Rückenansicht von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)
ORF.at/Roland Winkler
ÖVP–Grün

Herausforderungen auch für die Parteien

Österreich hat eine neue Bundesregierung. ÖVP und Grüne übernahmen am Dienstag die Amtsgeschäfte von der Übergangsregierung unter Brigitte Bierlein. Vieles, was die beiden Regierungspartnerinnen in den nächsten Jahren vorhaben, steht im Regierungspakt. Aber es gibt noch andere Herausforderungen, die allen voran die Parteien selbst betreffen.

Anfang Jänner stellten die beiden Parteien ihr Regierungsprogramm der Öffentlichkeit vor. Die ÖVP fokussierte sich dabei auf die Bereiche Entlastung und Migration, Asyl sowie Integration. Die Grünen setzten sich in den Kapiteln Klimaschutz und Transparenz durch. Für einige Beobachter und Beobachterinnen ist diese konkrete Aufteilung ein Novum in der österreichischen Innenpolitik. Während ÖVP und FPÖ in fast allen Punkten auf derselben Linie waren, einigten sich SPÖ und ÖVP auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Politikberater Thomas Hofer geht davon aus, dass sich ÖVP und Grüne auf ihre eigenen Themen stürzen werden. Angesichts der anstehenden Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien würden Sebastian Kurz und sein Team „rasch mit der Entlastungsoffensive“ beginnen, wie Hofer im Gespräch mit ORF.at sagte. Auch die Grünen, so der Politikberater, seien gut beraten, wenn sie ihre Punkte rasch angehen. Denn: „Vieles, was jetzt angekündigt wird, wird als Signal für die Wien-Wahl gewertet.“

Dauerthemen Justiz und Bundesheer

Die von der ÖVP-FPÖ-Regierung geplanten Steuersenkungen kann die ÖVP mit den Grünen umsetzen. Die Lohn- und Einkommensteuertarife sollen von 25 auf 20 Prozent, von 35 auf 30 und von 42 auf 40 Prozent sinken. „Hier gibt es konkrete Pläne, die schneller umgesetzt werden können als die von den Grünen geforderte ökosoziale Steuerreform“, sagte Politkberater Hofer. Allerdings könnte das große Ressort von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) „Ausrufezeichen“ setzen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
ORF.at/Roland Winkler
Bundeskanzler Kurz nahm nach der Angelobung in der Hofburg Glückwünsche entgegen

Weiters gehören die Justiz und das Bundesheer zu den Dauerthemen, mit denen bisher jede Regierung konfrontiert war. ÖVP und Grüne, so heißt es im Programm, wollen sowohl die Justizverwaltung wie auch die Landesverteidigung, die seit Jahren den „stillen Tod“ beklagen, mit den „erforderlichen Ressourcen“ ausstatten. Aber konkreter werden die Regierungspartnerinnen dabei nicht. „Für Tatsachen braucht es ein Budget“, betonte Hofer. „Es wird spannend zu sehen, wie viel die Bundesregierung diesen Herausforderungen Wert beimisst.“

In den kommenden Wochen werden ÖVP und Grüne das erste Budget verhandeln. Denn schon im März wird Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) seine erste Budgetrede vor dem Nationalrat halten. Ob die Vorhaben der Regierung also nicht nur angekündigt, sondern auch umgesetzt werden, hängt am Ende auch von der Konjunktur ab. Dieses Jahr erwarten Fachleute eine leichte Abschwächung des Wachstums, im kommenden Jahr sieht es aber wieder etwas positiver aus.

Erste Reaktionen der ÖVP-Grün-Regierung

Die neuen Regierungsmitglieder von ÖVP und Grünen zeigten sich nach der Angelobung am Dienstag erfreut über ihre künftigen Aufgaben.

Für Koalition ist „Disziplin“ notwendig

Interessant wird es aber im Nationalrat. Denn eine Koalition ist nur so stark wie die Klubs, die sie hinter sich vereint. ÖVP und Grüne haben mit 97 von 183 Abgeordneten des Nationalrats eine Mehrheit, aber so ganz „unheikel“ sei die neue Konstellation nicht, sagte Hofer. Die ÖVP habe gut verhandelt und im Kapitel Migration „wesentliche Teile ihres Wahlprogramms“ durchgesetzt. „Im Nationalrat ist die ÖVP aber von den Grünen abhängig“, so der Politikberater.

Künftig wird es in Krisensituationen im Bereich Migration und Asyl für eine Partei möglich sein, auch mit anderen Mehrheiten im Nationalrat Gesetze zu beschließen. Das gilt aber nicht für die von den Grünen kritisierten Maßnahmen wie Sicherungshaft und das Kopftuchverbot bis 14 Jahre, die im Regierungsprogramm stehen. Die Grünen würden einer Sicherungshaft nur zustimmen, wenn diese verfassungskonform ist. Aber, so betonten mehrere Grünen-Politiker und -Politikerinnen, eine Verfassungsänderung sei nicht vereinbart worden.

Für eine Regierungskoalition sei „Disziplin“ notwendig, so Hofer und meinte damit den Grünen-Klub, der sich im Herbst 2019 neu aufgestellt hat. Künftig werde man sich die Frage stellen müssen, ob man trotz gegenteiliger Meinung „die Linie“ halten werde, so der Politikexperte. Der neuen Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer komme hier eine zentrale Funktion zu. „Sie ist die Frontfrau des Klubs. Es wird unter anderem darauf ankommen, ob sie mit (ÖVP-Klubobmann August, Anm.) Wöginger gut kann. Am Ende blicken die Grünen-Mandatare auf sie“, sagte Hofer.

Neue Regierung angelobt

Die 15 Regierungsmitglieder von ÖVP und Grünen wurden am Dienstag in der Hofburg angelobt.

U-Ausschuss als „Lackmustest“

Dass die Klubdisziplin problematisch für die ÖVP sein könnte, glaubt der Experte nicht. Denn die ÖVP sitzt seit gut 33 Jahren in Koalitionen, und „das Werkl läuft“, wie es Hofer nannte. Doch der „Lackmustest“ stehe für die Koalition bereits in den Startlöchern. Im Frühjahr dürfte der Untersuchungsausschuss rund um die Causa Casinos beginnen. „In manchen Teilen ist die Affäre heikel für die ÖVP“, betonte Hofer, der davon ausgeht, dass die Grünen vielleicht nicht auf Linie mit der ÖVP sein werden, aber „abgestimmt kommunizieren“.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)
APA/Roland Schlager
Vizekanzler und Grünen-Chef Kogler hat die Partei in den Nationalrat zurückgeholt und landete in der Regierung

Dass es künftig zu Meinungsverschiedenheiten kommen wird, sei klar. „Die Parteien sind in ihrer Ausrichtung zu unterschiedlich“, betonte der Experte. Derzeit spielen inhaltliche Themen noch keine so große Rolle. Und ohnehin, so Hofer, habe die ÖVP-Grüne-Koalition das „beste Geschenk“ von SPÖ und FPÖ bekommen. Solange die großen Oppositionsparteien mit sich selbst beschäftigt sind, lenke das teilweise von inhaltlichen Differenzen zwischen ÖVP und Grünen ab.