Farbige Spielfiguren vor dem Parlamentsausweichquartier
ORF.at/Lukas Krummholz
Gegen ÖVP–Grün

Opposition sucht die Abgrenzung

Die Rolle der Opposition im Nationalrat besteht für gewöhnlich darin, eine Alternative zur Regierungskoalition zu sein. Es werden Themen gesetzt, die Arbeit der Regierung kritisch hinterfragt und kontrolliert. Allerdings macht es gerade die neue Formation aus ÖVP und Grünen der Opposition schwer, sich deutlich abzugrenzen.

Im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen seien zwei Handschriften erkennbar, hieß es in den vergangenen Tagen. Tatsächlich gleicht das Kapitel zu Migration und Asyl dem Wahlprogramm der Volkspartei, die Steuerreform kommt noch aus der ÖVP-FPÖ-Regierung. Die Grünen hingegen pflanzten den Klimaschutz samt „Superministerium“ und die Transparenzoffensive in den Pakt. „Das Beste aus beiden Welten“, wie ÖVP-Chef Sebastian Kurz sagt. Oder, so Grünen-Bundessprecher Werner Kogler: „Eine Welt, mit zwei unterschiedlichen Zugängen.“

Für die Opposition aus SPÖ, FPÖ und NEOS bedeutet das allerdings wenig Gutes. Im Grunde, da sind sich von ORF.at befragte Fachleute einig, könnten die Parteien nicht mit „voller Breitseite“ gegen die Inhalte der Regierung vorgehen. Vor allem die größeren Klubs SPÖ und FPÖ werden wohl kaum in die Offensive gehen, „weil sie derzeit selbst in der Defensive sind“, sagte Politikberater Thomas Hofer. NEOS habe es aber besonders schwer: „Die Partei sitzt zwischen den Stühlen.“

„Im Zentrum“: ÖVP–Grüne: Das neue Mitte-Rechts?

Neues Jahr, neue Bundesregierung: In der ORF-Sendung „Im Zentrum“ diskutierten am Sonntagabend die Klubchefinnen und der Klubchef der parlamentarischen Klubs.

NEOS: „Sehr professionell“, aber wenig Reibung

Die kleinste Oppositionspartei mache zwar „gute, kompetente Arbeit“ im Nationalrat, so Hofer, aber eine klare Botschaft gegen die Regierung sei „einfach nicht möglich“. Die derzeitige Ausrichtung des Bündnisses zwischen ÖVP und Grünen ähnle zu sehr den eigenen Positionen. Weder werde NEOS den „wirtschaftsfreundlichen Kurs der ÖVP“ kritisieren noch die klimapolitische Linie der Grünen. „Natürlich kann die Partei Nuancen angreifen. Das tut sie auch schon, etwa dass eine Reform des Pensionssystems nicht angegangen wird. Aber mehr wird es nicht.“

Auch Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle und Politologe Fritz Plasser äußern sich ähnlich zur Rolle von NEOS. Insbesondere die Grünen könnten sich mit der Forderung nach mehr Transparenz ein Thema an die Fahnen heften, das in den letzten Jahren NEOS besetzt hat. Das Ziel könnte sein, sagte Plasser, mit „innovativen Vorschlägen“ ÖVP-Wähler und ÖVP-Wählerinnen anzusprechen, die ohnehin für eine Dreierkoalition aus ÖVP, Grünen und NEOS waren. Es gebe nicht wenige, die ein Problem mit den Grünen haben, aber auch nicht zur FPÖ gehen wollten, erklärte der Politikwissenschaftler.

Beate Meinl-Reisinger
ORF.at/Roland Winkler
NEOS-Chefin Meinl-Reisinger begrüßte vergangene Woche die Gäste im Nationalrat

Stainer-Hämmerle betonte, dass NEOS trotz des kleinen Teams immer „sehr professionell“ aufgetreten sei. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger habe Ex-Parteiobmann Matthias Strolz quasi vergessen gemacht, und mit Stephanie Krisper sei eine Aufdeckerin in den NEOS-Reihen. Zudem sei die Partei im Gegensatz zur SPÖ und FPÖ geeint. „Keine internen Anpatzversuche, keine Leaks, keine Ex-Chefs, die sich einmischen.“

Welchen Kurs schlägt die FPÖ ein?

Die FPÖ kämpft mit ihrem Ex-Parteiobmann Heinz-Christian Strache wohl am meisten. Der ehemalige Freiheitliche kündigte zuletzt an, bei der kommenden Wien-Wahl mit einer eigenen Liste anzutreten – mehr dazu in wien.ORF.at. Für Politikberater Hofer ist aber klar, dass sich die Freiheitlichen endlich emanzipieren müssen, und zwar vom „Leitstern“, wie er es nennt. „Die letzten 30 Jahre war die FPÖ zuerst Jörg Haider, dann Strache“, so Hofer. Nun gebe es allerdings in der FPÖ zwei Chefs mit unterschiedlichen Ansatzweisen.

Eine Doppelspitze könne schon funktionieren, sagte Expertin Stainer-Hämmerle. Jedoch müsse die FPÖ am Ende für einen Kurs stehen. „Mit Parteichef Norbert Hofer ist es ein sanfterer Kurs, mit Klubchef Herbert Kickl der aggressivere. Mit Kickl würde sich die FPÖ schneller erholen“, so die Politologin. Dass das Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen auch Positionen der damaligen ÖVP-FPÖ-Koalition enthält, spiele den Freiheitlichen nicht in die Hände. „Was soll die FPÖ daran kritisieren?“

Oppositionsparteien im Gespräch vor der konstituierenden Sitzung des Nationalrats
ORF.at/Roland Winkler
Welcher Kurs soll es künftig sein? Parteichef Hofer und Klubobmann Kickl haben unterschiedliche Herangehensweisen.

Politikberater Hofer sieht jedenfalls den FPÖ-Wahlkampfslogan „Ohne uns kippt Kurz nach links“ derzeit nicht bestätigt. Laut Plasser könne die FPÖ ohnehin nur abwarten. Das Wählerpotenzial für die Partei sei zwar „beeindruckend“ – er spricht von 500.000 Ex-FPÖ-Wählerinnen und -Wählern, die in den letzten zweieinhalb Jahren zur ÖVP gewechselt sind –, aber um diese zurückzuholen, müssen sie unzufrieden mit der Migrationspolitik unter Türkis-Grün sein. In der „akzentuiert rechten Wählerschaft“ habe die FPÖ das Potenzial ausgeschöpft, sagte Plasser. Mehr als 14 Prozent gebe es hier für die Partei nicht zu holen.

SPÖ-Kritik „nicht schlüssig“

Neben der FPÖ ringt auch die SPÖ seit einiger Zeit mit sich selbst. Seit dem Abgang von Ex-Parteichef Christian Kern habe die Partei eine „unkontrollierte Verfassung“, wie es Plasser beschreibt. Auch die SPÖ würde künftig in diesem Wählerpool von 500.000 Stimmen fischen. Im Gegensatz zur FPÖ könnten die Sozialdemokraten aber nicht mit einer strengen Migrationspolitik punkten. „Die SPÖ wird ihre Vorwürfe, dass Türkis-Grün Arme noch ärmer mache, konkret beweisen müssen.“

Die SPÖ hätte laut Hofer mehr Chancen, die Regierung auch „frontal“ zu konfrontieren. Die Schnittmengen zwischen ÖVP und SPÖ seien im Vergleich zu NEOS und FPÖ sehr gering. „Die SPÖ wird sich aber davor hüten, die Migrationspolitik zu kritisieren. Die Wien-Wahl steht vor der Tür. SPÖ-Wien-Chef Michael Ludwig muss aufpassen, dass jene Wähler, die 2015 von den Grünen zur SPÖ gelaufen sind, nicht wieder zurückkehren“, argumentierte Hofer.

Ansprache von Pamela Rendi-Wagner während der konstituierenden Sitzung des Nationalrats
ORF.at/Roland Winkler
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kritisierte und lobte das Regierungsprogramm von Türkis-Grün

Dass die SPÖ in der aktuellen Phase die Grünen wegen der Beteiligung in der Regierung mit der ÖVP kritisiert, ist für Stainer-Hämmerle nicht verständlich. „Die Grünen kritisieren, aber inhaltlich mit ihnen konform sein ist meiner Meinung nach nicht schlüssig“, sagte die Expertin, die eine Chance für die Partei sieht, wenn sie sich klar gegen die Koalition positioniert. „Wie wäre es mit einer Frauenpolitik?“, fragte sie. Denn von keiner Partei werde die Frauenpolitik gut vertreten.

Volatile Zusammensetzung im Nationalrat

Was alle drei Fachleute allerdings zu bedenken geben: Derzeit scheint es nicht zwei Blöcke an sich zu geben. Denn sowohl die Opposition als auch die Bundesregierung ist in sich heterogen. Während die ÖVP-FPÖ-Regierung fast in allen Punkten auf einer Linie war, sind die Differenzen zwischen ÖVP und Grünen klar ersichtlich. Plasser wies etwa darauf hin, dass es zwischen den Parteien bei den Nationalratswahlen 2017 und 2019 kaum zu Wählerbewegungen kam. „Es ist nicht vergleichbar mit den Wählerströmen zwischen SPÖ und Grünen sowie ÖVP und FPÖ.“

Diese Tatsache mache die Situation im Nationalrat sehr volatil. Zudem berge die knappe Mehrheit (97 von 183 Nationalratsmandaten, Anm.) potenziell Gefahr, so Stainer-Hämmerle. „Wenn sechs Mandatarinnen oder Mandatare einmal fehlen, dann gibt es keine Mehrheit. Für die Opposition wäre das natürlich eine Chance, sofern auch sie vollständig anwesend ist. Klubdisziplin wird in dieser Legislaturperiode besonders wichtig sein.“