Lagarde will bei EZB „jeden Stein umdrehen“

Die neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hat die Leitzinsen nicht angetastet, will die Geldpolitik der EZB aber intensiv überprüfen. „Nach 16 Jahren derselben Strategie“ wolle sie diese vorerst respektieren, sagte Lagarde gestern nach der Sitzung des EZB-Rats zur Zinsentscheidung in Frankfurt am Main. Sie kündigte aber an, ab Jänner werde der Rat für eine Neubewertung „jeden einzelnen Stein umdrehen“.

Die EZB belässt den Einlagezins für Banken nach dem ersten Ratstreffen unter der neuen Präsidentin unverändert bei minus 0,5 Prozent, wie Lagarde sagte. Auch der zentrale Leitzins von 0,0 Prozent bleibe auf seinem Rekordtief. Bei kurzfristigen Kapitalspritzen und Übernachtkrediten werden ebenfalls wie bisher 0,25 Prozent Zinsen fällig.

EZB-Chefin Christine Lagarde
APA/Frank Rumpenhorst

Durch die Niedrigzinsen sollen Konjunktur und Inflation angeschoben werden. Die Zentralbank strebt eine Teuerungsrate von knapp unter zwei Prozent an, prognostiziert aber nur einen Anstieg auf 1,6 Prozent bis 2022. Lagarde sagte, die EZB sei „bereit, alle ihre Instrumente soweit erforderlich anzupassen“, damit die Inflation sich dem angestrebten Ziel nähert.

Neubewertung „wird Zeit brauchen“

Der EZB-Rat bleibt mit der aktuellen Zinsentscheidung auf dem expansiven geldpolitischen Kurs von Lagardes Vorgänger Mario Draghi, für den dieser zuletzt viel Kritik einstecken musste. Der negative Einlagezins soll Banken animieren, das Geld für die Kreditvergabe auszugeben. Mittlerweile geben jedoch erste Kreditinstitute den Strafzins auch an private Sparer weiter. Auch an ihren Anfang November gestarteten Anleihekäufen für 20 Milliarden Euro monatlich hält die EZB nach Draghis Abschied weiter fest.

Nun sei aber „der geeignetste Zeitpunkt, um die Effektivität und Angemessenheit jedes einzelnen Instruments nachzuprüfen“, sagte Lagarde. Die erste Neubewertung seit 2003 „wird ihre Zeit brauchen“, soll laut der EZB-Chefin aber vor Ende 2020 abgeschlossen sein. Das Ziel der Notenbank sei Preisstabilität, evaluiert werde der Weg dorthin.

Zudem plant die 63-Jährige, das Themenspektrum der Zentralbank um gesellschaftliche Fragen wie Klimapolitik und Frauenförderung zu erweitern. Nach den Worten von Lagarde werde die EZB auch ihre Untersuchung zum Thema digitale Währungen vorantreiben. Sie appellierte zudem an die anwesenden Journalisten in Frankfurt, ihren „eigenen Stil“ der Kommunikation nicht übermäßig zu interpretieren: „Ich werde ich selbst sein und darum vermutlich anders.“