Sebastian Kurz und Werner Kogler vor der Angelobung
ORF.at/Roland Winkler
„Signal“

ÖVP-Grün aus Sicht der EU

Seit Dienstag hat Österreich eine konservativ-grüne Regierung. Doch ob die von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) angestrebte Vorbildwirkung für Europa eintreten wird, bleibt abzuwarten. Österreich alleine werde jedoch wahrscheinlich nicht das politische Leitbild vorgeben, vermutete etwa EU-Experte Janis Emmanouilidis im Gespräch mit ORF.at in Brüssel.

Der Politikbeobachter vom European Policy Center (EPC) mahnte zur Vorsicht, was die Erwartungen an Österreich anbelange. Er spreche deshalb lieber von „Hoffnungen“ anstatt „Erwartungen“. „Andere Mitgliedsstaaten dürfen sich erhoffen, dass es in Österreich mit der neuen Regierung Stabilität gibt“, so Emmanouilidis und präzisierte: „Die Regierung ist von ihrer Grundeinstellung her liberaler als die Vorgängerregierung.“ Ihm zufolge sendet Österreich die richtigen Signale in Richtung EU, insbesondere bei der Klimapolitik.

Schon in den Koalitionsverhandlungen wurden Maßnahmen gegen die Klimakrise beschlossen – einer der wenigen Bereiche, in denen sich die Grünen gegenüber der ÖVP durchsetzen konnten. So soll CO2 höher besteuert werden, auch wenn es keine explizite CO2-Steuer geben soll. Kogler betonte, gerade im Klimabereich habe man einen „guten Kompromiss“ gefunden, der „Einstiegsschritt“ sei die Erhöhung der Flugticketabgabe.

Darüber hinaus einigten sich die Regierungspartner in den Koalitionsgesprächen auf Klimaneutralität bis 2040, zehn Jahre früher, als es die EU-Kommission für ganz Europa plant. „Der Klimawandel ist auch die zentrale Herausforderung, die sich das EU-Parlament und der Rat auf die Fahnen geheftet haben“, kommentierte Emmanouilidis die Bestrebungen Österreichs und ortete hierbei eine gemeinsame Linie mit den EU-Institutionen.

Kommission hofft auf Unterstützung beim „Green Deal“

Die EU-Kommission selbst erhoffe sich Kooperation von Österreich, freilich aber auch von allen anderen Mitgliedsstaaten, wie ein Sprecher von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag zu Medien sagte. „Wir hoffen, dass die österreichische Regierung mit ganzem Herzen den ‚Green Deal‘ unterstützen wird“, so der Sprecher. Der „Green Deal“, der Europa bis 2050 klimaneutral machen soll, ist das Herzensprojekt von der Leyens.

Sebastian Kurz und Werner Kogler
ORF.at/Roland Winkler
Kurz, Kogler und das Regierungsteam wurden am Dienstag angelobt

Der österreichische EU-Budgetkommissar Johannes Hahn (ÖVP) lobte erwartungsgemäß das proeuropäische Regierungsprogramm, auch er sieht viele Parallelen zu den Vorhaben auf EU-Ebene. „Bereits in der Präambel wird das Bekenntnis der Bundesregierung zu einem starken Europa hervorgehoben. Und in der Tat zieht sich die europäische Ausrichtung durch das gesamte Programm“, sagte Hahn laut Aussendung. Neben dem Klimaschutzpaket nannte Hahn das Bekenntnis zum Multilateralismus, den EU-Außengrenzschutz, Transparenz und mehr Bürgernähe.

Dem schloss sich dann Dienstagabend auch die Kommissionspräsidentin an. „Das sind ehrgeizige Ziele bei Klima, Digitalisierung und Migration – das passt gut zu unserer europäischen Agenda“, schrieb von der Leyen auf Twitter. Auch EU-Parlamentspräsident David Sassoli gratulierte Kurz auf der Plattform: „Ich freue mich darauf, mit ihm und seiner neuen Regierung an einer grünen und proeuropäischen Agenda zu arbeiten“, so Sassoli. Am Sonntag kommt Kurz zum Antrittsbesuch nach Brüssel.

EU-Migrationspolitik auch weiter Herausforderung?

Der neue Bundeskanzler sprach in den vergangenen Tagen häufig vom „Besten aus zwei Welten“, das er mit der Koalition zwischen seiner Partei und den Grünen zusammenführen wolle. „Es ist möglich, gleichzeitig das Klima und die Grenzen zu schützen“, so Kurz. Einige europäische Medien lobten schon jetzt den für die EU-Mitgliedsstaaten unkonventionellen Vorstoß aus Österreich, andere wiederum wählten vorsichtige Worte. Die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“) schrieb etwa von einem „Versuchslabor“ für Europa.

Politikexperte Emmanouilidis warnte im Gespräch mit ORF.at davor, aus den Ankündigungen von Kurz und Kogler voreilige Schlüsse für andere EU-Länder zu ziehen. Nur weil sich die Regierung im kleinen Österreich wandle, sei das noch nicht richtungsweisend für den Rest von Europa. „Themen, bei denen sich die EU-Mitgliedsstaaten schon vor einigen Jahren schwergetan hat, werden auch weiterhin schwierig bleiben – etwa die Migrationspolitik“, prognostizierte der Analyst.

„Österreich alleine nicht richtungsweisend“

„Die Regierungsbildung in Österreich alleine ist sicherlich nicht richtungsweisend für ganz Europa“, so Emmanouilidis weiter. Vielmehr sei die Frage interessant, ob sich in den größeren Mitgliedsstaaten, allen voran Deutschland, ebenfalls eine schwarz-grüne Regierung bilden könnte. „Die Wahrscheinlichkeit ist gegeben“, sagte der Experte zur Vorbildwirkung des einflussreicheren Nachbarn Österreichs.

Deutschland wählt 2021 einen neuen Bundestag, und die Grünen erfreuen sich derzeit hoher Umfragewerte in der Bevölkerung. Bei der EU-Wahl letztes Jahr wurden sie mit fast 21 Prozent sogar Zweite hinter der Union. Auch in den deutschen Bundesländern Baden-Württemberg und Hessen regieren Union und Grüne bereits miteinander. „Deutschland wäre europaweit ein starkes Signal und hätte erhebliche Auswirkungen“, sagte Emmanouilidis gegenüber ORF.at.

Personalwechsel „kein österreichisches Phänomen“

Klar ist, dass die neuen Ministerinnen und Minister auch künftig wieder viele Reisen nach Brüssel unternehmen werden, einigen von ihnen ist die Stadt ja schon wohlbekannt. ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg, Europaministerin Karoline Edtstadler, Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (beide ÖVP) sowie Leonore Gewessler und Ulrike Lunacek von den Grünen haben bereits Erfahrung mit der EU-Politik bzw. Positionen in EU-nahen Institutionen.

Dabei wechselten in den letzten Jahren viele österreichische Politikerinnen und Politiker munter zwischen diversen Posten in Wien und Brüssel hin und her, und auch an neue Ministerinnen und Minister aus Österreich musste man sich in den Institutionen gewöhnen. Von Kritikerinnen und Kritikern als unbeständig bekrittelt, ist das dem Politikexperten Emmanouilidis zufolge jedoch im europäischen Vergleich nichts Ungewöhnliches. „Wir sehen das überall in Europa, das ist kein österreichisches Phänomen, dass Regierungen nicht die vorgesehene Periode lang halten“, so Emmanouilidis, „in Italien ist es auch oft zu Regierungswechseln gekommen.“