Zuckerwürfel auf einem Löffel
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Süßstoffe

Mit Zucker oder ohne – Frage der Definition

Gerade in der Weihnachtszeit ist Süßes allgegenwärtig: Vanillekipferl, Kekse und Marzipan pflastern alljährlich den Weg zur Bescherung. Wer Zucker meiden will, kann inzwischen aus einer Fülle von Alternativen wählen, alles mit Vor- und Nachteilen. Zwischen Süß- und Austauschstoffen, zuckerfreien und Produkten ohne Zuckerzusatz ist für jeden Geschmack etwas dabei. Schwierig ist aber, sich im Etikettendschungel zurechtzufinden.

Der Mensch hat eine angeborene Vorliebe für süßen Geschmack, aus gutem Grund: Sie weist uns den Weg zu einer guten Energiequelle. „Aus evolutionärer Sicht ist dies sinnvoll, um die Akzeptanz der Muttermilch zu sichern“, so die Chemikerin Barbara Lieder vom Christian Doppler Labor für Geschmacksforschung an der Fakultät für Chemie der Universität Wien. Im Alter verliert sich diese Präferenz ein wenig, hinzu kommt aber erlerntes Verlangen, etwa weil Süßes mit Belohnung verknüpft wird, so Lieder.

Zucker, also Saccharose, kommt in vielen Obst- und Gemüsesorten vor und ist eine wichtige Energiequelle. Aber „die Dosis macht das Gift“, sagt die Expertin. Zucker muss nicht, aber kann bei übermäßigem Konsum zu Gesundheitsproblemen führen. Adipositas, Diabetes und Zahnprobleme sind mögliche Folgen. Und in Österreich wird zu viel Zucker konsumiert: mit 92 Gramm am Tag fast doppelt so viel wie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen (50 Gramm).

Die Vorteile des Zuckers

Zucker ist beliebt, aus vielen Gründen, wie die Agrana, Österreichs Zuckerkonzern, betont. Das Unternehmen sieht im Zucker „als reines Naturprodukt ein Grundnahrungsmittel, das gut schmeckt und im richtigen Verhältnis wichtiger Bestandteil unserer Nahrungsmittel ist“. Bei den verschiedenen Ersatz- und Austauschmitteln – „seien es natürliche oder synthetische – muss man genauer hinsehen bezüglich Geschmack, Eignung zum Backen, physiologische Nebenwirkungen. Es steht hier Chemie gegen Natur“, so das Unternehmen gegenüber ORF.at

Rüben- oder Rohrzucker?

Rübenzucker besteht genauso aus Saccharose wie Rohrzucker. Der Unterschied besteht darin, dass im einen Fall Zuckerrüben, im anderen Zuckerrohr den Rohstoff abgeben. Die Farbe des Zuckers sagt übrigens nichts über seinen Ursprung aus.

In Österreich wird der Zucker tatsächlich aus heimischen Zuckerrüben gewonnen. Diese werden im Herbst geerntet und in den beiden Zuckerfabriken der Agrana in Niederösterreich verarbeitet. Die Rüben werden dort zerhackt, der Zucker aus den Rübenschnitzeln extrahiert. Der entstandene Saft wird eingedickt, kristallisiert, anschließend der Zucker abgetrennt. Heimischer Zucker ist also tatsächlich ohne Zusatzstoffe, regional und gentechnikfrei hergestellt. Aber auch hier sind viele Verarbeitungsschritte nötig.

Süßungsmittel im Wettlauf

Die Suche nach Alternativen ist alt, die antiken Römer benutzten etwa schon eingekochten Traubenmost oder Honig. Der erste künstliche Süßstoff, Saccharin, wurde vor rund 140 Jahren zufällig entdeckt. Gerade in den jüngsten Jahren nahm die Anzahl der Alternativen noch einmal stark zu. Hier rückte zuletzt etwa pflanzlicher Ersatz in den Fokus, aber auch Süßstoffe wie Stevia.

Frauen in Paraquay sortieren Stevia-Pflanzen aus
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Stevia-Pflanzen stammen aus Südamerika. Sie durchlaufen etliche Produktionsschritte auf dem Weg zum Süßungsmittel.

Pflanzliche Süßungsmittel sind etwa Kokosblütenzucker, Traubenzucker und Ahornsirup. Kokosblütenzucker (oder Palmzucker) eignet sich etwa durch seinen niedrigen glykämischen Index für Diabetiker. Der glykämische Wert eines Lebensmittels gibt an, wie stark dieses den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt. Ist der Wert niedrig, steigt der Blutzuckerspiegel langsamer und gleichmäßiger an, anstatt in die Höhe zu schnellen. Kokosblütenzucker enthält auch Mineralstoffe. Beim Kalorien- und Kohlehydrateanteil liegt er aber ähnlich hoch wie weißer Zucker. Zudem eignet er sich nicht zum Backen und ist im Vergleich teuer.

Stevia-Hype hielt nicht lange

Stevia, zugelassen seit 2011 nur als Steviolglykosid (E 960), erlebte einen kurzen Hype durch große Marken, die es ins Sortiment miteinfließen ließen. Wie auch andere solcher Süßstoffe enthalten Steviolglykoside keine Kalorien, verursachen kein Karies und sind auch für Diabetiker geeignet. Ihre Süßkraft ist rund 300-mal stärker als die des weißen Zuckers.

Süßstoff, Zuckerersatzstoff und Austauschstoff

Zuckerersatzstoff ist der Überbegriff für Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe. Süßstoffe haben keine bis kaum Kalorien und sind oft synthetisch hergestellt. Sie haben die 30- bis 10.000-fache Süßkraft von Zucker. Austauschstoffe sind chemisch gesehen meistens Zuckeralkohole. Ihre Süßkraft ist ähnlich dem Haushaltszucker, sie sind nicht kariesfördernd, können aber abführend wirken.

Die Gewinnung des Süßstoffs ist allerdings industriell aufwendig und wenig „natürlich“, anders als oft beworben. Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA empfiehlt zudem, die Tagesdosis gering zu halten. Das wohl größte Hindernis für Stevia, sich auf dem Markt durchzusetzen, war aber der starke Eigengeschmack, der oft zu Ablehnung führte. Zudem sind Produkten mit Steviasüße oft auch noch andere Süßungsmittel zugesetzt.

Ein ganz anderes Kapitel sind Zuckeraustauschstoffe wie Erythrit und Birkenzucker (Xylit). Auch sie wurden in den letzten Jahren von Industrie und Konsumenten entdeckt. Beide sind mittlerweile auch in herkömmlichen Supermärkten zu finden. Sie werden Zuckeraustauschstoffe genannt, weil zum Beispiel bei Diabetes Zucker gegen sie ausgetauscht werden kann.

Süßes, das Karies verhindert

Sie sind meistens Zuckeralkohole (Polyole) und haben eine ähnliche oder leicht geringere Süßkraft als Zucker – aber weit weniger Kalorien. Zudem erhöhen sie den Blutzuckerspiegel nicht. Sie haben nichts mit herkömmlichem Alkohol zu tun, denn es fehlt ihnen das Ethanol. „Alkohol“ ist hier eine chemische Klassifizierung. Ihre Herstellung ist allerdings ebenfalls aufwendig und hochtechnologisiert, wie Kritiker bemängeln.

Erythrit hat fast keine Kalorien und beinahe die gleiche Süßkraft wie Zucker. Der Blutzucker steigt hier ebenfalls nicht an, auch die Zähne nehmen keinen Schaden. Die Herstellung erfolgt durch die Fermentation von Traubenzucker. Der Rohstoff ist meist Maisstärke, die ohne das Label „bio“ je nach Herkunft gentechnisch verändert sein kann.

Novel-Food-Verordnung

Alle neuartigen Lebensmittel werden auf ihre Sicherheit geprüft, bevor sie in der EU in Verkehr gebracht werden können. Aktuell sind in der EU 19 Süßungsmittel zugelassen: acht Zuckeralkohole und elf Süßstoffe.

Dem Geschmack von Zucker kommt am nächsten der Birkenzucker oder Xylit (E 967). „Wir hatten Blindverkostungen, und die Menschen erkennen da fast nie einen Unterschied“, sagt Marek Makowski, Geschäftsführer der österreichischen Firma Birkengold. Xylit erhöht den Blutzuckerspiegel kaum und hat weniger als die Hälfte der Kalorien von herkömmlichem Zucker. Und: Xylit schadet den Zähnen nicht nur nicht, sondern verhindert sogar Karies. Es wird daher auch oft in Zahnpasten und Kaugummis verwendet.

Rohstoff vom Faserhersteller

Kritiker bemängeln, der Name Birkenzucker sei irreführend, wegen der aufwendigen und zahlreichen Produktionsschritte und da Xylit oft auch aus Mais gewonnen wird. Tatsächlich gibt es beide Arten, den traditionellen Stoff, der aus Birken- oder Buchenrinde gemacht wird, und jenen aus Maiskolben. Der Birkengold-Geschäftsführer betont, dass man Xylit aus Mais erst anbietet, seit es das Label „bio“ tragen darf, denn der Mais stammt aus Asien. Daher werde streng geprüft. Der Ursprungsstoff für konventionelles Xylit stamme hingegen aus Österreich, die Verarbeitung erfolge in Finnland, wo Xylit schon seit rund 40 Jahren verwendet wird.

Stevia, Erythritol und Xylitol
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Drei Süßungsmittel in unterschiedlichen Formen: Stevia, Erythrit und Xylitol. Alle werden auch in kristalliner Form angeboten

Hier liefert Lenzing die Xylose („Holzzucker“), wie der oberösterreichische Faserhersteller bestätigt. Ein Trend, der sich auch in Mitteleuropa langsam durchsetzt. Heuer habe die Firma rund 100 Tonnen an Xylit in verschiedener Form vertrieben. Auch hier gibt es allerdings die andere Seite der Medaille: Xylit ist für Haustiere, besonders für Hunde giftig. Beim Menschen kann es in größeren Mengen abführend wirken.

Zuckermarkt leidet

In Summe also viel Konkurrenz für den traditionellen Zucker, der auch durch den Fall der EU-Zuckerquote unter Druck geraten ist. Für die Agrana macht die Zuckersparte inzwischen nur noch 20 Prozent ihres Umsatzes aus, auch die Zahl von Rübenbauern und Anbaufläche schrumpft. Zucker soll aber ein wichtiges Standbein bleiben, so die Agrana. „Auf Jahressicht erwarten wir im Segment Zucker eine Erholung“, so der Konzern. Auch in Zukunft werde Zucker durch Vielfalt, Reinheit und Gentechnikfreiheit „ein attraktives Produkt“ sein.

In den Zuckerregalen findet sich jedenfalls für Traditionalisten ebenso Passendes wie für Gesundheitsbewusste oder Fitnessanhänger. Die eine Lösung für alle gibt es nicht. „Eine generelle Empfehlung bezüglich eines Stoffes ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht möglich, es kommt immer auf den Einsatzzweck an“, so Geschmacksforscherin Lieder.

Zuckerquote

In der EU fiel die Zuckerquote 2017. Seither gelten keine garantierten Mindestpreise mehr für in der EU angebaute Zuckerrüben. Auch die Quoten und Begrenzungen europäischer Produktion von Zucker und Glukosesirup sowie Exportbeschränkungen fielen weg.

Vernunft und Maß

Für Ernährungsberater ist klar, dass neben ausreichend Bewegung grundsätzlich eine ausgewogene Ernährungsweise wichtig ist. Dann kann auch Süßes einen Platz haben, wie Marlies Gruber vom forum.ernährung heute sagt. Auch sie will keinen bestimmten Stoff empfehlen, „da wir nicht den Eindruck erwecken wollen, dass allein der Austausch einer Ingredienz – also die Verwendung eines Zuckerersatzes – eine ansonsten einseitige Ernährung ausgleichen könnte“. Süßes darf sein „wie alles, in Maßen und mit Genuss“.

Für Gruber werden Ernährungsdebatten oft zu eng geführt: „Entweder werden ‚Super-Foods‘ propagiert oder einzelne Lebensmittel deutlich negativ konnotiert. Beides führt an den eigentlichen Herausforderungen gesunder Ernährung und vernünftiger Bewusstseinsbildung vorbei.“