Flugzeugtrümmer an der Absturzstelle im Iran
AP/Ebrahim Noroozi
Iran

Westen sieht „Beweise“ für Boeing-Abschuss

Nach dem Absturz einer ukrainischen Passagiermaschine im Iran sind am Donnerstag im Westen Rufe nach einer gründlichen Untersuchung laut geworden. Kanadas Premier Justin Trudeau sagte, es gebe „Beweise“ für einen Abschuss des Jets durch eine Rakete. Ähnlich äußerste sich auch der britische Premier Boris Johnson. Der Iran weist die Vorwürfe zurück – und bezieht die USA in die Ermittlungen ein.

„Wir haben Informationen von mehreren Quellen von unseren Alliierten und eigene Informationen. Diese Informationen deuten darauf hin, dass das Flugzeug von einer iranischen Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde“, sagte Trudeau am Donnerstag in einer TV-Ansprache. Das könne durchaus versehentlich geschehen sein, so Kanadas Premier.

„Die Familien der Opfer und alle Kanadier wollen Antworten. Ich will Antworten.“ Der Premier ging auf Nachfrage nicht darauf ein, welche Informationen genau die kanadische Regierung habe. Die Beweise seien jedoch „sehr klar“. Er wiederholte seine Forderung nach einer umfassenden internationalen Untersuchung. Bei dem Vorfall inmitten des bewaffneten Konflikts zwischen dem Iran und den USA kamen am Mittwoch mehr als 170 Menschen ums Leben – darunter 63 Menschen aus Kanada.

Auch Johnson will Informationen haben

Der britische Premierminister Johnson sprach wenig später von einem „Korpus an Informationen“, der auf einen Abschuss durch eine iranische Rakete hinweise. „Wir arbeiten eng mit Kanada und unseren internationalen Partnern zusammen, und es bedarf einer vollständigen und transparenten Untersuchung“, so Johnson.

Westen sieht Hinweise auf Abschuss von Boeing im Iran

ORF-Korrespondentin Hannelore Veit berichtet aus Washington, wie man die Ursache für den Absturz des Jets aufklären möchte.

Schon zuvor berichteten US-Medien, dass man auch in Washington von einem möglichen Abschuss der Boeing ausgehe. Grund für die Annahme seien Satellitenaufnahmen: Der US-Sender CBS berief sich auf Angaben des Geheimdienstes, wonach ein Satellit erst Infrarotmarkierungen von zwei Raketenstarts aufgezeichnet habe, gefolgt von einer weiteren Markierung – der Explosion. Das US-Verteidigungsministerium lehnte einen Kommentar bisher hab.

Die Zeitschrift „Newsweek“ berichtete unterdessen, dass sowohl ein Pentagon- und ein hoher Geheimdienstmitarbeiter als auch ein irakischer Geheimdienstmitarbeiter davon ausgehen, dass das ukrainische Flugzeug von einer in Russland hergestellten „Tor“-Rakete getroffen worden sei. US-Präsident Donald Trump sagte unterdessen, dass er „den Verdacht“ habe, dass „jemand einen Fehler gemacht haben könnte“, schrieb die BBC.

Trump hat „Verdacht“

Auch US-Präsident Donald Trump heizte Mutmaßungen über die Absturzursache der Maschine an. „Ich habe meinen Verdacht“, sagte Trump im Weißen Haus. „Ich will das nicht sagen, weil andere Menschen auch diesen Verdacht haben. Es ist eine tragische Angelegenheit.“ Trump sagte weiter: „Jemand könnte einen Fehler gemacht haben.“ Auf die Frage, ob die Maschine aus Versehen abgeschossen worden sein könnte, sagte er allerdings: „Das weiß ich wirklich nicht.“

Trümmer bei der Absturzstelle des ukrainischen Flugzeugs nahe Teheran
APA/AFP
Trümmer der Maschine gingen auch über bewohntem Gebiet nieder

Iran weist Berichte zurück

Der Iran wies die Berichte zurück. Der Leiter der iranischen Luftfahrtbehörde bezeichnete einen Abschuss der Passagiermaschine als „wissenschaftlich unmöglich“ und wies entsprechende Spekulationen als „unlogisch“ zurück. „Die Behauptung, dass die Maschine von einem iranischen Raketenabwehrsystem getroffen worden sei, kann ganz und gar nicht stimmen, weil zur selben Zeit des Absturzes mehrere andere Maschinen im iranischen Luftraum unterwegs waren“, sagte Ali Abedsadeh laut Nachrichtenagentur Fars.

US-Behörde beteiligt sich an Ermittlungen

Der Iran forderte Kanada unterdessen auf, die Informationen, die Ottawa vorliegen und auf einen Abschuss hinweisen, mit Teheran zu teilen. Das iranische Außenministerium lud auch den US-Hersteller Boeing ein, an den Untersuchungen teilzunehmen – das hatte Teheran bisher abgelehnt.

An den Ermittlungen wird sich nun auch die US-Luftfahrtbehörde NTSB beteiligen. Die Behörde habe eigenen Angaben zufolge eine förmliche Unterrichtung über den Absturz nahe Teheran erhalten und werde nun mit einem Repräsentanten an der vom Iran geleiteten Untersuchung teilnehmen.

Bisheriger Bericht geht von Umkehr der Maschine aus

Die Ermittler wollen nun den kurzen Flug rekonstruieren. In einem am Donnerstag veröffentlichten vorläufigen Bericht der iranischen Luftfahrtbehörde heißt es, die Maschine habe versucht, zurück zum Flughafen zu fliegen. Augenzeugen hätten berichtet, die Maschine habe gebrannt. Als sie am Boden aufschlug, sei sie explodiert – wohl weil das Flugzeug große Mengen Kerosin getankt hatte.

Die Spekulationen befeuerte auch ein Video, das die „New York Times“ auf ihrer Website veröffentlichte. Darauf soll der Jet zu sehen sein – in jenem Moment, in dem er von einer Rakete getroffen wurde. Das Video wurde von der „New York Times“ verifiziert und soll rund um den Zeitpunkt des Absturzes aufgenommen worden sein, schrieb das Blatt.

Blackboxen beschädigt

Die Experten erhoffen sich mehr Informationen durch die Auswertung der beiden Blackboxen mit den Flugdaten. Die Boxen enthalten die Flugdatenschreiber und einen Stimmenrekorder mit Aufnahmen der Gespräche im Cockpit. Diese sollten nach gründlichen Untersuchungen an die Ukraine übergeben werden, kündigte die Luftfahrtbehörde an. Die Geräte seien aber beschädigt worden. Kurz vor dem Absturz habe auch kein Funkkontakt mehr zu den Piloten bestanden.

Ukraine sieht mehrere Szenarien

Kiew zieht offenbar vier Versionen in Betracht: Alexej Danilow vom ukrainischen Sicherheitsrat schrieb auf Facebook, es sei möglich, dass die Maschine von einer Rakete des russischen Typs „Tor“ getroffen worden sei. Deshalb seien Experten an der Untersuchung beteiligt, die bereits 2014 beim Abschuss des malaysischen Fluges MH17 durch eine Flugabwehrrakete über der Ostukraine ermittelt hätten. Geprüft werden auch ein Zusammenstoß mit einem Flugobjekt wie etwa einer Drohne, ein Triebwerksschaden und ein Terroranschlag.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski rief andere Staaten dazu auf, ihre Informationen über den Absturz zu teilen. Selenski wollte am Freitag nicht ausschließen, dass die nahe Teheran abgestürzte Passagiermaschine abgeschossen wurde. Aber das sei noch nicht bestätigt, so der ukrainische Präsident.

AUA stoppt Flüge nach Teheran

Aufgrund des Konflikts im Nahen Osten sollen Flüge im irakischen Luftraum aus Sicht der Europäischen Flugaufsicht (EASA) vermieden werden. Das sei eine Schutzmaßnahme, teilte die EASA auf Anfrage der dpa mit. Zudem haben den Angaben der EASA zufolge bereits manche europäische Fluggesellschaften ihre Routen angepasst.

Die AUA entschied am Donnerstag, ihre Flüge nach Teheran wegen der „veränderten Einschätzung der Sicherheitslage“ zu streichen. Eine bereits am Weg befindliche Maschine drehte Donnerstagabend in Sofia wieder um, und die Rotation am Freitag wird nicht stattfinden. Die Flüge ins irakische Erbil will die AUA aber am Freitag wieder aufnehmen.

Briten warnen vor Reisen in Iran

Großbritannien aktualisierte angesichts der Hinweise auf einen möglichen Abschuss seine Reiseinformationen für den Iran und rät nun von Reisen in das Land ab. Flüge Richtung Iran, von dort oder innerhalb des Landes seien nicht zu empfehlen, sagte der britische Außenminister Dominic Raab laut einer Mitteilung. Auch das österreichische Außenministerium rät „aufgrund der momentanen volatilen Situation“ von nicht unbedingt notwendigen Reisen in den Iran ab.