Regal mit Liebesromanen
Reuters/Chris Wattie
Rassismusvorwürfe

Chaos in der heilen Welt der Liebesromane

Es gibt eine Welt, die ist eigentlich immer in Ordnung. Natürlich gibt es Probleme, aber dann Ende gut, alles gut, heiße Küsse im Sonnenuntergang, fertig: die Welt der Liebes- und Schundromane. Doch in den USA ist diese heile Welt gerade implodiert. Nach Rassismusvorwürfen zerstritt sich der Verband der Romanzenschreiber, der nun in Trümmern liegt.

Damon Suede, Präsident der Romance Writers of America (RWA), trat am Donnerstag von seinem Amt zurück. Gerade zwei Wochen hatte er es innegehabt und war zum Zug gekommen, als seine Vorgängerin gemeinsam mit rund zehn weiteren Vorstandmitgliedern den Hut nahm. Mit Suede verließen auch gleich weitere Verantwortliche den Verband.

Ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin ist nicht in Sicht, es gibt nicht einmal einen Zeitplan für eine Wahl. Und sowohl das jährliche Treffen als auch die große Gala mit der Vergabe des RITA-Awards für die besten Bücher des Jahres wurden abgesagt.

Milliardengeschäft mit großen Gefühlen

Inhaltlich mag das Genre als Schmuddelecke gelten, wirtschaftlich ist es aber eine große Sache. RWA vertritt rund 9.000 Schriftstellerinnen und Schriftsteller, von Hobbyschreibern bis hin zu absoluten Stars der Branche mit Millionensellern. Triviale Liebesromane sind ein Milliardengeschäft und gelten in der Buchindustrie als Cashcow, mit der teilweise die „seriösen“ Publikationen querfinanziert werden: In den USA machen sie knapp ein Viertel des gesamten Belletristik-Markts aus. Und nicht zuletzt waren Verfasser von romantischer Literatur nicht selten Vorreiter bei den Umwälzungen des Buchmarkts, Stichwort Eigenverlag und digitales Publizieren.

Schriftstellerin Courtney Milan
AP/CourtneyMilan.com/Jovanka Novakovic
Courtney Milan löste mit ihrer Kritik den Streit aus

Am Anfang war ein Tweet

Sucht man den Stein im Scherbenhaufen, dann landet man im August des Vorjahres: Auf Twitter kritisierte die Starautorin Courtney Milan in einer laufenden Diskussion über Rassismus und Klischees eine ihrer Kolleginnen scharf: Sie zerlegte das bereits 1999 erschienene Buch „Somewhere Lies the Moon“ von Kathryn Lynn Davis, weil es bei der Beschreibung von Chinesinnen vor rassistischen Stereotypen strotze. Milan ist die Tochter eines US-Amerikaners und einer Chinesin, schon zuvor hatte sie immer wieder kritisiert, dass etwa schwarze Autorinnen und Autoren systematisch ausgegrenzt würden.

Die beschuldigte Davis beschwerte sich gemeinsam mit ihrer Publizistin beim Schreiberverband, auch weil sie angeblich infolge der Kritik einen Verlagsvertrag über drei Bücher verloren habe. Sie gab an, Milan hätte gegen die Ethikregeln der Vereinigung verstoßen, weil diese einen sicheren und respektvollen Umgang miteinander vorsehen würden. In der RWA wurden offenbar Intrigen gesponnen, allen voran von Suede: Eine neu und heimlich installierte RWA-Kommission beriet den Fall – und gab Davis recht. Milan wurde aus dem Verband für die Dauer eines Jahres suspendiert, für die Zukunft wurden ihr sämtliche Führungsrollen verweigert.

Knisternde Dramatik

Als die Entscheidung im Dezember bekanntwurde, folgte der große Aufstand: Etliche Autorinnen und Autoren protestierten, Vorstandmitglieder zogen sich ebenso wie Präsidentin Carolyn Jewel zurück. Um die Lage zu beruhigen, zog man am 30. Dezember die Entscheidung zurück und rehabilitierte Milan. Doch diese wollte das nicht auf sich sitzen lassen und kehrte dem Verband den Rücken – und viele andere folgten ihr.

Durch die Profession recht naheliegend, schreiben sich nun seit Wochen Autorinnen und Autoren in Blog-Einträgen und in den Sozialen Netzwerken ihre Finger wund. Es wird daran erinnert, dass erst im Vorjahr mit Kennedy Ryan die erste schwarze Schriftstellerin einen RITA-Award erhalten hatte. Umgekehrt warnen andere vor einer Diktatur der Politischen Korrektheit und vor einer Diversifikation nur der Diversifikation willen.

Allerdings gibt es eine nicht zu übersehende handfeste wirtschaftliche Komponente: Denn während bei Liebesromanen weiße Autorinnen tonangebend sind, gehören zu den größten Zielgruppen in den USA Afroamerikanerinnen und Latino-Frauen.

Von traditionell bis explizit

Wohl nicht ganz zufällig sind Liebesromane in historischen Settings eines der beliebtesten Subgenres – vielleicht auch getragen von der Vorstellung, dass es in der „guten alten Zeit“ sozial um einiges weniger kompliziert gewesen sein muss als in der modernen Welt heute. Doch Milans Kritik trifft mit „Somewhere Lies the Moon“ genau einen solchen Historienschinken.

Eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass eine recht traditionelle Literaturgattung, die von dick aufgetragenen Beschreibungen und vielen Stereotypen auf allen möglichen Ebenen lebt, immer wieder auf die Frage gestoßen wird, wie zeitgemäß manche Klischees noch sind.

An Grenzen und Grauzonen stieß man immer wieder, etwa bei der Frage, wie unschuldig Liebe dargestellt werden kann und soll. Denn während auf der einen Seite die sittsame Romantik hochgehalten wird, hat sich mittlerweile, nicht zuletzt durch den Erfolg von „50 Shades of Grey“ – auch eine erotische Gattung etabliert, bei der das Schlüpfrige dem Expliziten gewichen ist.

Sturm der politischen Entrüstung 2005

Dass ein inhaltlicher Streit den Verband zu spalten droht, ist nicht ganz neu: Bereits 2002 zerbrach die Vereinigung fast, gegenseitige Vorwürfe von Maulkorberlässen machten die Runde. Die RITA-Awards 2005 waren ebenfalls von einem Skandal überschattet. Starschreiberin Nora Roberts sagte kurzfristig die Moderation der Gala ab.

Sie hatte erfahren, dass zum 25-Jahr-Jubiläum des Verbands ein Spot gezeigt werden sollte, und dann auch gezeigt wurde, der die republikanischen Präsidenten seit 1980 staatsmännisch darstellte. Unterbrochen wurde das nur von Bildern der größten Katastrophen der USA in dieser Zeit von 9/11 abwärts, untermalt vom Lied „Don’t Worry, Be Happy“.

Nicht mehr nur Mann und Frau

Im gleichen Jahr sorgte dann eine Umfrage der konservativen RWA-Führung für einen Aufschrei, nachdem diese durchsetzen wollte, dass Romantik als Sache zwischen einem Mann und einer Frau zu definieren sei. Man dürfe die Beziehung zwischen einem Menschen und einem Vampir beschreiben, aber keine zwischen zwei Frauen oder zwei Männern, brachten Kritikerinnen und Kritiker die Sache auf den Punkt.

Seit damals hat sich viel geändert – und das ist vielleicht auch eine Lehre für die aktuelle Rassismusdebatte: Damon Suede musste nun zwar als RWA-Präsident zurücktreten, dass er es aber an die Spitze geschafft hat, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Suede ist einer der erfolgreichsten Vertreter des Genres der homoerotischen Romantik.