Regierungsprogramm von ÖVP und Grüne
ORF.at/Christian Öser
ÖVP – Grüne

Das steht im Regierungsprogramm

Die neuen Koalitionspartner Sebastian Kurz (ÖVP) und Werner Kogler (Grüne) haben Donnerstagnachmittag ihren Regierungspakt der Öffentlichkeit präsentiert und dabei „das Wagnis“ verteidigt, wie es Kogler nannte. Man habe sich nicht auf Minimalkompromisse herunterverhandelt, sondern bewusst „zentrale Wahlversprechen halten können“, so Kurz.

Als Schwerpunkte nannte der ÖVP-Chef Steuerentlastungen, den Kampf gegen die illegale Migration, um den „sozialen Frieden aufrechterhalten zu können und unsere österreichische Identität zu wahren“, sowie den Klimaschutz. „Migration bleibt Herzstück meiner Politik“, so Kurz. Die Konservativen und die Grünen seien in Europa auf dem Vormarsch, und „wenn das die Herausforderung ist, hier zusammenzukommen, ist es das Wagnis wert“, sagte Kogler. Am Ende „wird es nicht darum gehen, ob ÖVP oder Grüne gewonnen haben, sondern dass Österreich gewinnt“.

Das am Donnerstag vorgestellte Koalitionsprogramm umfasst mehr als 320 Seiten. ÖVP und Grüne verständigten sich auf sechs große Kapitel: „Staat, Gesellschaft & Transparenz“, „Wirtschaft & Finanzen“, „Klimaschutz, Umwelt, Infrastruktur & Landwirtschaft“, „Europa, Integration, Migration & Sicherheit“, „Soziale Sicherheit, neue Gerechtigkeit & Armutsbekämpfung“, „Bildung, Wissenschaft, Forschung & Digitalisierung“.

Klimaneutral bis 2040 und „Öffi“-Ausbau

Das Klimaschutzpaket besteht aus vielen einzelnen Maßnahmen bzw. Überschriften, die zum Teil noch mit Inhalt gefüllt werden müssen. Das große Ziel ist es, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Eine unmittelbare Nachbesserung und Konkretisierung des Nationalen Energie- und Klimaplans (NEKP) ist hier ebenso vorgesehen wie auch ein Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Reduktionspfaden bei den Treibhausgasen bis 2040 und verbindlichen Zwischenzielen bis 2030. Bis 2030 soll der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen kommen.

ÖVP und Grüne präsentierten Regierungsprogramm

Am Donnerstag stellten ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Grünen-Bundessprecher Werner Kogler ihr ausverhandeltes Regierungsprogramm vor.

Die Ökologisierung des Steuersystems ist im Regierungsprogramm noch teilweise unkonkret und soll von einer Taskforce erstellt werden. Konkret ist die Ankündigung, die Flugticketabgabe einheitlich auf zwölf Euro festzulegen, womit sie für Kurz- und Mittelstrecken (bisher 3,5 bzw. 7,5 Euro) teurer und für Langstecken (bisher 17,5 Euro) billiger wird. Im Verkehrsbereich sind viele Maßnahmen geplant, darunter ein Österreich-Ticket und eine nationale Buchungsplattform für alle Ticketsysteme des öffentlichen Verkehrs. Mit zwei „Öffi“-Milliarden soll der öffentliche Nah- und Regionalverkehr ausgebaut werden.

„Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit“

Das Regierungsprogramm zum Thema Asyl bringt etwa die Einführung einer „Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit“. Im Programm findet sich auch ein koalitionsfreier Raum, falls es zu großen Flüchtlingsbewegungen kommen sollte. Die schon eingeleitete Verstaatlichung der Flüchtlingsbetreuung wird umgesetzt. Asylverfahren in zweiter Instanz sollen beschleunigt werden (sechs Monate im Durchschnitt). Weiter konsequent abschieben will man straffällig gewordene Flüchtlinge, sofern deren Asylstatus aberkannt wurde.

Eine klare Absage wird einer europäischen Flüchtlingsaufteilung erteilt. Die nationalen Grenzkontrollen werden fortgeführt, solange der EU-Außengrenzenschutz nicht lückenlos funktioniert. Als Kernpunkt einer neuen Migrationsstrategie wird eine klare Trennung von Asyl und Arbeitsmigration angeführt. Zur Erleichterung Letzterer soll eine neue Rot-Weiß-Rot-Karte geschaffen werden. Diese soll digitalisiert werden, die für eine Bewilligung notwendigen Einkommensgrenzen sollen überarbeitet (und damit wohl gesenkt) werden.

Sebastian Kurz
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ÖVP-Bundesparteiobmann Kurz betonte unter anderem die Themen Migration und Steuerentlastung bei der Präsentation

Das Kopftuchverbot an Schulen wird bis zum 14. Lebensjahr ausgeweitet. Verstärkte Kontrollen soll es in Kinderbetreuungsstätten, insbesondere in islamischen geben. Einen Präventionsunterricht soll es ab der Mittelstufe geben. Materialen insbesondere des islamischen Religionsunterrichts sollen in Hinblick auf verfassungsrechtliche Werte wie die Gleichstellung der Frau auf problematische Inhalte geprüft werden. Erarbeitet werden soll ein Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus und Diskriminierung. Interkulturelle Kompetenz soll in der Ausbildung öffentlich Bediensteter verankert werden.

ÖVP und Grüne wollen Amtsgeheimnis abschaffen

Im Transparenzkapitel ist etwa die Abschaffung des Amtsgeheimnisses zu finden. Stattdessen soll es ein einklagbares Recht auf Informationsfreiheit geben, das auch gegenüber nicht börsennotierten öffentlichen Unternehmen gelten soll. Die Prüfkompetenzen des Rechnungshofs (RH) sollen erweitert werden – und zwar sowohl bei Parteien als auch Unternehmen (ab 25 Prozent Staatsanteil). In die Parteifinanzen soll der RH bei konkreten Anhaltspunkten Einschau nehmen.

Bei Parteien sollen künftig alle Spenden über 500 Euro nach spätestens drei Monaten offengelegt werden, Spenden ab 2.500 Euro weiterhin sofort. Anonyme Spenden werden mit 200 Euro begrenzt. Umgehungsstrukturen über nahestehende Organisationen sollen verhindert, bei illegalen Spenden auch Sanktionen gegen Spender geprüft werden. Und die Spendengrenze wird gelockert: Kleinspenden bis 100 Euro sollen in die maximal 750.000 Euro pro Jahr nicht eingerechnet werden.

Bundesheer: Tauglichkeitskriterien vor Reform

Zum Thema Landesverteidigung fällt auf den ersten Blick auf, dass es mit dem Krisen- und Katastrophenschutz verknüpft ist und dass von einer „zeitgemäßen“ Neugestaltung der Aufgaben gesprochen wird. Als konkrete Schwerpunkte sind etwa Cyberdefense, internationale Friedenseinsätze und Assistenzleistungen beim Katastrophenschutz angeführt. Der Grundwehrdienst soll attraktiviert und die Tauglichkeitskriterien reformiert werden. Künftig soll es neben der „Volltauglichkeit“ auch eine Kategorie „Teiltauglichkeit“ geben.

Sebastian Kurz und Werner Kogler
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„Wenn alles gut geht, hat Österreich gewonnen“, sagte Grünen-Chef Kogler

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) steht – wie schon unter der ÖVP-FPÖ-Regierung geplant – vor einer Neuaufstellung. Vorgesehen ist eine klare strukturelle Trennung in eine nachrichtendienstliche und eine Staatsschutzkomponente innerhalb eines reformierten BVT. Im Programm ist zudem von einem Aktionsplan die Rede, der sich dem Rechtsextremismus und dem politischen Islam widmen soll. ÖVP und Grüne wollen Maßnahmen setzen, um staatsfeindliche Vereine „wirksam zu bekämpfen“.

Die begonnene Personaloffensive der Polizei wird mit 2.300 zusätzlichen Planstellen und 2.000 Ausbildungsplanstellen fortgesetzt. Vorgesehen sind u. a. eine Entlohnung nach Belastungskriterien, flexiblere Arbeitszeiten und Dienstzuteilungen. Die Polizei als Abbild der Gesellschaft soll mehr Diversität (z. B. Migrationshintergrund) aufweisen. Vorgesehen ist eine Sanierungsoffensive der Polizeiinspektionen, die im Eingangsbereich freundlicher und vor allem barrierefrei zu gestalten sind.

Neue Steuerstufen gegen Armut

Zur Armutsbekämpfung drehen ÖVP und Grüne an der Steuerschraube. Der Eingangssteuersatz wird auf 20 Prozent gesenkt, und die Untergrenze beim Familienbonus wird pro Kind von 250 auf 350 Euro erhöht, der Gesamtbetrag von 1.500 auf 1.750 Euro pro Kind. Zudem sollen Löhne unter den niedrigsten Kollektivvertragsgehältern der Vergangenheit angehören. Von einer Reform der vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) gekippten Mindestsicherung ist nicht die Rede.

Die Lohn- und Einkommensteuertarife sollen von 25 auf 20 Prozent, von 35 auf 30 und von 42 auf 40 Prozent sinken. Kräftig reduzieren wollen ÖVP und Grüne auch die Körperschaftssteuer auf Unternehmensgewinne (25 auf 21 Prozent). Gewinnbeteiligung von Mitarbeitern soll begünstigt werden. Das Einkommensteuergesetz soll – einmal mehr – neu kodifiziert werden. Sakrosankt bleibt dabei aber die Begünstigung des 13. und 14. Monatsgehalts.

Das Pensionssystem steht vor keiner grundlegenden Neuausrichtung. Vage werden Maßnahmen avisiert, die das faktische an das gesetzliche Antrittsalter heranführen. Verstärkte Informationen soll es zu den (finanziellen) Folgen von Teilzeitarbeit geben, die über einen Rechner erlebbar gemacht werden soll. Die geplante Abschaffung der Notstandshilfe (unter ÖVP und FPÖ) ist im Regierungsprogramm nicht zu finden. Es ist die Rede von einer „Weiterentwicklung des Arbeitslosengeldes mit Anreizen, damit arbeitslose Menschen wieder schneller ins Erwerbsleben zurückkehren können“.

Mehr Ressourcen für Justiz geplant

In der Justiz will die künftige ÖVP-Grünen-Koalition die erforderlichen Ressourcen lockermachen, und zwar auch für anstehende Reformen. Die Reform des Maßnahmenvollzugs soll kommen, und auch eine „evidenzbasierte“ Weiterentwicklung des Strafrechts. Zudem sollen Gerichtsgebühren evaluiert und eventuell gesenkt werden. Das Ehe- und Familienrecht soll „heutigen gesellschaftlichen Lebensrealitäten“ angepasst werden, auch das Kindesunterhaltsrecht soll modernisiert werden. Der oft geforderte Generalstaatsanwalt an der Spitze der Weisungskette wird nicht erwähnt.

So wie schon diverse andere Regierungen zuvor strebt auch diese ÖVP-Grünen-Koalition ein neues Dienstrecht für den öffentlichen Dienst an. Die beiden Parteien wollen die „Modernisierung des Dienstrechts fortsetzen mit dem Ziel eines einheitlichen, modernen und durchlässigen Dienstrechts für alle neu eintretenden Bediensteten in Bund und in allen Ländern“. Dabei ist die Schaffung einer einheitlichen Basis des Dienstrechts für vertragliche und öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse vorgesehen, wobei die jeweiligen Berufsspezifika berücksichtigt werden sollen.

Gespräch mit Peter Filzmaier und Matthias Schrom (ORF)

Politologe Peter Filzmaier und ORF2-Chefredakteur Matthias Schrom sprechen über das am Donnerstag vorgestellte Regierungsprogramm.

In Sachen Gesundheit wird etwa das „Forcieren von Impfungen“ genannt, aber keine Impfpflicht. Bei der Sozialversicherung gibt es ein Bekenntnis zum Prinzip der Selbstverwaltung, ansonsten scheint man nicht in die umstrittene (aber vom VfGH in den Grundsätzen belassene) Reform der ÖVP-FPÖ-Regierung eingreifen zu wollen. In der Gesundheitsversorgung werden unter anderem die Weiterentwicklung der E-Card, der Ausbau der Primärversorgung, die wohnortnahe Versorgung durch Kassenärzte und eine Facharztoffensive genannt.

Deutschförderklassen bleiben

Im Bildungsbereich wollen ÖVP und Grüne Qualitätsmindeststandards für Kindergärten. Vorgesehen ist auch ein Ausbau der Plätze, ab 2020/21 sollen dafür die Mittel aus der Bund-Länder-Vereinbarung „wesentlich“ erhöht werden. In der Schule bleibt die Deutschförderklasse erhalten, soll aber laufend wissenschaftlich begleitet werden. Zudem ist wieder die Bildungspflicht vorgesehen: Erst wenn Jugendliche die Grundkompetenzen in Mathematik, Deutsch und Englisch beherrschen, sollen sie ihre Schullaufbahn beenden können.

Unter dem Titel „Österreichs Schulbildung digitalisieren“ werden digitale Endgeräte für jeden Schüler ab der fünften Schulstufe, die Erweiterung der digitalen Kompetenzen von Lehrern sowie eine „Österreichische Bildungscloud“ und ein „Serviceportal Digitale Schule“ angekündigt. In einem Pilotprogramm sollen 100 „Schulen mit besonderen Herausforderungen“ zusätzliches Personal und Geld erhalten. Außerdem will die Regierung das administrative und psychosoziale Unterstützungspersonal wie Schulsozialarbeiter oder -psychologen „bedarfsgerecht aufstocken“.

Für die Universitäten ist im Regierungsprogramm längerfristige Planungssicherheit vorgesehen. Ihr kommendes Budget soll nicht wie eigentlich vorgesehen bis 2024, sondern bis 2027 sichergestellt werden. Gleichzeitig sollen die Karrieremöglichkeiten für Jungwissenschaftler verbessert werden. Geblieben sind auch die Zugangsbeschränkungen, wobei eine „qualitätsvolle und faire Weiterentwicklung“ vorgesehen ist. Die derzeitigen Studienbeiträge sollen beibehalten werden, gleichzeitig soll die Studienförderung ausgebaut werden.

Mehrere Maßnahmen für bäuerliche Landwirtschaft

Unter dem Punkt „Existenz der bäuerlichen Landwirtschaft absichern“ finden sich 18 Maßnahmen, unter anderem die Einführung einer steuerlichen Risikoausgleichsmaßnahme zur Absicherung der Bauern gegen Preis- und Ertragsschwankungen. Anvisiert sind auch die Streichung der Einheitswertgrenze für die Buchführungspflicht von Bauern und die Anhebung der Umsatzgrenze für die Buchführungspflicht von aktuell 550.000 Euro auf 700.000 Euro.

Die heimische Biolandwirtschaft wollen ÖVP und Grüne weiter forcieren. Ein Verbot des Schredderns von lebendigen Küken und ein „Nein zu Mercosur“ – dem anvisierten Handelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten – wurden vereinbart. Zum Streitthema Spritzmittel – Stichwort Glyphosat – gibt es eher allgemeine Aussagen: „Zulassungen und Wiedergenehmigungen von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen auf EU-Ebene sollen weiterhin auf Grundlage fundierter wissenschaftlicher Studien stattfinden.“

„Für unabhängig finanzierten ORF“

Eine Budgetfinanzierung des ORF ist vom Tisch. „Wir stehen für einen unabhängig finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, lautet eine zentrale Aussage des drei Seiten langen Abschnitts. Am ORF-Gesetz soll trotzdem gebastelt werden. Nämlich, um eine „stärkere Zusammenarbeit zwischen ORF und Privaten“ zu verankern – das war schon 2017 ein großes Anliegen der ÖVP gewesen. Der ORF-Player soll eine gemeinsame Plattform für ORF und Private werden („mit öffentlich-rechtlichen Inhalten“), nach seiner Etablierung sollen „weitere öffentliche Einrichtungen“ einbezogen werden.

Weiter ungewiss ist das Schicksal der republikseigenen „Wiener Zeitung“. Im Kapitel „Entbürokratisierung und Modernisierung der Verwaltung“ findet sich erneut das Vorhaben, die Veröffentlichungspflicht „in Papierform“ in der „Wiener Zeitung“ abzuschaffen. Im Medienteil ist von einem „neuen Geschäftsmodell“ für die Zeitung die Rede – „mit dem Ziel des Erhalts der Marke“ und einer „Bündelung der Serviceplattformen“ des Bundes.