Trauernde tragen den Sarg des iranischen Generals Kassem Soleimani
AP/Khalid Mohammed
Nach Soleimani-Tötung

Raketen treffen Bagdad und US-Stützpunkt

In der hoch gesicherten Grünen Zone in der irakischen Hauptstadt Bagdad sind am Samstagabend zwei Geschoße eingeschlagen. Das teilten irakische Sicherheitsvertreter sowie Verantwortliche der Grünen Zone mit. In dem Gebiet befindet sich die US-Botschaft. Auch auf den US-Stützpunkt Balad (80 km nördlich von Bagdad) sollen Katjuscha-Raketen abgefeuert worden seien.

Auf dem Gelände der US-Botschaft im Zentrum Bagdads schrillten sofort die Sirenen, wie dortige Kreise der Nachrichtenagentur AFP sagten. In der US-Botschaft befinden sich sowohl Diplomaten als auch US-Truppen. Nach Angaben des irakischen Militärs schlug ein Geschoß innerhalb der Zone ein, das zweite in der Nähe der Zone. Die Ziele in Bagdad und Balad seien laut Angaben aus Sicherheitskreisen fast gleichzeitig beschossen worden.

Unter den im US-Stützpunkt Balad stationierten US-Soldaten habe es keine Opfer gegeben, hieß es. Die Raketen seien beim Lagerhausbereich der Basis eingeschlagen. Die US-Truppen seien in Alarmbereitschaft versetzt worden. Hubschrauber kreisten über dem Stützpunkt am Himmel. Auch wurde aus Polizeikreisen berichtet, dass im Bagdader Viertel Dschadrija Mörsergranaten niedergegangen seien und fünf Menschen verletzt hätten.

Angekündigte „Rache“ des Iran?

Die US-Botschaft war am Dienstag von Tausenden proiranischen Demonstranten attackiert worden, bevor die USA den iranischen General Kassem Soleimani nahe dem Flughafen von Bagdad gezielt töteten. Das Pentagon teilte mit, der Angriff sei auf Anweisung von Präsident Donald Trump erfolgt, um weitere Angriffe auf US-Diplomaten und Einsatzkräfte zu verhindern – der Iran kündigte daraufhin „Rache“ an, Trump verteidigte die Tötung.

Hisbollah-Brigaden setzen Warnung ab

Die proiranischen Hisbollah-Brigaden im Irak haben die irakischen Truppen und Sicherheitskräfte aufgefordert, sich von US-Soldaten auf Stützpunkten im Irak zu entfernen. „Wir fordern die Sicherheitskräfte im Land auf, sich ab Sonntag um 17.00 Uhr (15.00 Uhr MEZ) mindestens 1.000 Meter von US-Stützpunkten zu entfernen“, teilte die Gruppe am Samstag mit.

Unmittelbar vor den Angriffen hatten die iranischen Revolutionsgarden den USA einmal mehr mit Vergeltung für die Tötung Soleimanis gedroht. Insgesamt nannte ein General 35 Ziele, die in Reichweite des Iran seien. Der Iran werde die Amerikaner bestrafen, wo immer sie erreichbar seien, sagte der Kommandant der Eliteeinheit in der Provinz Kerman, General Gholamali Abuhamseh, am Samstag der Nachrichtenagentur Tasnim zufolge.

Mit Angriffen auf Straße von Hormus gedroht

Im Nahen Osten seien seit Langem wichtige US-Ziele ausgemacht – auch Angriffe in der Straße von Hormus seien nicht ausgeschlossen. „Die Straße von Hormus ist ein wichtiger Punkt für den Westen, und viele amerikanische Zerstörer und Kriegsschiffe passieren sie“, so Abuhamseh. Die Verbindung zwischen dem Persischen Golf und dem Golf von Oman ist einer der wichtigsten Schifffahrtswege weltweit, durch die Meerenge geht etwa ein Fünftel der weltweiten Öltransporte.

Die Londoner Regierung will Frachter mit britischer Flagge in der Straße von Hormus schützen. Zwei Schiffe der Königlichen Marine sollen die Frachter durch die Meerenge begleiten, teilte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace mit. Dazu würden die Kriegsschiffe „HMS Montrose“ und „HMS Defender“ abgestellt.

Irakische Milizen bei einer Demonstration in Bagdad
Reuters/Thaier Al-Sudani
Bei einem Trauerzug für Soleimani in Bagdad gingen Tausende Menschen auf die Straße

Tausende bei Trauerzug in Bagdad

Bei einem Trauerzug in Bagdad für Soleimani und den Vizechef der irakischen Volksmobilisierungskräfte (PMF), Abu Mehdi al-Muhandis, der bei dem Drohnenangriff ebenfalls getötet wurde, nahmen Tausende Menschen teil. Militärfahrzeuge transportierten am Samstag Särge mit den Leichen Soleimanis und der sieben weiteren Todesopfer durch die irakische Hauptstadt.

Angeführt wurde der Zug der Trauernden nach Augenzeugenberichten von Milizionären, die irakische Flaggen sowie Banner von Milizen schwenkten, die vom Iran unterstützt werden. Einige riefen antiamerikanische Parolen und „Tod für Amerika“.

Tausende bei Trauerzug im Irak

Nach der Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani durch die USA haben sich am Samstag Tausende Menschen dem Trauerzug in Bagdad angeschlossen. (Videoquelle: APTN)

Ähnliche Szenen dürften auch bei der Beisetzung Soleimanis am Dienstag in dessen Geburtsort Kerman im Südostiran zu erwarten sein. Die iranischen Revolutionsgarden planen mehrere Trauerzeremonien in mehreren Städten.

USA baten angeblich um „verhältnismäßige“ Reaktion

Nach der Tötung Soleimanis suchte Washington nach Angaben der Revolutionsgarden inoffiziell Kontakt zur Regierung in Teheran. Dabei habe die US-Regierung gefordert, im Falle einer Reaktion des Iran auf den US-Angriff diese „verhältnismäßig“ ausfallen zu lassen. Das sagte der stellvertretende Befehlshaber der Revolutionsgarden, Ali Fadawi, nach Angaben des iranischen Staatsfernsehens vom Samstag.

„Wenn Ihr Rache wollt, dann nehmt Rache im Verhältnis zu dem, was wir getan haben“, erklärten die USA den Angaben zufolge der Regierung in Teheran. Die Vereinigten Staaten seien aber nicht in der Position, die Reaktion des Iran zu bestimmen, fügte Fadawi hinzu. Die USA müssten mit einer „harten“ Antwort rechnen.

Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif hatte am Freitag erklärt, der diplomatische Vertreter der Schweiz habe eine „dumme Nachricht der Amerikaner“ übermittelt. Der Diplomat sei am Abend einbestellt worden und habe eine „entschiedene schriftliche Antwort“ auf den „dreisten Brief“ der USA erhalten. Die Schweizer Botschaft vertritt seit 1980 die Interessen der USA im Iran. Das Schweizer Außenministerium bestätigte am Samstag, dass sein diplomatischer Vertreter dem iranischen Außenministerium einen Brief aus Washington übergeben habe.

USA verlegen Truppen in den Nahen Osten

Die USA verlegen wegen der neuen Spannungen zusätzlich mehrere tausend Soldaten in die Region. Sie würden angesichts der gestiegenen Bedrohungslage als „Vorsichtsmaßnahme“ im Nachbarland Kuwait stationiert, hieß es am Freitag aus dem US-Verteidigungsministerium. Übereinstimmenden US-Medienberichten zufolge handelte es sich um bis zu 3.500 Soldaten. Das Pentagon nannte bisher keine genaue Zahl.

Die USA bezeichneten Soleimanis Tötung als Akt der Selbstverteidigung. Die USA wollten keinen Regimewechsel im Iran erreichen, er wolle auch keinen Krieg mit Teheran, sagte Trump. „Wir haben (…) gehandelt, um einen Krieg zu stoppen. Wir haben nicht gehandelt, um einen Krieg zu beginnen.“ Vor evangelikalen Unterstützern in Miami sagte er am Freitagabend, die USA strebten nach Frieden und Harmonie. „Wir sind eine friedliebende Nation.“

Eskalation befürchtet

In der Region wächst unterdessen die Befürchtung einer Eskalation des Konflikts. Afghanistans Präsident Aschraf Ghani erklärte, darüber auch mit US-Außenminister Mike Pompeo gesprochen zu haben. Er habe in dem Telefonat betont, „dass afghanischer Boden nicht gegen ein Drittland oder in regionalen Konflikten eingesetzt werden darf“, schrieb Ghani auf Twitter. In Afghanistan sind derzeit rund 12.000 US-Soldaten stationiert.

Israels Sicherheitskabinett um Regierungschef Benjamin Netanjahu will am Sonntag über die Folgen der Tötung Soleimanis beraten. Dabei geht es um die Abwehr möglicher Racheangriffe des Iran. Nach einem Bericht des israelischen Fernsehens sollen die USA Israel über den Angriff auf Soleimani mehrere Tage vorher informiert haben.

NATO setzt Truppenausbildung aus

Angesichts der angespannten Lage setzte die NATO die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte vorübergehend aus. Die NATO-Mission werde jedoch fortgesetzt, sagte ein Sprecher des Bündnisses am Samstag. Die Mission umfasst mehrere hundert Soldaten. Auf Bitten Bagdads ist die NATO seit Oktober 2018 an der Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte beteiligt, um eine Rückkehr der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu verhindern.

Die von den USA angeführte Anti-IS-Koalition entschied unterdessen, die Sicherheitsmaßnahmen für die im Irak stationierten internationalen Truppen zu verschärfen und ihre Einsätze „einzuschränken“. Oberste Priorität habe der Schutz der Koalitionsstreitkräfte, sagte ein Vertreter der US-Streitkräfte der Nachrichtenagentur AFP am Samstag.

Lawrow: USA brachen Völkerrecht

Russlands Außenminister Sergej Lawrow warf den USA einen Verstoß gegen das Völkerrecht vor. Das Vorgehen der Amerikaner führe zu einer Eskalation der Lage im Nahen Osten, sagte Lawrow am Samstag seinem Ministerium zufolge nach einem Telefonat mit seinem iranischen Kollegen Sarif. In Russland wurden Stimmen laut, dass sich der UNO-Sicherheitsrat mit dem US-Raketenangriff befassen sollte. Frankreichs Außenminister Jean-Yves le Drian sagte, es müssten gemeinsam Anstrengungen unternommen werden, damit es nicht zu einer Eskalation der Spannungen komme.

Architekt des iranischen Einflusses in der Region

Der 62-jährige Soleimani war der prominenteste Vertreter und das bekannteste Gesicht des iranischen Militärs im Ausland. Die Al-Kuds-Brigaden, die Soleimani seit 1998 führte, sind jenseits der iranischen Grenzen im Einsatz. Sie unterstützten den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, als ihm in dem seit 2011 dauernden Bürgerkrieg die Niederlage drohte. Soleimani sorgte auch für enge Beziehungen zur schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon. Im Irak kämpften Soleimanis Einheiten an der Seite schiitischer Milizen gegen den IS. Zu den Schiitenmilizen gehört die Kataib Hisbollah. Gegründet hatte diese der bei dem Angriff ebenfalls getötete Abu Mehdi al-Muhandis.

Kurz bietet Gipfel in Wien an

Bundeskanzler in spe Sebastian Kurz brachte unterdessen einen Gipfel in Wien zur Konfliktlösung zwischen den USA und dem Iran ins Gespräch. Kurz sagte „Bild am Sonntag“: „Wien steht selbstverständlich als Standort für mögliche Verhandlungen zur Verfügung, wenn der Iran und die USA wieder Gespräche führen wollen. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht bei den Verhandlungen zum Atomabkommen und glauben daran, dass Diplomatie auch in dieser Situation der einzig richtige Weg ist, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.“