ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler.
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Vorbildwirkung?

Deutschland und das „Wiener Modell“

Die zukünftige ÖVP-Grünen-Regierung in Wien sorgt auch außerhalb Österreichs für reges Interesse. Im Fokus der internationalen Presse steht vor allem eine Frage: Kann das Bündnis der „ungleichen Partner“ Vorbild für andere Länder sein? Vor allem in Deutschland schielt man auf das „Wiener Modell“ – aus auf der Hand liegenden Gründen.

„Die Koalition zwischen der ÖVP und den Grünen könnte zum Modell für Deutschland werden“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ unter dem Titel „Versuchslabor Österreich“. „Ganz Europa blickt auf Wien. Und anders als im letzten Jahr ist es kein besorgter, sondern ein hoffnungsvoller Blick. Eine Signalwirkung für Deutschland ist jetzt schon sicher“, hieß es in der „taz“ – obwohl die linke Zeitung recht schroff mit „Koalition Österreich: Abschieben – jetzt emissionsfrei“ titelte.

Ob die Regierung von ÖVP und Grünen zum „Modell für künftige schwarz-grüne Koalitionen auch in anderen europäischen Ländern“ oder „eher zum abschreckenden Beispiel“ wird, fragte der „Spiegel“ – und antwortete mit einem Karl-Kraus-Zitat: „Österreich, eine bewährte ‚Versuchsstation des Weltuntergangs‘, wird Antworten liefern.“

Ermattung in Deutschland

Geradezu euphorisch zeigte sich die „Bild“-Zeitung: ÖVP-Chef Sebastian Kurz habe „es geschafft, eine konservativ-grüne Regierung zu bilden, die zum Vorbild für Deutschland, zum Vorbild für ganz Europa werden könnte“. Von einem „Knalleffekt fürs politische Berlin“ ist die Rede und davon, dass Deutschland „nur neidisch nach Österreich“ schauen könne. Dass die „Bild“-Zeitung ÖVP-Chef Kurz schon lange ins Herz geschlossen hat, ist bekannt. Der Grund für die sehnsüchtigen Blicke nach Wien ist aber leicht erklärt.

Das deutsche politische System gilt als ermattet, die Große Koalition aus Union und SPD wird ihr Image der Lähmung nicht los – selbst die Koalitionspartner wünschen sich frischen Wind – schaffen diesen aber nicht so recht. Die in Wahlen zuletzt regelmäßig abgestrafte SPD wählte zwar im Dezember mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken eine neue Spitze, blieb dann aber trotz kritischer Ansagen in der Regierung. Von Aufbruchsstimmung ist wenig zu spüren.

Lahmende Suche nach Merkel-Nachfolge

Und auch bei der Union läuft es alles andere als rund: Kanzlerin Angela Merkel wird nachgesagt, sie wirke amtsmüde – gleichzeitig ist ihre Nachfolge weiterhin ungeklärt. Annegret Kramp-Karrenbauer konnte sich zwar bei der Wahl zur Parteichefin durchsetzen, ihre Kritiker konnte sie aber nicht vollends überzeugen, auch nicht als Verteidigungsministerin.

Auch ihre ehemaligen und vielleicht auch zukünftigen Konkurrenten um den Parteivorsitz, der neoliberale Friedrich Merz und Gesundheitsminister Jens Spahn, gelten nicht als Konsenskandidaten. Kurz: Die Union sehnt sich nach jemandem, der die Partei vereint und erneuert, so wie es Kurz mit der ÖVP getan hatte.

Ehemaliger CDU Parteivrsitzender Friedrich Merz, CDU Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer and Gesundheitsminister Jens Spahn.
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Merz, Kramp-Karrenbauer und Spahn

Am ehesten wurde ein frischer Wind zuletzt noch CSU-Chef Markus Söder zugetraut, der in den vergangenen Monaten einen beeindruckenden Wandel hingelegt und sich ein Klima- und Ökoimage zugelegt hat. Eine Kanzlerkandidatur schloss er in den vergangenen Wochen aber mehrmals aus.

Deutsche Grüne im Rampenlicht

Wenn schon personell wenig erfrischende Erneuerung in Sicht ist, wäre aus Unionssicht eine Zusammenarbeit mit den Grünen ein Neustart – noch dazu, wo sich die deutschen Grünen in den vergangenen Jahren das Image der Shootingstars erarbeitet haben. Unter der neuen Führung von Robert Habeck und Annalena Baerbock erreichten sie glänzende Umfragewerte.

Ganz abgesehen davon, dass Schwarz-Grün für die Union eine interessante Alternative sein könnte, ist sie vielleicht auch die einzige Alternative: Die Große Koalition gilt derzeit eher als Auslaufmodell – nicht nur aus Sicht von weiten Teilen der Bevölkerung, sondern tendenziell auch aus der der beiden Regierungsparteien.

Und wird die rechtspopulistische AfD von den anderen Parteien weiterhin außen vor gelassen, gibt es nach derzeitigem Stand der Umfragen gar keine mögliche Zweierkoalition. FDP und Linke hätten, wenn überhaupt, nur in einer Dreiervariante (z. B. „Jamaika“ mit Union, Grünen und FDP oder Rot-Rot-Grün) eine Chance aufs Mitregieren.

Habeck sieht Vorbildwirkung skeptisch

Während es von der Union noch gar keine offizielle Reaktion auf das neue Bündnis in Österreich gibt, kamen vom deutschen Grünen-Chef Habeck schon Zweifel, ob das Wiener Modell Vorbildwirkung habe: Er begrüße zwar die geplante Koalition in Österreich, die „Regierungsbildung eins zu eins auf ein Deutschland nach einer Bundestagswahl zu übertragen, ist falsch“, erklärte er. Die deutschen Grünen seien „in wesentlichen Politikfeldern weit von CDU und CSU entfernt“.

Chef der deutschen Grünen Robert Habeck.
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Habeck auf der Erfolgswelle

Aufgabe der Grünen hierzulande sei es, „die Union herauszufordern“, erklärte Habeck. „Die Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung geht in vielen Bereichen auf die Ermattung und Lähmung der Union zurück.“ Der Parteichef verwies darauf, dass die Grünen in Österreich „ihr gutes Ergebnis in einem Wahlkampf gegen die ÖVP erzielt“ hätten.

Habeck äußerte Respekt für die Entscheidung der österreichischen Grünen, an der Seite der konservativen ÖVP in die Regierung einzutreten. Die Grünen hätten die ÖVP in den Koalitionsverhandlungen „aus der Ecke mit Rechtspopulisten rausführen“ müssen, erklärte er. „Den österreichischen Grünen gebührt also großer Respekt, dass sie sich der Verantwortung gestellt haben, um die ÖVP ins demokratische Zentrum zurückzubringen und Österreich eine neue Gestaltungsoption zu geben.“

Zukunftsmodell „mit Tücken“

Nichtsdestotrotz sehen auch andere internationale Medien die neue Regierung als Zukunftsmodell für Europa – wenn auch „mit Tücken“, die die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb. „Wie stabil sie sein wird, bleibt ungewiss. Konfliktpotenzial ist gegeben. Sind Kurz und Kogler erfolgreich, können sie über die Landesgrenzen hinaus zu einem Vorbild werden. Gerade die Deutschen blicken genau auf die österreichischen Pioniere, wenn sie über die Zeit nach Merkel diskutieren und eine Alternative zur scheinbar alternativlosen konservativ-sozialdemokratischen Regierung suchen.“

„Fast zwangsläufiges Szenario“

Ganz ähnlich kommentierte die „News York Times": Die neue österreichische Koalition könnte sich vor allem für Deutschland als Vorläufer erweisen, wo eine ähnliche Koalition nach der nächsten für 2021 geplanten Wahl bereits im Gespräch ist.“

„Wenn die Wiener Wette ein Erfolg wird, gäbe es viele Gewinner“, schrieb der „Corriere della Sera“: Die gesamte europäische Politik könnte in „Wien eine Blaupause für die Zukunft haben“. Und weiter: „An erster Stelle wird Deutschland von dem Experiment profitieren, wo ein Bündnis der CDU mit den Grünen ein fast zwangsläufiges Szenario für die neue Phase darstellt, die mit Angela Merkels Abschied von der Szene beginnen wird.“