Menschen in einer U-Bahnstation
ORF.at/Lukas Krummholz
Mindestsicherung

Vorbehalte gegen Anschobers Pläne

Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) hat sich am Dienstag für die Verländerung der Mindestsicherung ausgesprochen. Das sei sozialpolitisch der bessere Weg. Die SPÖ lehnte das strikt ab. Die Länder wiederum haben jeweils eigene Anschauungen. Für ein Treffen mit den Sozialreferenten gibt es genügend Klärungsbedarf.

Es gebe in etlichen Bundesländern wie Tirol, Vorarlberg und Wien jetzt schon sehr spannende Lösungen. Sozialpolitisch wäre das der bessere Weg, sagte Anschober der APA zum Thema Mindestsicherung. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte Mitte Dezember Kernelemente der Mindestsicherungsreform der früheren ÖVP-FPÖ-Regierung zu Fall gebracht. Aufgehoben wurden zwei Maßnahmen der „Sozialhilfe neu“: Sowohl die Verknüpfung mit Sprachkenntnissen wie auch Höchstsätze für Kinder waren laut VfGH verfassungswidrig.

Das Grundsatzgesetz hatte vorgesehen, dass der Höchstsatz der Sozialhilfeleistung für das erste Kind 25 Prozent, für das zweite Kind 15 Prozent und für das dritte und jedes weitere Kind fünf Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes beträgt. Diese Regelung könne dazu führen, „dass der notwendige Lebensunterhalt bei Mehrkindfamilien nicht mehr gewährleistet ist“, hieß es damals vom VfGH.

Rahmenbedingungen auf Länderebene

Nach dem Entscheid des Höchstgerichts leitete Anschober nun eine Rechtsprüfung ein. Entweder es werde das Grundsatzgesetz minus aufgehobene Passagen, die vor allem gegen Bezieherinnen und Bezieher aus dem Ausland gerichtet waren, gelten, oder man gebe die Verantwortlichkeiten eben wieder den Ländern, sagte Anschober. Er sehe bei Zweiterem größeren Charme. „Die Rahmenbedingungen etwa bei den Wohnkosten sind je nach Bundesland aber unterschiedlich. Das kann man auf Landesebene belassen“, so Anschober im Interview mit der „Presse“. Mehr wissen sollte man nach einem informellen Treffen mit den Sozialreferenten der Bundesländer Anfang Februar.

Sozialminister Anschober skizziert seine Pläne für das Sozialressort

Rudolf Anschober (Grüne) spricht über den Schwerpunkt Pflege, in der immer mehr Kräfte fehlen und deren Finanzierungsströme gebündelt werden sollen, sowie über das Thema Mindestsicherung.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte bereits Anfang Jänner gesagt, dass die Länder die Mindestsicherung künftig wieder selbst gestalten könnten. Die von ihm und seinem vorigen Koalitionspartner FPÖ angestrebte Vereinheitlichung werde es aufgrund des VfGH-Entscheids in dieser Form nicht geben, sagte Kurz. „Ich finde das schlecht, aber es ist zu respektieren.“

SPÖ fordert Korrektur

Die SPÖ lehnte am Dienstag eine Verländerung der Mindestsicherung ab. „Es ist ein Muster, das sich leider durch das Regierungsprogramm durchzieht. Offenbar ist für die Regierung nicht jedes Kind gleich viel wert. Das sehen wir bei der Mindestsicherung und auch beim Familienbonus, von dem Menschen mit geringem Einkommen um 80 Prozent weniger haben als jene mit mittleren und höheren Einkommen“, so SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die in beiden Fällen eine Korrektur fordert.

Auch NEOS lehnt die Verländerung ab. „Neun voneinander unabhängige Systeme der Mindestsicherung bringen nur Chaos“, meinte Sozialsprecher Gerald Loacker am Dienstag in einer Aussendung. „Mit einem Fleckerlteppich von Mindestsicherungen kommen wir kein Stückchen weiter. Der Sozialminister stiehlt sich aus seiner noch frischen Verantwortung“, sagte Loacker, der eine großangelegte Reform forderte.

Tirol und Vorarlberg wollen Modell behalten

In den Bundesländern selbst gab es unterschiedliche Auffassungen. „Ob das Streichen der aufgehobenen Passagen für eine gemeinsame Linie ausreichend ist, ist fraglich und muss, wie auch die konkrete Ausgestaltung, im Dialog mit den Ländern erarbeitet werden. Jetzt muss der Bund vorlegen“, so der burgenländische Soziallandesrat Christian Illedits (SPÖ). Er sehe dem Treffen der Sozialreferenten Anfang Februar positiv entgegen, so Illedits. „Ziel war es, eine bundeseinheitliche Regelung zu finden, wobei ich Wert auf einen Spielraum für die Länder lege.“ Die inhaltliche Ausgestaltung müsse „klar auf Armutsbekämpfung abzielen“.

Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) hielt einen neuerlichen Anlauf für eine bundesgesetzliche Regelung für ausgeschlossen. Im aktuellen Regierungsübereinkommen sei man klar übereingekommen, dass „Länder die Ausführungsgesetze gestalten“, so Platter. Selbst wolle man am „Tiroler Modell“ festhalten, dieses treffe sich mit den Erkenntnissen des VfGH. „Juristen werden jetzt schauen, wo Anpassungen notwendig sind“, so Platter – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Auch Vorarlberg möchte an seinem Modell, wonach der Bund die Grundsatzgesetzgebung liefert und die Länder umsetzen, festhalten. Bei einer allfälligen Verländerung „wäre zunächst zu präzisieren, was damit gemeint ist“, sagte Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP). „Unsere Lösung ist verfassungskonform“, so Wallner. Die Mindestsicherung stelle zum einen die letzte soziale Absicherung dar und sehe zum anderen die möglichst schnelle Rückkehr auf den Arbeitsmarkt vor. „Was immer man an der Mindestsicherung ändert, muss mit diesen Zielen zu tun haben“ – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Spielraum gefordert

Salzburgs Sozialreferent Heinrich Schellhorn (Grüne) hielt eine völlige Verländerung der Mindestsicherung nicht unbedingt für zweckmäßig. „Grundsätzlich wäre eine einheitliche Ausgangslage schon sinnvoll, wobei man natürlich auf die länderspezifischen Gegebenheiten Rücksicht nehmen muss“, sagte Schellhorn im APA-Gespräch.

Vor allem im Wohnbereich gebe es in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedliche Voraussetzungen. „Gewisse Unterschiede muss es also geben.“ Grundsätzlich sei es notwendig, dass man wieder Mindeststandards definiere, die bei der Sozialhilfe neu gestrichen und durch Höchstbeträge ersetzt wurden. Mit den Mindeststandards sei die Basisversorgung geregelt, so Schellhorn.

Sozialminister Rudolf Anschober
APA/Hans Klaus Techt
Sozialminister Rudolf Anschober

Auch Wien sprach sich für eine Bundeslösung mit Spielraum für die Länder aus. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sagte am Dienstag: „Ich warte jetzt einmal auf die konkreten Vorschläge der Bundesregierung“, gab sich Ludwig am Rande einer Pressekonferenz abwartend. Dennoch: Sein Vorschlag sei immer gewesen, „dass wir ein bundeseinheitliches Gesetz schaffen, das den Bundesländern allerdings einen Spielraum gibt – insbesondere bei der Abdeckung der Wohnkosten“.

Niederösterreich für Vereinheitlichung

Kärnten und Niederösterreich sprachen sich für eine „einheitliche Lösung“ aus. Kärntens Sozialreferentin Beate Prettner (SPÖ) sagte, Ziel müsse ein unter den Bundesländern harmonisiertes und vereinheitlichtes Mindestsicherungsgesetz sein. Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) zeigte sichoffen für Änderungen: „Wenn die Bundesregierung entgegen der bisherigen Intentionen meint, und da gibt es ja einige Argumente dafür, dass man in den Ländern besser betrachten kann, was notwendig ist, dann werde ich mich dieser Meinung anschließen.“ Man werde dann in der Regierung und der Koalition darüber befinden, ob und wenn ja in welcher Form es Änderungen des derzeit bestehenden und von Kärnten ja nicht angepassten Gesetzes gebe.

Der zuständige niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) sagte, eine Regelung, „die für alle Bundesländer gleichermaßen gültig ist“, wäre ihm „deutlich lieber gewesen“. Unterschiedliche Mindestsicherungsgesetze in den Bundesländern hätten zur Folge, „dass der Sozialtourismus weiterbesteht“ und „etwa Länder wie Wien Migranten viel stärker unterstützen. So wird viel Steuergeld verschleudert“, so Waldhäusl.

Keine eindeutige Haltung in OÖ

In Oberösterreich gibt es keine eindeutige Haltung zur Verländerung der Mindestsicherung. Während sich die FPÖ eine bundeseinheitliche Lösung wünscht, verwies die ÖVP nur darauf, dass „im aktuellen Arbeitsprogramm der Bundesregierung keine Neuregelung der Sozialhilfe geplant“ sei. Oberösterreich muss demnächst sein schon beschlossenes Ausführungsgesetz reparieren. Das Bundesland ist neben Niederösterreich das einzige, das bereits ein Ausführungsgesetz zum vom Verfassungsgerichtshof teilweise gekippten Rahmengesetz des Bundes beschlossen hat. Wie genau die Lösung aussehen wird, ist aber noch Gegenstand von Verhandlungen.

„Für uns gilt der Rechtsstaat. Die Grundsatzgesetzgebung des Bundes ist gültige Rechtslage“, so ÖVP-Landesgeschäftsführer Wolfgang Hattmannsdorfer. Bei der FPÖ präferiert man eine einheitliche „strenge Regelung für das ganze Bundesgebiet“. Ähnlich bei der SPÖ, nur mit anderen Vorzeichen: Die zuständige Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer hält eine bundeseinheitliche Lösung für sinnvoll, allerdings nicht so, wie sie derzeit ausgestaltet ist.