Szene des Films „Queen & Slim“
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„Queen & Slim“

Flucht vor der Lynchjustiz

Zwei erschießen in Notwehr einen Polizisten und flüchten – denn eine faire Chance vor Gericht haben sie nicht: Die afroamerikanische Regisseurin Melina Matsoukas hat ein atemloses Roadmovie gedreht, das die drastische Zuspitzung von Rassismus und Polizeigewalt zeigt. Das Ergebnis ist umstritten.

Queen und Slim sind seit Tagen auf der Flucht. Sie haben Todesangst. Ein rassistisches System ist ihnen auf den Fersen. Sie kannten einander zuvor nicht, eine unglückliche Verkettung von Umständen hat sie aneinandergefesselt. In all ihrer Angst sind sie einander nahegekommen. Die Hände streifen sich nicht mehr nur zufällig, die Blicke verhaken sich endlich ineinander. Die verzweifelte Vereinigung zweier Menschen, die um ihr Leben fürchten, ist unvermeidlich geworden.

„Queen & Slim“, der erste Spielfilm der erfahrenen Musikvideo- und Fernsehregisseurin Matsoukas, ist eine Liebesgeschichte und zugleich eine vom Tod: Parallel zur innigen Liebesszene findet eine Demonstration gegen die Verfolgung der beiden statt. Hier Protestrufe und Geschrei, da schwerer Atem; ineinander verschlungene Hände – und dann die gewaltsame Eskalation, zugleich mit dem Höhepunkt. Es ist eine riskante Parallelmontage, das Intimste und das Politische, hart an der Grenze zum ausbeuterischen Politkitsch – oder schon jenseits?

Zum Tod verurteilt

Das Private ist politisch, das ist eine Binsenweisheit. Hier montiert Matsoukas filmisch ineinander, was doch nicht zusammengehört. Aber ist diese Liebe von der gewaltsamen Reaktion auf Rassismus überhaupt trennbar? Nun: Ein paar Tage früher kennen sich die beiden noch gar nicht. Der Film „Queen & Slim“ beginnt mit einem unbehaglichen Tinder-Date zwischen zwei Fremden.

Es ist ganz offensichtlich nicht die Lust auf Sex, die die Anwältin Angela, genannt „Queen“ (Jodie Turner-Smith), dazu gebracht hat, Slim („Get Out“-Star David Kaluuya) zu kontaktieren. Verabredet haben sie sich in einem Diner mit Neonbeleuchtung und klebrigen Tischen. Warum hier? „Es ist das einzige von Schwarzen geführte Lokal in der Gegend“, sagt er. „Touche“, sagt sie. Und warum hat sie gerade heute Abend geantwortet? „Ich wollte nicht alleine essen.“ – „Warum?“ – „Weil einer meiner Mandanten heute zum Tod verurteilt wurde.“ Ein gelungener Flirt sieht anders aus.

Szene des Films „Queen & Slim“
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Unterwegs im Süden: Queen (Jodie Turner-Smith) und Slim (David Kaluuya) sind willkommen

Nach dem Essen bringt er sie mit dem Auto heim. Ob es noch einen Kuss geben wird? Unwahrscheinlich. Aber dann verreißt Slim kurz das Lenkrad, ein Polizeiwagen hält die beiden an. Der weiße Polizist ist vom ersten Moment an aggressiv, zieht die Waffe. Ein Wort ergibt das andere. Ein Schuss fällt, dann ein zweiter. Queen ist verletzt, der Polizist ist tot. Es war, wie jede Zeugin, jeder Zeuge der Welt aussagen würde, Notwehr. Und doch ist glasklar, wie in diesem Bundesstaat, in dem die Todesstrafe existiert, das Erschießen eines Polizisten durch einen schwarzen Mann geahndet würde. Es bleibt nur: die Flucht. Gemeinsam.

Eine ultra-realistische Zeitreise

Diese Flucht führt Queen und Slim durch die USA bis in den tiefen Süden. Dabei treffen sie immer wieder auf schwarze Unterstützerinnen und Unterstützer, denn die Kamera im Auto des erschossenen Polizisten hat die ganze Situation mitgefilmt, und für die meisten ist klar, die beiden sind hier die wahren Opfer. Unversehens werden Queen und Slim zu den Ikonen eines Aufbegehrens gegen die rassistische Praxis der Polizei. Wie sehr alle auf die beiden aufpassen, wie sie umsorgt werden, das entwickelt eine fast magisch-realistische Qualität, die auch darin besteht, dass in diesem Süden, in dem Queen und Slim unterwegs sind, fast keine Weißen anzutreffen sind.

Szene des Films „Queen & Slim“
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Ein unterwegs geschossenes Foto macht die beiden zu Politikonen des Kampfes gegen rassistische Polizeigewalt

Es ist ein traumschön gefilmtes Märchen für einen gestohlenen Moment, mit der Qualität einer Zeitreise. Ein paar kurze Szenen lang weht sogar so etwas wie ein Blaxploitation-Vibe durch den Film, in einer Episode in New Orleans, bei einem dubiosen Onkel und zwei unfassbar schönen jungen Frauen. Vor allem aber ist „Queen & Slim“ eine Tragödie. Denn dass diese Geschichte ihre beiden Protagonisten nicht einfach so davonkommen lassen wird, ist schon in der allerersten Szene zu erahnen, zu präsent sind die Opfer einschlägiger rassistischer Gewalt wie Trayvon Martin oder Sandra Bland.

Trauma-Porno oder Pflichtfilm?

Mit „Thelma und Louise“ wurde der Film verglichen und mit „Bonnie & Clyde“. Doch was „Queen & Slim“ vor allem erklärt, ist der systemimmanente Rassismus, dem die beiden Flüchtigen nicht entkommen können. Drehbuchautorin Lena Waithe nennt den Film einen „Schlachtruf“ und sagt, „er hat als Film begonnen, aber ist zu etwas Größerem geworden“, und Regisseurin Melina Matsoukas spricht von der Produktion als „Protestkunst“.

Es sei ein Film „für Schwarze, Punkt. Wenn andere Leute ihn auch sehen wollen, schön“, sagt Waithe – aber hier zähle nur die afroamerikanische Erfahrung. Doch die Reaktionen sind kompliziert: Als Pflichtfilm für alle Amerikanerinnen und Amerikaner wird er von manchen gefeiert, als „Trauma-Porno“ von anderen bezeichnet. Hochproblematisch sei vor allem das Ende, von dem hier jedoch nichts verraten sei. In einer ausgezeichneten Rezension analysiert die Filmkritikerin Brooke C. Obie, der Film sei „kunstvolle Wunde ohne Medizin“: „Wenn wir nicht einmal in unseren wildesten Fantasien am Ende leben dürfen, wo ist darin Medizin?“