Containerschiff in Los Angeles
Reuters/Mike Blake
Neue Vorschriften

Schifffahrt auf Suche nach grünerem Kurs

Ab 1. Jänner 2020 müssen alle Schiffe laut Bestimmung der Schifffahrtsbehörde IMO (International Maritime Organization) den Ausstoß von Schwefeloxiden um 85 Prozent reduzieren. Zugelassen sind dann nur noch Brennstoffe mit einem Schwefelgehalt von maximal 0,5 statt wie bisher 3,5 Prozent. In der Branche herrscht tiefe Verunsicherung.

Viele Reeder hatten gehofft, dass der Stichtag noch einmal verschoben oder eine Übergangsfrist festgelegt werde. Doch das passierte nicht, der strengere Schwefelwert gilt mit Jahresbeginn. Um diesen einzuhalten, kommen drei Möglichkeiten infrage: Schiffsbetreiber wechseln von Schweröl auf Schiffsdiesel, bauen in die Schiffe eine Abgasreinigungsanlage ein oder rüsten das gesamte Schiff auf verflüssigtes Erdgas als Treibstoff um. Doch Unwägbarkeiten tun sich bei jeder Option auf.

Die meisten Reeder werden den Umstieg auf schwefelarmen Kraftstoff, Very Low Sulphur Fuel (VLSF), oder auf Marinedieselöl (MGO) wählen – in Deutschland planen etwa 80 Prozent der Schiffsbetreiber diesen Schritt, wie der Verband Deutscher Reeder (VDR) unlängst bekanntgab. „Allerdings sind die Kosten, die breite Verfügbarkeit und die Spezifikationen eines neuen Kraftstoffs für den Einsatz in Schiffsmaschinen noch ungewiss. Die Erdölindustrie muss Raffinerien und Lieferketten anpassen und wird diese Kosten wahrscheinlich an den Markt weitergeben“, hieß es seitens des Schweizer Logistikunternehmens Kühne + Nagel.

Zudem besteht Brancheninsidern zufolge die Gefahr, dass sich durch die Vermischung von verschiedenen Arten des neuen Kraftstoffs Rückstande bilden, die den Motor verstopfen und letztlich auch demolieren könnten.

Containerschiff
Reuters/Piroschka Van De Wouw
Mit Jahresbeginn müssen alle Schiffe den Ausstoß von Schwefeloxiden um 85 Prozent reduzieren

Die Crux mit den Scrubbern

Auch schwefelreichere Kraftstoffe können weiter genutzt werden – diese müssen künftig aber Anlagen zur Abgasnachbehandlung durchwandern. Nur mit diesen Scrubbern, die den Schwefel aus den Schwerölabgasen extrahieren, können die Emissionsvorschriften eingehalten werden. Der Haken dabei: Der Einbau eines Scrubbers kostet mehrere Millionen Euro und ist, einem Bericht des „Tagesspiegels“ zufolge, alles andere als treffsicher.

Fast alle Hochseeschiffe mit Abgasvorrichtung kippen ihre Schwefelabwässer einfach ins Meer, wie es in dem Artikel unter Berufung auf eine Statistik der DNV GL, des weltweit größten Schiffsklassifikationsunternehmens, heißt. Lediglich 63 der dort aufgeführten 3.816 Schiffe hätten einen in sich geschlossenen Abgaswäscher installiert (Closed-Loop-Scrubber). Nur bei diesen werden die Schwefelabwässer in Tanks gespeichert, bevor die Schiffe sie in einer sicheren Entsorgungsanlage in einem Hafen ableiten.

Die anderen (Open-Loop-Scrubber) entleeren die Schwefelabwässer in die Gewässer – ganz legal. Der deutsche Umweltverband NABU übte laut „Tagesspiegel“ heftige Kritik an dem Konstrukt. „Die Scrubber waren eine Fehlentscheidung“, hieß es dort. „Eigentlich müssen wir sie wieder loswerden. Sie sind nichts anderes als eine Umleitung der Verschmutzung von der Luft ins Wasser.“ Einige Regionalhäfen haben entsprechend Regeln erlassen, um deren Einsatz zu verhindern.

Nicht erdölbasierte Kraftstoffe noch unbedeutend

Die dritte, zweifellos umweltverträglichste Lösung, um die neuen Schwefelgrenzwerte einzuhalten, wäre der Umstieg auf verflüssigtes Erdgas (LNG) – derzeit spielt das in der Schifffahrt aber nur eine marginale Rolle, zu hoch scheinen den Reedern noch die Mehrkosten. Laut der in Hamburg ansässigen Maritime LNG Plattform wird die Umstellung der globalen Schifffahrt auf klimafreundlichere Treibstoffe noch Jahrzehnte dauern. Zwar könnten immer mehr Schiffe LNG tanken, doch derzeit seien weltweit nur einige hundert Schiffe solcherart unterwegs – bei einer Weltflotte von 50.000 bis 80.000 Schiffen.

Ein MSC Frachtschiff
AP/Lynne Sladky
Die Schweizer Reederei MSC gehört zu den größten CO2-Emittenten Europas

Gewaltiger CO2-Emittent

Durch LNG als Treibstoff werden Feinstaub, Stickoxide und Schwefel deutlich reduziert, CO2 jedoch nur zu 20 Prozent. Dabei gehen drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen laut einer aktuellen Studie der ETH Zürich auf das Konto der Schifffahrt. Die Branche hat sich das Ziel gesteckt, bis 2050 die Kohlendioxidemissionen auf die Hälfte – im Vergleich zu 2008 – zu senken.

Die Umsetzung könnte schwierig werden: „In den Niederlanden, wo mit Rotterdam der mit Abstand größte Tiefwasserhafen Europas liegt, produziert die Schifffahrt mehr CO2 als alle zugelassenen Autos zusammen“, fasste das „Handelsblatt“ Mitte Dezember eine neue Studie des europäischen Think Tanks Transport & Environment (T&E) zusammen.

Während Autohersteller mit strengen Grenzwerten auf den Klimaschutz ausgerichtet würden, werde die Schifffahrt zu zögerlich reguliert, kritisierte T&E. Und wie bei den Autoherstellern lägen die offiziell kommunizierten Emissionswerte und die realen Emissionswerte weit auseinander. Alleine in der Containerschifffahrt würden 22 Millionen Tonnen CO2 mehr emittiert als ausgewiesen, hieß es in der Studie.

Größter Emittent der Schifffahrt in Europa ist laut „Handelsblatt“ die Schweizer Reederei MSC mit elf Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2018 – was sogar den Kohlendioxidausstoß der Billigfluglinie Ryanair übertrifft. Die Reedereien müssten darum über einen „European Maritime Climate Fund“ gezwungen werden, für ihre CO2-Emissionen zu zahlen, schrieb T&E.

„Green Shipping“ – Gefährdung für die Konjunktur?

Erst einmal müssen die Reeder aber danach trachten, die neuen Schwefelgrenzwerte einzuhalten. Das allein stellt die Branche vor große Herausforderungen, die Strafen bei Verstoß sollen rigide ausfallen: „Je nach Rechtsprechung muss mit hohen Bußgeldern, Schiffshaft oder sogar der Inhaftierung des Kapitäns gerechnet werden“, heißt es bei Kühne + Nagel.

Die internationalen Reedereien rechnen laut einer Umfrage damit, bis 2023 mehr als 250 Mrd. Dollar (215 Mrd. Euro) für Investitionen und Betriebskosten im Bereich „Green Shipping“ aufwenden zu müssen. Manche Analysten wie Per-Ola Hellgren von der deutschen LBBW Research beschwören gar ein globales Krisenszenario herbei: „Als Konsequenz (der verschärften Regelung, Anm.) könnte das Weltwirtschaftswachstum 2020 spürbar geringer ausfallen, da mehr als 80 Prozent des Welthandels über die Schifffahrt abgewickelt werden. Die Einführung zum Jahreswechsel würde damit die Gefahr einer weltweiten Rezession erhöhen.“

Und auch bei den Kosten für die Branche sieht der Analyst schwarz: Laut einer Studie von S&P Global Platts würden sich diese in den kommenden fünf Jahren auf mehr als eine Billion US-Dollar belaufen. Die vorgeschriebene Senkung des Schwefelanteils sei die größte Veränderung der Schiffskraftstoffe seit der Umstellung von Kohle auf Öl um 1930.