Eisschmelze in Grönland
AP/Felipe Dana
Elf Millimeter

Grönland-Eisschmelze hob Meeresspiegel an

Das schmelzende Grönlandeis hat den weltweiten Meeresspiegel seit 1992 bereits um 10,6 Millimeter steigen lassen. Das zeigen Ergebnisse einer umfangreichen Untersuchung, die sich auf 26 verschiedene Satellitenmessreihen stützt.

Von 1992 bis 2018 seien etwa 3.800 Milliarden Tonnen Eis geschmolzen und ins Meer geflossen, schreibt eine Gruppe von 96 Forscherinnen und Forschern von 50 internationalen Organisationen in der Fachzeitschrift „Nature“. Bei Fortsetzung des Trends könnte der schmelzende Eisschild Grönlands bis 2100 etwa 20 Zentimeter zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen.

Die Satellitendaten, die das Team um Andrew Shepherd von der britischen University of Leeds und Erik Ivins vom NASA Jet Propulsion Laboratory im kalifornischen Pasadena vorstellte, basieren auf drei unterschiedlichen Methoden. Gemessen wurden die Höhe der Gletscher, ihre Fließgeschwindigkeit und die Schwerkraft.

Eisschmelze in Grönland
AP/Into the Ice/Caspar Haarløv
Riesige Mengen an Grönlandeis fließen jährlich ins Meer

239 Milliarden Tonnen Eis flossen 2017 ins Meer

Die Forscher kombinierten die Daten unter Verwendung verschiedener Modelle, etwa zur Bodenhebung wegen der abnehmenden Eislast und zur Massenbilanz an der Eisoberfläche. Damit erstellten sie nach eigenen Angaben das bisher vollständigste Bild des grönländischen Eisverlusts.

Die Messreihen zeigen die Veränderungen seit Anfang der 1990er Jahre. Waren es von 1992 bis 1997 etwa 18 Milliarden Tonnen Eis, die jährlich ins Meer flossen, so schmolzen von 2012 bis 2017 jedes Jahr rund 239 Milliarden Tonnen des Eisschildes – etwa das 13-Fache. Zwischendurch war die Rate noch höher mit dem Höhepunkt im Jahr 2011, als 335 Milliarden Tonnen Eis schmolzen. Durch Veränderungen der Luftdruckverhältnisse über dem Nordatlantik habe sich der Verlust ab 2012 abgeschwächt, schreiben Shepherd, Ivins und Kollegen.

Forscher warnt vor Überschwemmungen

Etwa 52 Prozent des Eisverlusts kommen durch das Abschmelzen an der Eisoberfläche und das abfließende Schmelzwasser zustande. Die übrigen 48 Prozent stammen von der zunehmenden Fließgeschwindigkeit der Gletscher und dem vermehrten Kalben am Meer. Insgesamt bewege sich die Schmelze eher im Bereich der schnelleren Erderwärmung, die der Weltklimarat (IPCC) in seinen Prognosen aus dem Jahr 2014 veröffentlichte.

„Nach den aktuellen Trends werden durch das Abschmelzen des Eises in Grönland gegen Ende des Jahrhunderts jedes Jahr 100 Millionen Menschen Überschwemmungen erleiden“, wird Shepherd in einer Mitteilung seiner Universität zitiert.

Teil des Gletschereises in Grönland bricht ab
APA/AFP/Jonathan Nackstrand
Grönlands Gletscher kalben zunehmend schneller

Insgesamt 400 Millionen Menschen würden betroffen sein, wenn auch der Eisverlust in der Antarktis berücksichtigt werde. Das Grönlandeis entspricht nur etwa zwölf Prozent des Antarktis-Eises, das aber langsamer schmilzt. Würde alles Eis von Grönland verschwinden, läge der weltweite Meeresspiegel um 7,4 Meter höher.

Anstieg um bis zu 60 Zentimeter befürchtet

Gudfinna Adalgeirsdottir von der Universität von Island in Reykjavik, die nicht an der Studie beteiligt war, erwartet für 2019 wieder einen stärkeren Anstieg des Eisverlusts. Die Hauptautorin des nächsten Berichts des Weltklimarats hat in diesem Sommer in Island ein stärkeres Abschmelzen der Gletscher beobachtet als in den vergangenen Jahren. „Ich würde einen ähnlichen Anstieg des Massenverlusts in Grönland für 2019 erwarten“, sagte sie laut Mitteilung der University of Leeds.

Laut einem IPCC-Sonderbericht über die Ozeane und die weltweiten Eis- und Schneevorkommen vom September sind die Meeresspiegel im 20. Jahrhundert bereits um 15 Zentimeter gestiegen – und diese Entwicklung beschleunigt sich. Bis 2050 dürften davon mehr als eine Milliarde Bewohnerinnen und Bewohner der Küstengebiete weltweit betroffen sein.

In dem Bericht wurde prognostiziert, dass – selbst wenn die Menschheit ihre Emissionen drastisch zurückfährt – die Ozeane bis zum Jahr 2100 um 30 bis 60 Zentimeter steigen. Bei einer fortgesetzten Zunahme der Treibhausgasemissionen dürfte der Anstieg laut Weltklimarat sogar 60 bis 110 Zentimetern betragen. Riesige Küstengebiete würden dadurch unbewohnbar.

Warnung vor Kettenreaktionen

Führende Klimaforscher warnten zuletzt auch in einem „Nature“-Kommentar davor, dass Kipppunkte im Erdsystem noch schneller erreicht werden und die globale Erwärmung dadurch noch drastischer ausfallen könnte. Das Risiko solcher unumkehrbaren Veränderungen sei bisher womöglich unterschätzt worden, hieß es.

Sie warnten vor bisher möglicherweise unterschätzten Kettenreaktionen und Rückkopplungen zwischen Ökosystemen. Als erste Hinweise darauf sahen sie, dass der Eisverlust der Arktis die Erwärmung der Region verstärkt, was wieder den Eisverlust fördert. Das schnellere Abschmelzen der Gletscher auf Grönland könne wiederum wichtige Atlantikmeeresströmungen stören, was Folgen für den Monsun in Westafrika und die Feuchtigkeit des Amazonas-Beckens mit seinen Regenwäldern haben könne. „Wissenschaftlich gesehen ist dies ein starker Beleg für einen planetaren Notfallzustand“, so der Klimaforscher Johan Rockström.