Mobile Mediennutzung
ORF.at/Lukas Krummholz
„Bundestrojaner“, Kennzeichenerfassung

VfGH kippt „Sicherheitspaket“ weitgehend

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat am Mittwoch wesentliche Teile des „Sicherheitspakets“ der ehemaligen ÖVP-FPÖ-Regierung gekippt. So wurden etwa der „Bundestrojaner“, mit dem das Mitlesen verschlüsselter Nachrichten ermöglicht werden soll, und die automatische Erfassung von Kennzeichen für verfassungswidrig erklärt, so VfGH-Vizepräsident Christoph Grabenwarter.

Die Erfassung und Identifizierung von Lenkern, die Verarbeitung von Daten aus Section-Control-Anlagen durch Sicherheitsbehörden, die Überwachung verschlüsselter Daten und die Ermächtigung zur Installation eines Programms zur Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern („Bundestrojaner“, Anm.) seien allesamt verfassungswidrig, sagte Grabenwarter.

61 Nationalratsabgeordnete von SPÖ und NEOS hatten die von ÖVP und FPÖ im Vorjahr beschlossene Ausweitung der Überwachungsbefugnisse vor dem VfGH angefochten. Die ÖVP-FPÖ-Regierung hatte die im April 2018 beschlossenen Maßnahmen als „Sicherheitspaket“ vermarktet, Kritikerinnen und Kritiker sprechen von einem „Überwachungspaket“.

Datenerfassung „unverhältnismäßig“

Das deshalb, weil die Behörden damit das Recht erhalten hätten, die von den Section-Control-Anlagen der Autobahnen erfassten Daten automatisch auszuwerten. Außerdem hätte die Polizei auf Überwachungskameras von Verkehrsbetrieben, Autobahnen und Flughäfen zugreifen können.

Verfassungsrichter im VfG zum Sicherheitspaket
APA/Hans Punz
Der VfGH verkündete am Mittwoch, dass weite Teile des Sicherheitspakets verfassungswidrig sind

Die „verdeckte Erfassung und Speicherung von Daten zur Identifizierung von Fahrzeugen und Fahrzeuglenkern“ sei „im Lichte des verfolgten Ziels unverhältnismäßig“, hieß es vom VfGH. Die Ermächtigung der Sicherheitsbehörden sei ein „gravierender Eingriff“ in die Geheimhaltungsinteressen im Sinne des Datenschutzgesetzes sowie das Recht auf Achtung des Privatlebens nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Auch die Verarbeitung von Daten aus der Section-Control wurde unter anderem mit Verweis auf die EMRK gekippt.

„Bundestrojaner“ hätte ab 2020 eingesetzt werden sollen

Das Gesetzespaket enthielt außerdem eine rechtliche Grundlage für die Installation von Spionagesoftware auf Mobiltelefonen und Computern. Dieser „Bundestrojaner“ sollte nach ursprünglicher Planung ab 2020 zum Einsatz kommen. Details darüber, welche Software dafür angeschafft wird, nannte das Innenministerium bisher nicht.

Auch hier sah der VfGH einen Konflikt mit der EMRK: „Die verdeckte Überwachung der Nutzung von Computersystemen“ stelle einen „schwerwiegenden Eingriff“ in die von der EMRK geschützte Privatsphäre dar und „ist nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes nur in äußerst engen Grenzen zum Schutz entsprechend gewichtiger Rechtsgüter zulässig“. Zwar räumte Grabenwarter ein, dass auch von anderen Überwachungsmaßnahmen wie etwa Videoüberwachung und Observation unbeteiligte Dritte betroffen sein können. Die verdeckte Infiltration von Computersystemen erreiche aber eine „signifikant erhöhte Streubreite“.

VfGH kippt „Sicherheitspaket“ weitgehend

Der Verfassungsgerichtshof hob am Mittwochvormittag eines der Prestigeprojekte der früheren ÖVP-FPÖ-Regierung auf.

Auch die Unverletzlichkeit des Hausrechts werde dadurch verletzt. Für die Installation des „Bundestrojaners“ sah das Gesetz auch das heimliche Eindringen in Wohnräume vor. Dass der Betroffene davon keine Kenntnis erlange, widerspreche dem Hausrechtsgesetz aus dem Jahr 1862. Es besagt, dass Hausdurchsuchungen ohne Wissen der Betroffenen binnen 24 Stunden diesen mitgeteilt werden müssen.

Anschaffung von 30 Systemen zur Kfz-Erfassung geplant

Für die Kennzeichenüberwachung wollte das Innenministerium zehn stationäre und 20 mobile Kennzeichenerkennungssysteme kaufen. Neben dem Kennzeichen der Autos hätten laut Gesetz auch Marke, Typ und Farbe sowie Informationen zum Lenker automatisch erfasst werden dürfen. Die Rechtsanwaltskammer hatte in der Begutachtung kritisiert, dass damit ein flächendeckendes Bewegungsprofil von Verkehrsteilnehmern erstellt werden könnte – und zwar ohne gerichtlichen Rechtsschutz und ohne konkreten Anlass.

Neue Beschwerde nach Formalfehler

Ob das Gesetz nun repariert und wie weiter vorgegangen wird muss nun wohl die nächste Regierung entscheiden. Das von ÖVP und FPÖ beschlossene Paket war bereits Thema in der Vorgängerregierung von SPÖ und ÖVP. Dieses sollte aus der Überwachung verschlüsselter Nachrichten und der automatischen Erfassung von Kennzeichen bestehen. Letztlich scheiterte es aber am Widerstand aus der SPÖ gegen den geplanten „Bundestrojaner“ – auch die FPÖ lehnte damals das „Sicherheitspaket“ noch ab.

Vor dem Verfassungsgericht angefochten hatten die Regelungen SPÖ und NEOS sowie die SPÖ-Bundesratsfraktion. Letztere hatte zuletzt einen neuen Antrag beim Höchstgericht eingebracht, weil die ursprüngliche Beschwerde im Juni wegen eines Formalfehlers zurückgewiesen worden war.

Ebenfalls im Juni hatten sich die Verfassungsrichter in einer öffentlichen Verhandlung mit der Causa befasst. Vertreter von Innen- und Justizministerium verteidigten die geplanten Regeln damals. Referent Christoph Herbst zeigte unterdessen Verständnis für die Argumente der von Rechtsanwalt Michael Rohregger vertretenen Partei NEOS gegen die Maßnahmen. „Ich stimme darin überein, dass es nicht auf die technischen Möglichkeiten ankommt, sondern darauf, was der Gesetzgeber an technischen Möglichkeiten eröffnet“, sagte Herbst damals.

SPÖ und NEOS zufrieden, Kritik von FPÖ

In ersten Reaktionen zeigten sich SPÖ und NEOS über die Entscheidung des VfGH zufrieden. NEOS-Justizsprecher Nikolaus Scherak schrieb auf Twitter, dass der VfGH-Entscheid eine „klare Absage“ an die „umfassenden Überwachungsfantasien“ der ehemaligen ÖVP-FPÖ-Regierung seien. Er sieht durch das Urteil die Bürgerrechte gestärkt. Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner bezeichnete das VfGH-Urteil als „wichtige Entscheidung“.

Die grüne Abgeordnete Alma Zadic bedankte sich auf Twitter beim VfGH dafür, dass das „große Überwachungspaket“ in den „kritischsten Punkten“ aufgehoben wurde. Die Datenschutzaktivistengruppe Epicenter.works bezeichnete die Entscheidung als „historisches Urteil“. Ex-FPÖ-Innenminister Herbert Kickl sprach hingegen von einem „Feiertag für die organisierte Großkriminalität und den terroristischen Extremismus“ und einem „schlechten Tag für die Sicherheit der Österreicher“.