Australiens Premier Scott Morrison
APA/AFP/James Ross
Brände in Australien

Premierminister in Erklärungsnot

Seit Monaten wüten in weiten Teilen Australiens Buschfeuer. Eine Entspannung ist nicht in Sicht. Vielmehr droht sich die Lage am Wochenende erneut zu verschärfen. Längst sind die Feuer nicht mehr nur Naturkatastrophe, sondern auch Politikum. Vor allem Premierminister Scott Morrison zieht den Zorn auf sich.

Der Silvestertag brachte für die Menschen in Cobargo nicht Feier und Ausgelassenheit, sondern Feuer und Zerstörung. In der Nacht auf Mittwoch fielen große Teile der Ortschaft im Südosten des australischen Bundesstaates New South Wales den dortigen Buschfeuern zum Opfer. Zwei Menschen starben in den Flammen, zahlreiche Häuser wurden zerstört. Als Premierminister Morrison den Ort einen Tag später besuchte, schlugen ihm Wut und Verzweiflung der Bewohnerinnen und Bewohner entgegen.

Der australische TV-Sender Channel 9 legte immer wieder Piepser über das Video des Premierbesuchs. Für die Ohren der Zuseherinnen und Zuseher fielen die Beschimpfungen offenbar zu wüst aus. Morrison musste den Besuch schließlich abbrechen. Die unvorteilhaften Bilder waren zu dem Zeitpunkt aber schon aufgenommen: Sowohl ein freiwilliger Feuerwehrmann als auch eine schwangere junge Frau weigerten sich, dem Regierungschef die Hand zu geben. In beiden Fällen hielt das den Premierminister aber nicht davon ab, nach den Händen seines Gegenübers zu greifen – nur um sich dann schnell wieder abzuwenden.

In einem späteren Statement versuchte Morrison noch Schaden abzuwenden: Er verstehe den Ärger der Menschen. Und falls sich dieser „gegen mich richtet, ist es ihre Sache“. Er werde sich davon nicht ablenken lassen. Vielmehr fühle er mit den Menschen. „Ich verstehe das. Ich nehme es nicht persönlich“.

„#WhereTheBloodyHellAreYou“

Der Vorfall ist freilich ein weiteres mediales Puzzlestück im öffentlichen Bild Morrisons, das sich seit Beginn der Brände zunehmend schwerer ins rechte Licht rücken lässt. Im Dezember etwa flog der Premierminister mit seiner Familie nach Hawaii, während in Australien die Brände wüteten, und sorgte damit bei vielen Menschen für Unverständnis. Morrison brach den Urlaub schließlich vorzeitig ab.

Zu diesem Zeitpunkt war der Hashtag „#WhereTheBloodyHellAreYou“ in Sozialen Netzwerken bereits vielfach geteilt worden. Den Slogan hatte Morrison in seiner Zeit als Chef der australischen Tourismusbehörde von der Werbeagentur M&C Saatchi entwickeln lassen. Nun verwendeten Nutzerinnen und Nutzer den Satz allerdings, um fehlendes Engagement des Regierungschefs anzuprangern.

„Das Willkommen, das er verdient hat“

Dabei sind es nicht nur Morrisons parteipolitische Gegner, die dem Regierungschef Fehlverhalten vorwerfen. Am Freitag veröffentlichte der britische „Guardian“ den Brief eines Australiers, der darin schreibt, „bisher immer“ die liberale Partei Morrisons gewählt zu haben. „Aber nach allem, was meine Familie in den vergangenen drei Tagen erlebt hat, kann ich nicht länger eine Regierung oder Partei wählen, die sich dazu entschieden hat, dem Klimawandel und seinen verheerenden Effekten einfach zuzuschauen“, schreibt Angus Macfarlane.

Feuerwehrmann in Australien
Reuters/AAP Image/Dean Lewins
Die Feuerwehrleute stehen den Bränden in Australien oftmals hilflos gegenüber

Auch direkt aus der eigenen Partei musste sich Morrison Kritik gefallen lassen. Die Einwohnerinnen und Einwohner von Cobargo hätten dem Premierminister „das Willkommen bereitet, das er vermutlich verdient hat. Ich würde zum Premierminister sagen: ‚Die Nation will, dass sie das Scheckbuch öffnen‘“, sagte der Transportminister von New South Wales und Morrison-Parteifreund Andrew Constance. Der Politiker hätte in den Feuern beinahe sein eigenes Haus verloren.

Der vom Parteichef der Liberalen zur kritischen Stimme avancierte John Hewson warf Morrison am Donnerstag in einem Kommentar fehlende Führungsqualitäten vor. Morrison tue zu wenig, um Australien auf die künftigen ökologischen und ökonomischen Herausforderungen vorzubereiten. „Niemand erwartet von Ihnen, dass Sie selbst einen Schlauch gegen die Brände richten. Aber die Menschen erwarten sich zu Recht, dass Sie umgehend darauf reagieren und zugleich eine eigene längerfristige Strategie erarbeiten“, schrieb Hewson in der australischen Tageszeitung „The Age“.

Doppelte Kritik

Genau dieser zweifachen Kritik sah sich Morrison zuletzt vermehrt ausgesetzt. Zum einen warfen ihm viele Menschen vor, er habe nicht schnell und vehement genug auf die Brandkrise reagiert. Zum anderen monierten Kritiker, dass der Premierminister als überzeugter Kohlebefürworter nichts oder zu wenig im Kampf gegen den Klimawandel unternehme.

Tatsächlich hatte Morrison nach dem Ausbruch der Brände im August lange Zeit zurückhaltend reagiert – auch was die Bereitstellung finanzieller Mittel betraf. So stimmte er etwa erst nach langem Zögern und unter steigendem Druck zu, die großteils ehrenamtlich arbeitenden Feuerwehrleute finanziell zu entschädigen.

„Das ist eine Naturkatastrophe“

Zugleich weigerte er sich, in den Buschbränden die Folge einer verfehlten Klimapolitik zu sehen. Erst am Donnerstag verteidigte er die Politik seiner Regierung bei einer Pressekonferenz in Sydney. „Ich verstehe die Angst, ich verstehe die Frustration, aber das ist eine Naturkatastrophe, die am besten auf ruhige, systematische Art behandelt wird.“ Er nehme die Erderwärmung ernst, so Morrison. Er betonte zugleich, dass er seine Politik nicht auf Kosten der Wirtschaft ändern werde.

Allerdings sagte Morrison inzwischen seine für den 13. Jänner geplante Indien-Reise ab, wie am Freitag Indiens Premier Narendra Modi bestätigte. Australiens Gas- und Kohleexporte wären bei dem Besuch weit oben auf der Agenda gestanden. Morrisons Regierung machte sich seit Langem für eine Kohlemine stark, die die indische Adani-Gruppe in Australien in Betrieb nehmen will.

Klimawandel lässt Brandrisiko steigen

Dass mittlerweile große Teile von Australiens Südosten in Flammen stehen, hat auch mit den steigenden Temperaturen zu tun. Dazu kommt eine seit Langem anhaltende Trockenheit. Sie wurde heuer durch eine natürlich auftretende Schwankung im Indischen Ozean noch einmal verstärkt. Das als Indischer-Ozean-Dipol bekannte Phänomen sorgte dafür, dass vor Australiens Küste kaltes Wasser aus der Tiefe des Meeres emporstieg. Dadurch bildeten sich weniger Wolken, und im Frühjahr blieben Niederschläge aus.

Klimaforscher gehen jedenfalls von einem deutlich gestiegenen Brandrisiko in Australien durch den Klimawandel aus. Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif sprach gegenüber der dpa von „klaren Indizien“. Die Brände seien in gewisser Weise anhand der Modellrechnungen in der Region zu erwarten gewesen. Teile Australiens liegen laut dem Wissenschaftler genau in dem Breitengradgürtel, in dem Klimamodelle Rekordhitze gepaart mit Rekordtrockenheit vorhergesagt hätten.

Mittlerweile kamen in den seit Monaten wütenden Feuern 19 Menschen ums Leben. Allein im Bundesstaat New South Wales zerstörten die Feuer eine Fläche von der Hälfte Österreichs. 480 Millionen Säugetiere, Reptilien und Vögel könnten in den Feuern verendet sein. Landesweit wurden mehr als 1.400 Häuser zerstört.

Großangelegte Evakuierungen

In den betroffenen Gebieten im Südosten des Landes gingen am Freitag die Rettungsmaßnahmen weiter. Tausende Menschen befanden sich weiterhin auf der Flucht. Mehr als ein halbes Dutzend Städte wurden bereits evakuiert. Aus dem Küstenort Mallacoota brachte die Navy über tausend Eingeschlossene mit Booten in Sicherheit. An der Küste halfen private Fischerboote, die festsitzenden Bewohner mit Wasser zu versorgen und Menschen in Sicherheit zu bringen.

Evakuierung in Australien
Reuters/Department of Defence/Shane Cameron
Vor dem Wochenende wurden tausend Eingeschlossene aus dem Küstenort Mallacoota in Sicherheit gebracht

Viele mussten sich auf der Flucht vor den Flammen Notquartiere suchen und konnten nicht weiter reisen. Am Samstag könnte sich die Lage bei Temperaturen von bis zu 46 Grad weiter zuspitzen. Blitze könnten neue Feuer entfachen. In New South Wales und Victoria wüteten am Freitag fast 200 Feuer, landesweit waren es mehr als 300.