/Francois Lenoir
Von der Leyens „Green Deal“ soll Europa verändern und das Klima retten

Genau das kritisierten NGOs in Brüssel scharf. Friends of the Earth Europe (FOE) etwa prangerte das „Trara“ um wenig Inhalt an, wie es in Aussendungen heißt. FOE-Direktorin Jagoda Munic findet die Versprechungen zu weit von der Realität entfernt. „Präsidentin von der Leyen hält an der alten konsum- und wachstumsbesessenen Ökonomie fest“, so Munic. „Die EU-Kommission schaltet langsam auf einen anderen Gang, statt hart auf die Bremsen zu steigen.“

Von der Leyen bezeichnete den „Green Deal“ dennoch als „Mensch auf dem Mond“-Moment. Neben Hoffnung beweise das aber auch, „dass sie in vielen Bereichen, zum Beispiel einem Ausstieg aus fossilem Gas, einem klaren Nein zu mehr EU-Geldern für fossile Brennstoffe und mit ihrem gefährlichen Optimismus gegenüber unsicheren Technologien wie CCS, CCU (CO2-Abscheidung und -Speicherung, Anm.) leider weiterhin hinterm Mond lebt“, reagierte Frida Kieninger von Food & Water Europe auf den „Green Deal“.

Was sind „saubere Technologien“?

EU-Geld soll nur mehr in „saubere Technologien“ fließen, versichert die Kommission – Kohle und auch Atomenergie werden nicht als unterstützenswert angesehen. Doch diverse Ankündigungen der letzten Tage durch von der Leyen und Frans Timmermans, Vizepräsident der Kommission und für den „Green Deal“ verantwortlich, deuten darauf hin, dass auch Innovationen und Technologien zu Wasserstoff, Erdgas und CO2-Speicher zumindest in der Übergangsphase finanziert werden dürften. Ob diese tatsächlich so „grün“ sind, daran zweifelte zuletzt auch Kieninger am Beispiel Wasserstoff: „96 Prozent des gehandelten Wasserstoffs basieren auf fossilen Brennstoffen, und so wird verschleiert, was eigentlich dahintersteckt“, so die NGO-Vertreterin zu ORF.at.

An CO2-Speicherung zweifelt zum Teil auch die Wissenschaft. Ihr Ziel ist es, der Reduzierung von Emissionen in die Atmosphäre durch Einlagerung in unterirdischen Lagerstätten vorzubeugen. Die Technologie steckt allerdings noch in den Kinderschuhen und birgt einer Studie der Stanford-Universität zufolge große Risiken. Durch den hohen Druck bei der Verpressung können etwa Risse im Deckgebirge sowie Erdbeben die Folge sein. Das gespeicherte Kohlenstoffdioxid könnte so wieder in die Atmosphäre entweichen.

Grafik zum Green Deal
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: EU-Kommission

Im „Green Deal“ angesprochen ist etwa die energieintensive Stahlherstellung unter dem Schlagwort „Clean Steel“, also „sauberer Stahl“. Die Stahlproduktion soll bis 2030 kohlefrei sein. Das betrifft auch die voestalpine als einen der größten Stahlhersteller in der EU. Dort arbeitet man laut eigenen Angaben „bereits mit Hochdruck an der Erarbeitung technischer Szenarien, um die Dekarbonisierung der Stahlproduktion weiter voranzutreiben“ und setze explizit auf Wasserstoff. „Für diese Transformation ist allerdings die ausreichende Verfügbarkeit von erneuerbarem (‚grünem‘) Strom zu wirtschaftlichen Konditionen notwendig. Die heutige Netzinfrastruktur ist dafür nicht ausreichend und muss dringend verstärkt werden“, heißt es dazu in einem Statement an ORF.at.

Europäischer Green Deal

Kein Auftritt der frischgebackenen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ohne ihr Herzensprojekt, den „Europäischen Green Deal“. Am Mittwoch wurde dieser in Brüssel dem EU-Parlament vorgestellt.

Letztentscheidung bei Mitgliedsstaaten

Doch die Letztentscheidung und auch die Verantwortung, wo die Energie künftig herkommt, liegen bei den Mitgliedsstaaten. Das betonte auch Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg. Österreichs Position sei aber geklärt, sagte er am Dienstag in Brüssel. „Wir haben eine ganz klare Linie zur Atomkraft, sie ist für uns einfach keine nachhaltige Energiegewinnungsform“, so Schallenberg. „Für uns ist klar, dass, wenn man über Klima redet, dann ist Atomenergie genauso wenig Teil davon wie Kohleenergie.“

Kohlekraftwerk
Reuters/Kacper Pempel
Kohlekraftwerke wie hier in Polen sollen nach und nach verschwinden

Das bestätigte am Mittwoch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein: „Wir dürfen weder die Bedürfnisse der Wirtschaft vergessen, noch dürfen wir uns im Einsatz gegen CO2-Emissionen anderen schädlichen Energieformen wie etwa Nuklearenergie verschreiben“, sagte Bierlein. Österreich importiert laut IG Windkraft derzeit rund 15 Prozent an Nettostrom, darunter Atom- und Kohlestrom. Auch Deutschland will Atomstrom und Kohle den Rücken zukehren, anders als beispielsweise Frankreich, das 75 Prozent seiner Energie aus Atomkraft gewinnt. „Atomenergie sollte Teil dieses Ökolabels sein“, sagte Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire noch im Oktober.

Umfassender Plan für Oktober 2020 vorgesehen

Geht es nach der Kommission, soll bereits bis März 2020 ein erstes europäisches Klimagesetz vorliegen, in dem die Klimaneutralität Europas ab 2050 verbindlich festgeschrieben werden soll. Bis Oktober 2020 will die Kommission dann einen umfassenden Plan vorlegen, wie das EU-Ziel für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 auf mindestens 50 Prozent und in Richtung 55 Prozent angehoben werden kann.

Umweltschutzorganisationen ist das jedoch nicht hoch genug, sie fordern 65 Prozent der Reduzierung von Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990. Bisher hatte die EU offiziell das Ziel, bis 2030 bei den Treibhausgasen um 40 Prozent unter den Wert von 1990 zu kommen. Ende November hatte das EU-Parlament den Klimanotstand ausgerufen.