Streikende in Caen
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Streiks in Frankreich

Muskelspiel vor neuen Verhandlungen

In Frankreich sind am Dienstag bereits das dritte Mal in diesem Monat landesweite Streiks und Proteste gegen die Pensionsreform angelaufen. Zu den Aktionen haben erstmals alle Gewerkschaften gemeinsam aufgerufen. Sie wollen damit vor geplanten neuen Verhandlungen mit Regierungschef Edouard Philippe am Mittwoch ihre Muskeln spielen lassen und den Druck erhöhen.

Es ist der 13. Protesttag in Folge. Die größte französische Gewerkschaft CFDT appellierte an die Regierung, auf die faktische Erhöhung des Pensionsantrittsalters von bisher 62 auf 64 Jahre zu verzichten und stattdessen die Pensionsbeiträge für alle zu erhöhen.

Haushaltsminister Gerald Darmanin lehnte das ab. Eine Beitragserhöhung bedeute weniger Kaufkraft für die Angestellten und höhere Abgaben für die Firmen. „Es würde die Wirtschaft abwürgen“, sagte er dem Sender BFM-TV. Die zweitgrößte Gewerkschaft CGT will dagegen erreichen, dass die Regierung die Pensionsreform vollständig zurückzieht. Sie droht andernfalls mit Streiks über Weihnachten.

Hunderte Menschen warten während eines Streiks am Bahnhof Saint-Lazare in Paris auf einen Zug
APA/AFP/Bertrand Guay
Das Gedränge auf den Bahnhöfen ist sehr groß

800.000 gingen am ersten Tag auf die Straße

Vor einer Woche beteiligten sich laut Innenministerium rund 340.000 Menschen an den Demonstrationen. Am ersten Tag der Massenproteste am 5. Dezember gingen nach Regierungsangaben über 800.000 Menschen im ganzen Land auf die Straßen – es sind die bisher größten Proteste in der gut zweieinhalbjährigen Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron.

Eiffelturm geschlossen
AP/Rafael Yaghobzadeh
Auch der Eiffelturm bleibt geschlossen

Mit der Reform will die Regierung von Macron die Zersplitterung in 42 Einzelsysteme im Pensionssystem, von denen einige zahlreiche Sonderrechte und Privilegien mit sich bringen, beenden und Menschen auch dazu bringen, länger zu arbeiten. Gewerkschaften lehnen die Pläne ab. Diese Sonderpensionssysteme werden vom Staat bezuschusst – sie regeln oft auch, wann jemand in Pension geht. Sonderregeln gelten etwa für Mitarbeiter der Staatsbahn SNCF, der Strom- und Gaswirtschaft, des Militärs, von Krankenhäusern und etwa für Seeleute, Anwälte, Freiberufler und Angestellte der Pariser Oper.

Nichts geht mehr in Paris

Zugs- und Flugreisende müssen am Dienstag mit Ausfällen und großen Verspätungen rechnen. In Paris und anderen Städten sind Großkundgebungen gegen die Pensionsreform geplant. Nach Angaben der Bahngesellschaft SNCF ist der Zugsverkehr erneut stark gestört. Drei Viertel der TGV-Schnellzüge und 95 Prozent der Intercity-Züge fallen aus. Auch Verbindungen ins Ausland, etwa nach Deutschland.

Ein Mann blickt auf den abgesperrten Zugang einer Pariser Bahnhofsstation
Reuters/Benoit Tessier
Am 13. Protesttag gegen die Pensionsreform haben die Gewerkschaften am Dienstag erneut zu landesweiten Streiks aufgerufen

Auch Flüge sind gestrichen, da das Bodenpersonal erneut die Arbeit niederlegt. Schwerpunktmäßig wird der Pariser Flughafen Orly bestreikt. In der Hauptstadt blieben zudem die meisten Metros geschlossen, es verkehrten nur wenige Vorortzüge und Busse. Der Eiffelturm ist geschlossen. Der Vorplatz sei aber geöffnet, wie die Pressestelle des weltberühmten Wahrzeichens auf dem offiziellen Twitter-Account schrieb.

Auch im Impressionistenmuseum Musee d’Orsay müssen Touristen Einschränkungen hinnehmen: Zahlreiche Räume seien wegen des Streiks nicht zugänglich, außerdem schließe das Museum früher, hieß es. Auch das Musee Rodin und das Picasso-Museum blieben am Dienstag zu.

Schlappe für Macron: Beauftragter muss gehen

Im Streit um die Reform erlitt Macron am Montag indes eine schwere Schlappe: Sein Pensionsbeauftragter Jean-Paul Delevoye trat zurück. Der 72-Jährige hatte verschiedene bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten und Mandate nicht offiziell angegeben. Gewerkschaften und Opposition warfen Delevoye deshalb illegale Ämterhäufung und einen Interessenkonflikt vor.

Überfüllter Bahnsteig am Pariser Gare de Lyon während eines Streiks
Reuters/Charles Platiau
In Paris bleiben die meisten Metrolinien geschlossen, auch die Bahn streikt

Macron nahm den Rücktritt des Hohen Kommissars für die Pensionsreform „mit Bedauern“ an, wie es aus dem Elysee-Palast hieß. Der Staatschef hatte den früheren Minister von Präsident Jacques Chirac im September 2017 berufen, um die Pensionsreform auszuarbeiten. Sie ist eines der zentralen Wahlkampfversprechen Macrons.

Doch Delevoye zu ersetzen dürfte gar nicht so einfach sein, schrieb etwa der „Spiegel“: Er sei der Einzige, der alle Details des komplexen Reformentwurfs kenne. Das sei aber nicht Macrons einziges Problem, hieß es in dem Artikel: „Es geht dabei auch um einen Imageschaden für seine Regierung, den Delevoye mit seinem Rücktritt noch abmildern wollte, wahrscheinlich vergebens: Wie soll man der Bevölkerung erklären, dass ein Pensionsplan über alle Schichten und Klassen hinweg solidarisch ist, wenn der Baumeister der Reform nicht glaubhaft ist?“