Der Chef der Grünen, Werner Kogler
Reuters/Lisi Niesner
Grüne

Ärger vor entscheidender Abstimmung

Die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen stehen kurz vor dem Ende, bereits am 7. Jänner soll die neue Regierung stehen. Davor braucht es jedoch noch die Zustimmung der grünen Funktionäre und Funktionärinnen sowie der Abgeordneten. Doch nun werden intern vereinzelt kritische Stimmen laut – nicht zuletzt auch am Vorgehen der Parteispitze. Ein Kampf zwischen Pragmatismus und Idealismus, so die Expertenmeinung.

Eine Einladung, die zu spät verschickt worden sei und nicht den formalen Kriterien entspreche. Zu wenig Zeit, um gute Entscheidungen treffen zu können. Dafür eine schlechte Verteilung der (teils noch unbestätigten) Ministerien und ein Parteichef, der mit seiner Aufforderung zur Kompromissbereitschaft verärgert – die Liste der internen Kritik ist lang.

Beachtung findet die Kritik vor allem deshalb, weil sie unter anderen auch von jenen stammt, die am kommenden Samstag darüber entscheiden, ob die Grünen Teil der zukünftigen Regierung sein werden – oder eben nicht. Denn erst wenn der grüne Bundeskongress zustimmt, steht einer Koalition nichts mehr im Weg.

Grünes Team der Regierungsverhandlungen
APA/Hans Punz
Seit Mitte November verhandelte das Team der Grünen – nun geht es in die finale Phase

Am Freitag kommen die Grünen zu einem Erweiterten Bundesvorstand zusammen, am Samstag stimmen sie beim Bundeskongress – dem obersten Entscheidungsorgan der Grünen – in Salzburg über das Regierungsprogramm und die zukünftigen Regierungsmitglieder ab. Stimmberechtigt sind insgesamt 276 Personen aus der Funktionärs- und Abgeordnetenbasis.

Einladung: „Zu spät erfolgt“

Laut Statuten muss die Einladung mindestens eine Woche vorher und unter Einhaltung strikter formaler Kriterien erfolgen. So benötigt es für die Einberufung etwa eine Zweidrittelmehrheit im Bundesvorstand und eine – nach wie vor ausständige – Bestätigung des Erweiterten Bundesvorstands.

In der grünen Parteizentrale sieht man die Siebentagefrist aber nicht als eine minutengenaue Vorgabe. Die Einladung sei nach einem einstimmigen Beschluss des Bundesvorstands nachweisbar noch am Samstag vor Mitternacht (23.48 Uhr) ergangen und daher ordnungsgemäß erfolgt, heißt es dort. Einige Delegierte hatten die Einladung jedoch erst am Sonntag in ihrem Postfach.

Werner Kogler im Rahmen eines Bundeskongresses der Grünen 2018
APA/Georg Hochmuth
Parteichef Werner Kogler benötigt die Zustimmung einer einfachen Mehrheit – erst dann kann es eine neue Regierung geben

Expertin: Großer Druck, neue Regierung zu bilden

Allen voran gehe es aber um die Inhalte, über die die Delegierten offiziell immer noch nichts wüssten, schrieb etwa der Innsbrucker Gemeinderatsabgeordnete Dejan Lukovic. Ähnlich sah das auch der Tiroler Landtagsabgeordnete Michael Mingler. Er kritisierte vor allem die Tatsache, dass den Delegierten nicht genug Zeit bliebe, um den Koalitionsvertrag durchzugehen und „eine gute Entscheidung“ treffen zu können. Er wisse nicht, warum jetzt alles so schnell gehen müsse, wo es doch immer geheißen hat: „nicht hudeln“.

Der Kritik, dass das Regierungsprogramm erst am Donnerstag nach dem offiziellen Ende der Verhandlungen mit der ÖVP vorliegen wird und zu wenig Zeit zum Durcharbeiten bleibt, wollen die Grünen durch einen dreistündigen, nicht medienöffentlichen „Stationenlauf“ für die Delegierten auf dem Bundeskongress begegnen. Die Verhandler sollen dort Frage und Antwort stehen.

Rumoren in Teilen der grünen Basis

Politikberater Thomas Hofer zu der Frage, wie die aufkeimende Kritik bei den Grünen zu bewerten ist.

Das Tempo, so zeigte sich die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle überzeugt, sei dem Druck, eine neue Regierung zu bilden, geschuldet. So verlautbarte etwa Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, die derzeitige Übergangsregierung nicht länger aufrechterhalten zu können. Zudem spiele auch die Symbolik des Jahreswechsels eine Rolle: „Man will mit einer neuen Regierung ins neue Jahr starten“, so die Politikexpertin gegenüber ORF.at.

Minderheitenregierung mit grünem Mäntelchen?

Neben der Einladung und dem Tempo gibt es auch vereinzelt Kritik an der – teils noch unbestätigten – Verteilung der Ministerien. Der Tenor: Die ÖVP könne ihren politischen Rechtskurs locker weiterfahren. Es handle sich de facto um eine Minderheitenregierung, die sich lediglich ein grünes Mäntelchen umhänge. Auch in einem Kommentar im „Standard“ ist von der neuen Regierung als einer „wilden Mischung aus Mitte, Grün und rechts“ zu lesen.

Dass interne Kritik öffentlich ausgetragen wird, sei prinzipiell nichts Negatives. Stainer-Hämmerle hält dies sogar für „demokratiepolitisch sinnvoll“, da man sehe, wie Parteien intern verschiedene Meinungen haben und diese auch ausdiskutieren können. „Wenn die individualistischen Grünen so geeint auftreten würden wie die ÖVP, würde das als grüne Marke auch nicht funktionieren. Hier erwartet man sich eben mehr Lebendigkeit“, so die Politologin.

Kogler versuchte dennoch zu beruhigen und appellierte an die Kompromissbereitschaft seiner Mitstreiter. Mit der Aufforderung „Demokratie heißt auch, Kompromisse nicht zu denunzieren“, stieß er jedoch nicht überall auf Begeisterung. „Das Schlechteste, was jetzt passieren kann, wäre, wenn es an Vorgehen und Inhalten keine eigenständige ökonomische, menschenrechtliche, ökologische, linke und anti-rassistische Kritik gäbe“, schrieb etwa der Politikwissenschaftler Lukas Oberndorfer auf Facebook.

Die stellvertretende Klubchefin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, räumte gegenüber dem „Standard“ (Dienstag-Ausgabe) ein, dass im Koalitionspakt Dinge festgeschrieben würden, die den Grünen nicht behagen. Die Grünen seien keine „homogene Partei“. Es gebe „unterschiedliche Gewichtungen“, und so werde es auch unterschiedliche Gewichtungen bei der Beurteilung des Programms geben. „Es wird auch darauf ankommen, wie es den Verhandlern gelingt, ihre Kompromisse zu erklären. Wenn das für die Basis nachvollziehbar ist, bin ich zuversichtlich“, so Ernst-Dziedzic.

Pragmatismus vs. Idealismus

Stainer-Hämmerle erklärte den Appell als einen Versuch, um Verständnis zu bitten. „Ob er damit durchkommt, ist die andere Frage.“ Abhängig sei das davon, was die Mitglieder als rote Linie definieren. „Sollte es in der Sozial-, Migrations- oder Bildungspolitik gleich weitergehen, die Grünen dafür jedoch mehr beim Klimaschutz gestalten dürfen, werden einige sagen: ‚Besser als nichts‘.“ Andere jedoch könnten sich weigern, eine Politik mitzutragen, die diametral zu ihren Grundsätzen steht.

Kogler verfolge, so zeigte sich die Politologin überzeugt, definitiv einen pragmatischeren Zugang als manch anderes Parteimitglied. Ihm gehe es darum, durch eine Regierungsbeteiligung „das Schlimmste zu verhindern“. Dennoch sehe er gleichzeitig seine Rolle als kleinerer Partner ein, sagte Steiner-Hämmerle. Schließlich sei das ja auch dem Wahlergebnis geschuldet. Die Grünen kamen bei der Nationalratswahl auf 13,9 Prozent, die ÖVP auf 37,5 Prozent.

Wahlplakate NR-Wahl 2019
ORF.at/Christian Öser
„Wähl die Grünen wieder rein“ – Pragmatismus scheint bei der Partei nach wie vor hoch im Kurs zu stehen

Mangel an Alternativen „Opferthese“

Für eine Regierungsbeteiligung muss Kogler am Samstag 51 Prozent der Delegierten überzeugen. Die Entscheidung dürfte aller Voraussicht nach jedoch recht eindeutig ausfallen – hört man doch stets vonseiten der Grünen, dass sie im Hinblick auf die Alternativen sowieso keine Wahl hätten. Von dieser „Opferthese“ hält Stainer-Hämmerle allerdings wenig. Denn auch in der Opposition würde es für die Grünen genug zu tun geben.

Sollte der Bundeskongress die Koalition überraschenderweise doch nicht absegnen, wäre das für die Grünen weniger tragisch als für die ÖVP. Denn dann hieße es: „Zurück zum Start“, schließlich müsse die ÖVP regieren. Sowohl SPÖ als auch FPÖ würden derzeit allerdings keine attraktiven Alternativen darstellen, so die Politologin. „Das wäre eine Blamage für Kurz. Denn auch, wenn er sagt, es sei die Schuld der Grünen, ist er derjenige, der liefern muss“, analysierte die Politexpertin. Doch danach sehe es derzeit ohnehin nicht aus.