Recep Tayyip Erdogan
AP/Presidential Press Service

Türkei startet Truppenverlegung nach Libyen

Die Türkei hat am Sonntag mit der Entsendung von Truppen nach Libyen begonnen, wie Präsident Recep Tayyip Erdogan in einem Interview mit dem Sender CNN Turk sagte. Man wolle im nordafrikanischen Bürgerkriegsland die international anerkannte Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch mit Sitz in Tripolis unterstützen. „Unsere Soldaten sind jetzt dabei, schrittweise dorthin zu gehen“, so Erdogan.

Aufgabe der türkischen Soldaten in Libyen sei Koordination und die Einrichtung eines Einsatzzentrums. Ein Kampfeinsatz sei nicht das Ziel der türkischen Soldaten, sagte Erdogan. Vielmehr sollten die türkischen Truppen „die legitime Regierung unterstützen und eine humanitäre Tragödie vermeiden“. Die Türkei reagiert mit der Truppenentsendung auf die Bitte der international anerkannten Regierung um militärische Unterstützung im Kampf gegen den abtrünnigen General Chalifa Haftar.

Bereits vor Weihnachten hatte das Parlament einem Militärabkommen zugestimmt. Dieses sieht eine verstärkte Zusammenarbeit beider Länder in den Bereichen Geheimdienste, Terrorismus, Rüstungsindustrie und Migration, allerdings keine Entsendung von Bodentruppen vor. Erdogan hatte bereits zuvor angekündigt, das Abkommen auszuweiten. Ankara werde die Möglichkeiten von Bodentruppen, Luftwaffe und Marine prüfen, hieß es damals.

Ringen um Vorherrschaft

Im ölreichen Libyen herrschen seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 politisches Chaos und Bürgerkrieg. Die international anerkannte Einheitsregierung von al-Sarradsch ist schwach und hat weite Teile des Landes nicht unter Kontrolle. Ihr gegenüber steht der Offizier Haftar, der unter dem Namen Libysche Nationalarmee (LNA) den Großteil des ehemaligen Militärs hinter sich vereint hat.

Libyens international anerkannte Regierung von Ministerpräsident Fayez al-Sarraj
APA/AFP
Al-Sarradsch verteidigte die türkische Unterstützung zuletzt als alternativlos

Die LNA beherrscht weite Teile im Osten und Süden des Landes. Im April begann sie eine Offensive auf Tripolis. Haftar wird von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien sowie Russland unterstützt. Aufseiten der libyschen Einheitsregierung stehen hingegen die Türkei und Katar.

Grenzabkommen zugunsten der Türkei

Im Gegenzug für die türkische Unterstützung ist die libysche Regierung zu Zugeständnissen bereit. Sie unterzeichnete erst Ende November in Istanbul ein Abkommen, das die Grenzen des türkischen Festlandsockels erheblich ausweitet. Bei den Anrainern Griechenland, Zypern und Ägypten stieß das auf scharfen Protest, da diese ihre eigenen Ansprüche in der Meeresregion verletzt sehen. Griechenland wies deshalb bereits den libyschen Botschafter aus. In dem Konflikt geht es auch um Rohstoffe – die Meeresregion ist reich an Erdgas.

Al-Sarradsch hatte die umstrittene militärische Zusammenarbeit mit der Türkei zuletzt verteidigt. Es gebe dazu „keine Alternative“, sagte er unlängst in einem Interview der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“. Seine Regierung habe auch Italien um Waffen gebeten, aber keine Antwort erhalten, sagte er weiter. „Jeder, der uns kritisiert, sollte sich zuerst fragen, was er an unserer Stelle getan hätte, und er wird sehen, dass wir keine Alternative hatten“, sagte al-Sarradsch.

Mit einem Engagement des NATO-Mitglieds Türkei wächst die Angst vor einem Stellvertreterkrieg. Die UNO sprach etwa von einer „wachsenden ausländischen Einmischung in Libyen“ und mahnte erneut eine politische Lösung des Konflikts an. Die russische Regierung hatte sich zu einem möglichen Engagement der Türkei bereits besorgt geäußert.

Experten sehen drohenden Krieg mit Ägypten

Die Einmischung der Türkei in Libyen sei die „Grundlage“ für eine zunehmende expansionistische Haltung der Türkei, deren Ursprung im „arabischen Frühling“ liege und ideologische und wirtschaftliche Hintergründe habe, schrieben die Libyen-Experten Ethan Chorin und Wolfgang Pusztai jüngst im Magazin „Forbes“.

Sie warnen vor den Konsequenzen: Die Truppenentsendung der Türkei könnte einen militärischen Konflikt mit Ägypten provozieren. Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi kündigte bereits an, er würde zum Schutz ägyptischer Interessen militärisch in Libyen eingreifen. Die Experten fürchten, dass sich das zu einem regionalen Krieg auswachsen könnte.