Arbeiter packt Gemälde von Marc Chagall aus
Reuters/Bernadett Szabo
Kunsttransport

Wenn Schätze auf Reisen gehen

Noch nie wurden so viele Kunstwerke rund um den Globus befördert wie heute. Nonstop befüllen Spediteure Flugzeuge und Lastwagen mit kostbarer Fracht, die bei Ausstellungen, Kunstmessen, Biennalen oder Auktionen präsentiert wird. Da Kunstwerke vermehrt als Geldanlage oder Spekulationsobjekte fungieren, haben spezialisierte Transportfirmen alle Hände voll zu tun – auch in Österreich.

Ende Oktober war es wieder so weit: In London wurden extra gefederte Lkws mit wertvoller Fracht beladen. „Wegen des drohenden Brexits bekamen viele unserer Kunden Panik und wollten ihre Kunst so schnell wie möglich aus den britischen Depots herauskriegen“, sagte Birgit Vikas, Geschäftsführerin der Wiener Firma Kunsttrans. Nach dem Brexit wird Großbritannien zum Drittland, und das bedeutet eine empfindliche Anhebung von Steuern und Zöllen.

„Aufgrund seiner geringen Abgaben ist London seit jeher ein heißes Pflaster für Kunstlager. Dort wird sehr viel international importierte Ware aufbewahrt“, erklärte Vikas. Wenn etwa ein Russe in New York ein Gemälde kaufe, könne er es weit günstiger nach London als nach Moskau holen und dort deponieren.

Ab in die Klimakiste

Private Sammler haben laut Vikas einen immer größeren Anteil am gesamten Auftragsvolumen. Die größten Kunden stellen jedoch Museen dar. Die Debatten, ob ein Gemälde von Vermeer oder Leonardo da Vinci verreisen darf, haben Interesse für die Kunsttransporte geweckt. Für altmeisterliche Gemälde gehören Klimaboxen mittlerweile zum Standard. Aufgrund ihrer gefinkelten Machart verbürgen diese Boxen höchste Konstanz in puncto Temperatur und Luftfeuchtigkeit.

Arbeiter verladen Kunst
Kunsttrans
Kunstwerke werden in speziellen „Klimakisten“ auf Reisen geschickt

Die Klimakisten sind aber nicht nur Frischhalteboxen. Eine aus mehreren Brettern zusammengeleimte Tafel, die ein flämischer Meister vor Jahrhunderten bemalt hat, muss sich bei einem Ortswechsel erst „akklimatisieren“. Das heißt, die Bestandteile eines Tableaus wie Holz, Ölfarbe und Firnis reagieren auf die Umgebung. Klimaboxen verhindern, dass ein Gemälde einen Schock erleidet.

Zu diesem Zweck werden die Behältnisse bereits 24 Stunden vor dem Befüllen angeliefert. Sie nehmen dann die Raumverhältnisse an ihrem neuen Ort auf und das transportierte Bild kann in seinem bisherigen Milieu verreisen. Am Bestimmungsort lässt die Spezialbox wiederum die dortigen Klimaverhältnisse nur ganz langsam an das Kunstwerk heran.

Protokoll fürs Einpacken

Beim Einpacken von Kunstwerken wird ein genaues Protokoll befolgt. Schließlich kann den Arbeiten nicht nur „on the road“ etwas passieren, sondern bereits beim Einpacken. Diese sensible Aufgabe erfüllen Kräfte mit weißen Handschuhen, die eigens geschulten „Art Handler“. Bevor diese abhängen und einpacken dürfen, kommen in Museen noch die hauseigenen Restauratoren zum Zug. Der Vorgang ist ähnlich wie beim Autoverleih: Sie inspizieren das Werk und dessen Bilderrahmen auf bereits vorhandene Schäden. Das im Anschluss erstellte Zustandsprotokoll verzeichnet jeden Makel.

Arbeiter transportieren Kunst
Kunsttrans
Der Transport von Gemälden ist heikel – entsprechend genau wird jeder Schritt kontrolliert

Befindet sich das Kunstwerk nun endlich verpackt in der Box, kann diese immer noch umfallen oder den Trägern aus den Händen rutschen. Zwar werden die Kunstwerke in den ausgepolsterten Kisten auf besondere Weise befestigt, aber nur die teuersten Behälter verfügen über Stoßdämpfer, die restlos vor Erschütterung bewahren. Am Zielort angekommen, untersucht darum ein „Registrar“ zunächst die Kiste selbst auf Schrammen oder Kratzer, bevor er das Werk abermals Zentimeter für Zentimeter unter die Lupe nimmt.

Rubens im Jumbojet

Noch in den 1970er Jahren wurden Gemälde in einfachen Holzkisten mit Schaumstofffüllung verschickt. Mittlerweile hat Hochtechnologie Einzug gehalten. „Für besonders fragile Gegenstände fertigen wir mittels 3-D-Scan ein eigenes Fach an“, erzählt die Chefin von Kunsttrans, wie etwa zerbrechliche Glas- oder Elfenbeinobjekte auf Reisen gehen. Die Spezialkisten zu mieten ist extrem teuer.

Dafür spielen sie aber auch alle jene Stückerln, die von besorgten Leihgebern immer häufiger verlangt werden. Mit seinem deutschen Partnerunternehmen Hasenkamp hat Kunsttrans eine besonders feuerfeste Kiste entwickelt, die eine Stunde lang direkten Flammen standhält – und zwar so, dass die Temperatur im Inneren um kein einziges Grad steigt.

Kunstwerk wird in Flugzeug verladen
Scheiblecker
2004 ließ die Albertina ein Rubens-Gemälde aus Washington im Jumbojet einfliegen

Die Versicherungen schreiben vor, dass museale Objekte nur noch bis zu einem gewissen Wert in einem einzigen „Shipping“ verfrachtet werden dürfen. Bei der großen Klimt-Ausstellung 2019 in Japan flogen zum Beispiel nicht alle Leihgaben zusammen, sondern wurden in mehreren Maschinen untergebracht. Da die Versicherungs- und Transportkosten immer mehr Budget verschlingen, wird die Anlieferung von Kunst heute gerne für Werbezwecke genutzt.

So charterte die Albertina 2004 einen Jumbo-Jet, um einen 2,5 mal 3,5 Meter großen Rubens aus Washington zu holen. Die dortige National Gallery bestand auf einem stehenden Transport des Ölschinkens, und allein der Innenraum der Boeing 747 hatte diese Höhe. Die Fotos vom Flughafen brachten der Rubens-Schau im Vorfeld Publicity.

Schiff auf dem Dach

Aber nicht nur alte Meister machen viel Arbeit. Zeitgenössische X-Large-Skulpturen stellen die Kunstspediteure oft vor noch größere Herausforderungen. So wurde etwa das spektakulär gebogene Segelboot, das der Künstler Erwin Wurm auf dem Wiener Hotel Daniel installierte, im Ganzen angeliefert. Auf Kunstmessen wie der Art Basel gibt es unter dem Titel „Unlimited“ einen eigenen Bereich für riesige Plastiken und Installationen. „Wir haben auch schon Arbeiten aus Schnee im Kühllaster geliefert“, erinnert sich Vikas, die in puncto Erfindungsreichtum über die Jahre viel bewältigt hat.

Kunstwerk wird verladen
Scheiblecker
Bild aus dem Jahr 2004: Der Rubens musste auf Wunsch des US-Museums stehend transportiert werden – das ging sich nur in einer Boeing 747 aus

Das Geschäft mit dem Kunstdepots

Ein wachsendes Geschäftsfeld für Kunsttransporteure stellen die Lager dar. Allein Kunsttrans hat seine Kunstdepots in den letzten Jahren von 3.000 auf 30.000 Quadratmeter erweitert. Diese Flächen werden einerseits von Institutionen beansprucht, andererseits von Privaten, die Kunst aus unterschiedlichen Gründen nicht bei sich zu Hause aufhängen. Auch in Österreich existieren jene Zollfreilager, die meist mit der Schweiz in Zusammenhang gebracht werden. Die Objekte in diesen Depots betreten sozusagen nie nationalen Boden. Die exterritoriale Verwahrung vermeidet Einfuhrsteuer und -zölle.

Lkw vor Albertina
Scheiblecker
Die Albertina nutzte den aufwendigen Transport des Rembrandt-Gemäldes zu Marketingzwecken

„Es war sehr mühsam, die Genehmigung für solche Lagerbereiche zu erhalten. Der Bestand wird regelmäßig vom Zoll kontrolliert“, schildert Vikas zum Zollfreilager von Kunsttrans. Wer etwa ein teures Bild mit dem Vorhaben erwirbt, es bald wieder zu verkaufen oder auszuführen, für den macht der Wegfall der Importkosten schon einen Unterschied. Die Schweizer Zollfreilager gelten als mythenumrankte Zonen, in denen geheime Schätze wie in einem Sesam geschützt liegen. Angesichts der Lagerhallen, wie Kunsttrans sie in der Wiener Peripherie hochzieht, relativiert sich der Mythos dieser Stätten aber dann doch wieder.