Alexandra Henkel, Träumerin
Matthias Horn
„Die Traumdeutung“

Couchsurfen bei Freud

Traum oder Alptraum? Vor großem Publikum lässt das britisch-irische Regieduo Dead Centre im Akademietheater eine Zuschauerin erzählen, was ihr in der Nacht untergekommen ist. In „Die Traumdeutung von Sigmund Freud“, uraufgeführt am Donnerstag, spinnt sich daraus zwar weniger eine Analyse, dafür aber ein Abriss über Leben und Theorien des Begründers der Psychoanalyse – oberflächlich, aber doch unterhaltsam.

Die Beschäftigung mit Freud lag für die Schulfreunde Ben Kidd und Bush Moukarzel alias Dead Centre eigentlich nahe – schließlich kann letzterer auf ein abgeschlossenes Psychoanalysestudium verweisen. Nach gefeierten Arbeiten über Tschechow und Shakespeare wählten sie für ihre Wien-Premiere mit Sigmund Freud einen Lokalmatador, mit der „Traumdeutung“ eine Vorlage, „bei der völlig unklar ist, wie man sie auf die Bühne bringen könnte“.

„Psychoanalytische Fragen stehen denen des Theaters nahe: Was treibt eine Person oder eine Figur an, was bringt sie dazu zu handeln?“, beschreibt Moukarzel sein Interesse an Freud. „Wir stellen uns die Frage, wie man die Freud’sche Sichtweise auf eine gegenwärtige Erfahrung übertragen kann.“

Philipp Hauß, Tim Werths, Träumerin
Matthias Horn
Ein Drogenunfall in Freuds Arbeitszimmer: Per Kokain zum Unbewussten?

Aus dem Parterre ins Rampenlicht

Am Premierenabend sollte die freiwillig angetretene Zuschauerin Andrea für diese gegenwärtige Erfahrung sorgen. Was der von ihr beigesteuerte Traum (Alice Cooper bediente sie als Kellner in der Wiener Arena) bedeuten könnte, durfte sie zwar nicht erfahren. Sehr wohl aber, wie es sich anfühlt, an einem Premierenabend eine zentrale Rolle in einem Bühnenstück zu spielen. Zuerst als Klientin auf der Couch, kurz darauf als Freud selbst bleibt sie bis zum Ende des Abends die Hauptfigur. Rundherum fährt das Ensemble eine in großen Teilen von Videoanimation gestützte Freud-Show.

Traumdeutung auf der Akademietheater-Bühne

In „Die Traumdeutung von Sigmund Freud“ wird die Rolle des Analytikers im Akademietheater jeden Abend mit einer anderen Freiwilligen aus dem Publikum besetzt.

Alexandra Henkel, für die Erstanalyse von Andreas Traum zuständig, beweist dabei unglaubliche Schlagfertigkeit bei großem Improvisationstalent – schließlich könnte in dieser Situation ja auch weiß Gott was erzählt werden. Dass das Konzept rund um die Alice-Cooper-Story funktioniert und Andrea fast zwei Stunden bereitwillig und reaktionsschnell mitspielte, war wohl Premierenglück – schwer vorstellbar, wie sich der Abend entwickeln würde, wenn sich niemand finden würde oder der erzählte Traum komplexer wäre.

Biografisches humoristisch

Gemeinsam mit Philipp Hauß, Tim Werth und Johannes Zirner wird Henkel wenig später in einer Traumversion von Freuds Arbeitszimmer (Bühnenbild und Kostüme: Nina Wetzel) humoristisch Szenen aus seinem Leben zum Besten geben: Vom Sexstreik seiner Frau (nach dem sechsten Kind) bis zu den berüchtigten Kokainselbstversuchen, mit denen Freud sich als Arzt und Wissenschaftler zu etablieren versuchte.

Nebenher erfährt das Publikum etwas zu seinem frühen Hauptwerk, der „Traumdeutung“. Begriffe wie „Übertragung“ werden recht grob angerissen und oberflächlich skizziert. Auf Tiefgang oder gar eine philosophische Auseinandersetzung mit Freuds Theorien wartet man vergeblich – stattdessen springt Dead Centre mit Tricks durch die Biografie.

Johannes Zirner, Alexandra Henkel, Tim Werths, Philipp Hauß
Matthias Horn
Eine Spielkarte entscheidet über den Verlauf des Abends

Mit Hannibal über die Alpen

Per Green-Screen-Technik fliegt die ganze Partie durch die in der „Traumdeutung“ beschriebenen Fantasien Freuds: Zur Alpenüberquerung mit Hannibal und den Elefanten, zu einer Begegnung mit seinem Vater in einem Gässchen in Pribor. Die Illusion ist vielleicht nicht immer perfekt und (spätestens) nach mehreren Szenenwechseln auch nicht mehr ganz originell, charmant ist sie trotzdem.

Hinweis

„Die Traumdeutung von Sigmund Freud“ ist am 21. und 25. Jänner, sowie am 1., 10., 15. und 21. Februar jeweils um 20.00 Uhr im Akademietheater zu sehen.

Für Dead Centre, die schon in früheren Arbeiten mit Videotechnik experimentierten, hat der Einsatz hier eine mehrschichtige Bedeutung. "Das Kino wurde um die gleiche Zeit wie die ‚Traumdeutung‘ geboren, erläutert Regisseur Kidd.

„Es teilt viele Qualitäten mit Träumen, etwa die immersive Erfahrung, den dunklen Raum, du kannst dich vollkommen in einer anderen Welt verlieren. Diese Parallele wollen wir befragen. Es geht um Anwesenheit und Abwesenheit, Wahrheit und Falschheit und darum, behauptete Räume echt wirken zu lassen und umgekehrt.“

Zurück in die Kindheit

Die Kombination aus Mitmachtheater, Videoeffekten und der beiläufigen Vermittlung von Allgemeinwissen dürfte auch oder vielleicht eher einem wesentlich jüngeren Publikum Freude bereiten. Weil Freud – grob vereinfacht – letztlich Träume aber grundsätzlich auf Kindheitserinnerungen und -wünsche zurückführte, endet das Stück in einem Mädchenzimmer – wo es Dead Centre noch einmal gelingt, das Publikum mit einem (nicht digitalen) Trick zu verblüffen. Und eigentlich würde man dann auch gerne wissen, wie sich der Abend in den künftigen Vorstellungen entwickelt – ein Abend, der sich retrospektiv anfühlt wie ein langer Zaubertrick mit Rahmenhandlung.