Hegel
ORF/Lukas Wieselberg
Dialektik

Hegel im Kasperltheater

Ein Spaßvogel war Georg Friedrich Wilhelm Hegel nicht gerade. Die Texte des Philosophen sind schwierig, viele Worte doppeldeutig oder missverständlich. Und doch durchzog sein Denken eine Lust an Widersprüchen, die man auch Humor nennen kann. Das vielleicht beste Beispiel dafür: Hegels Besuch beim Kasperl in Wien.

2020 feiern gleich drei deutsche Ikonen Jubiläen: Neben Ludwig van Beethoven und Friedrich Hölderlin auch der wichtigste Vertreter des deutschen Idealismus. Hegel wurde vor 250 Jahren geboren, am 27. August 1770 in Stuttgart. Als er auf dem Höhepunkt seiner akademischen Karriere stand, als „preußischer Staatsphilosoph“ in Berlin, unternahm er eine Reihe von Bildungsreisen quer durch Europa.

1824 kam er dabei auch nach Wien. Er besuchte alle Klassiker eines Kulturtouristen – Schönbrunn, Museen und Galerien –, vor allem aber frönte er seiner Leidenschaft für die Oper. Fast täglich ging er aus seinem Hotel, dem Erzherzog Carl in der Kärntner Straße, die paar Schritte zum Kärntnerthortheater, dem Vorläufer der heutigen Staatsoper. Zum ersten Mal hörte er hier die von ihm geliebten italienischen Opern in Originalsprache, etwa Rossinis „Barbier von Sevilla“. „Solange das Geld, die italienische Oper und die Heimreise zu bezahlen, reicht – bleibe ich in Wien“, schrieb er enthusiastisch an seine Frau.

„Es rast und tollt ohne Rast“

Hegel ging in Wien aber nicht nur in die Opera buffa. Zweimal besuchte er auch die Praterstraße 31, wo damals das Leopoldstädter Theater stand. Der Philosoph sah hier zweimal den „weltberühmten Kasperl“, wie er in einem Brief notiert. Der Kasperl war damals freilich keine Kinderpuppe wie heute, sondern ein derb-humoriger Bühnencharakter. Im Leopoldstädter Theater sah Hegel unter anderen den Sänger und Schauspieler Ignaz Schuster, Wegbereiter der Wiener Volkskomik, in dem Lustspiel „Die Schlimme Liesl“.

Hegel in seinem Arbeitszimmer (Lithographie, Julius Ludwig Sebbers 1928)
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Hegel hatte auch helle Momente

Während ihn dieses Stück wenig begeisterte, schrieb er über die nachfolgende Pantomime mit Musik: „Das war eine ganze Hecke von lustigen Unsinnigkeiten, Gassenhauern, Tanzmusik. Es rast und tollt ohne Rast und Ruhe fort – man hat kaum Zeit zum Lachen, denn immer kommt etwas Neues und alles mit der größten Lustigkeit.“

Komödie ästhetisch höher als Tragödie

Ein lachender und vergnügter Hegel widerspricht dem Bild des strengen und totalitären Systemphilosophen, das üblicherweise gezeichnet wird. Ein Hauptanliegen der vor Kurzem erschienenen Biografie „Hegel. Der Philosoph der Freiheit“ ist es, diesem Stereotyp zu widersprechen. „Hegel war von seiner Studienzeit an humorvoll und gesellig, bis hin zu seiner Berliner Professur“, sagt Klaus Vieweg, der Autor der Biografie. Was natürlich nicht heißt, dass seine Texte Schenkelklopfer sind. Humor gehört für Hegel in den Bereich des Poetischen, dort nimmt er aber eine wichtige Rolle ein.

„Die Komödie stand für Hegel ästhetisch höher als die Tragödie. Denn in der Komödie wird bereits eine kritische Distanz zum behandelten Thema und zur bestehenden Situation entwickelt – eine höhere Form von Subjektivität, denn das Lachen ist sozusagen eine Distanzierung von bestimmten Verhaltensweisen und Handlungstypen“, erklärt Vieweg.

Hegels Dialektik in einer Nussschale

Dass Hegel in Wien beim Kasperl war, überrascht Vieweg nicht – und auch nicht Georg Herrnstadt. „Sich Blödstellen und am Blödeln Freude haben, gehört zur Regression. Der Hegel ist, glaub ich, ziemlich oft wieder Kind geworden, und deswegen ist er ins Kasperltheater gegangen und hat Vergnügen daran gehabt.“ Herrnstadt, Mitglied der legendären Musikgruppe Schmetterlinge, Gruppentrainer und Hegel-Experte, findet vor allem in jener berühmten Denkfigur des Philosophen Humor – in der Dialektik.

„Kasperl“
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Der Wiener Kasperl war einmal alles andere als Kindertheater: Trotz Zensur war hier beißende Kritik möglich

„Wer dialektisch denkt, sucht Widersprüche. Und ein großer Teil unserer Witze beruht darauf, dass Worte verschiedene Bedeutungen haben. Deutsch eignet sich dafür besonders gut – man kann etwa jemanden umfahren oder umfahren und beides hat sehr unterschiedliche Bedeutungen“, so Herrnstadt. Philosophisch bedeutsamer ist das Beispiel „Aufheben“, denn das Wort kann bedeuten: 1) etwas vom Boden aufgreifen, z. B. ein Buch, 2) etwas für ungültig erklären, z. B. ein Gesetz, 3) etwas aufbewahren, z. B. Fotos.

Für Hegel war das freilich kein Witz, sondern seine Dialektik in einer Nussschale. Der Geist entwickelt sich ihm zufolge, indem er die „Negation des Geistes“ aufnimmt, sprich indem sich an eine Idee eine Kontraidee reiht und sich daraus wieder eine neue Idee entwickelt – in dieser neuen Idee sind die beiden anderen in allen Wortbedeutungen „aufgehoben“. Mit dieser Dialektik lässt sich Fortschritt des Geistes erklären und auch Freiheit, wie Hegel nicht müde wird zu betonen.

Der Hegel-Rap

Diese Dialektik und Lust am Widerspruch kann man auch Humor nennen, denn über sich selbst lachen bedeutet: aus sich selbst heraustreten und sich selbst betrachten können. „Es ist ein wesentlicher Punkt der Freiheit, dass ich nicht etwas tun muss, sondern dass ich mein Denken ändern kann – indem ich über das Denken denke“, sagt Herrnstadt. Hegel habe Spaß daran gehabt, den Widerspruch in allem Lebendigen zu zeigen.

Der Hegel-Rap

Musiker und Hegel-Experte Georg Herrnstadt und sein Sohn Joel bringen die hegelianischen Begriffe zum Tanzen – aber nicht so metaphorisch wie Hegel, sondern tatsächlich.

Er wollte Begriffe zum Tanzen bringen, und damit auch Geschichte und Gesellschaft. Das ist der Kern von Hegels Denken, so Herrnstadt. Zum Tanzen bringt auch der Rap, den der Hegel-Experte und Schmetterling gemeinsam mit seinem Sohn Joel geschrieben hat.