Mitarbeiter in einem Produktionswerk für E-Autos in Zwickau
APA/AFP/Ronny Hartmann
Mobilitätswende

Deutsche Autobranche muss Kurve kratzen

Vor einem Spitzentreffen im deutschen Kanzleramt zum Umbruch in der Autoindustrie sind am Mittwoch Appelle von allen Seiten eingeprasselt. Die Gewerkschaft forderte Hilfe für die Beschäftigten, die Arbeitgeber verlangten nach leichterem Zugang zur Kurzarbeit. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) gab einen Finanzierungsbedarf von „zehn bis 20 Milliarden“ Euro an. Nachher hieß es, man erwarte „kurzfristig“ politische Maßnahmen.

Der Autogipfel fiel genau auf den Tag, an dem das Statistische Bundesamt die Konjunkturzahlen für 2019 bekanntgab: Mit einem Plus von 0,6 Prozent war der Anstieg des Bruttoinlandsproduktes deutlich schwächer als in den Vorjahren. Grund für den Rückgang war vor allem die gesunkene Industrieproduktion – insbesondere bei den Autoherstellern.

Der Wandel hin zur Elektromobilität bringt für die Autoindustrie eine enorme Umwälzung mit sich. Ein Beratergremium der deutschen Regierung hat errechnet, welche Folgen diese für die Arbeitsplätze in der Branche haben könnte: Im Extremfall, wenn sehr viele E-Autos aus dem Ausland importiert werden müssten, könnte es im Jahr 2030 fast 410.000 Arbeitsplätze weniger geben, wie aus einem Anfang der Woche veröffentlichten Bericht der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) hervorgeht.

Jobs bröckeln weg

Allerdings gehen die Autorinnen und Autoren der Studie davon aus, dass dieses Szenario abgemildert werden kann. Auch der VDA hält die Zahl für zu hoch gegriffen, rechnet aber immer noch damit, dass bis 2030 zwischen 80.000 und 90.000 Stellen in der Branche wegfallen könnten. „Unsere Hersteller werden bis 2023 ihr Angebot bei elektrifizierten Fahrzeugen auf über 150 E-Modelle verdreifachen. In alternative Antriebe und dabei vor allem in die Elektromobilität investieren die deutschen Hersteller und Zulieferer bis 2024 rund 50 Milliarden Euro“, stellte VDA-Chef Kurt-Christian Scheel in Aussicht.

Arbeiter in einem Pkw-Produktionswerk in Wolfsburg
Reuters/Fabian Bimmer
Beim schwierigen Umbruch in der Autoindustrie sollen auch mit staatlicher Hilfe Jobs gesichert werden

Viele Zulieferer noch ohne Plan

Das ist inmitten des Wandels von Benzinern und Dieselfahrzeugen hin zu mehr klimafreundlicheren alternativen Antrieben auch nötig. Das Problem dabei: Für E-Autos sind weniger Jobs nötig, weil es viel weniger Komponenten gibt und die Automatisierung in Zukunft noch steigen wird. Knapp die Hälfte der Unternehmen im Organisationsbereich der IG Metall – insbesondere kleine und mittlere Zulieferer – habe aber noch keine Strategie entwickelt, um dem Strukturwandel zu begegnen, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann.

„Der Druck wächst“, heißt es auch in einer Studie der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), „durch Digitalisierung, neue Formen der Nutzung und höhere Umweltstandards. China und das Silicon Valley drängen aggressiv auf den internationalen Markt. Schärfere CO2-Ziele im Verkehrssektor, die Feinstaubdebatte in den Städten und die Diskussion um Fahrverbote für Diesel setzen die Automobilhersteller unter Zugzwang. Gleiches gilt für die Zulieferer. Ohne einen tiefgreifenden Wandel droht Deutschlands Schlüsselindustrie Nr. 1 abgehängt zu werden.“

Die Studie ist knapp zwei Jahre alt – die Lage hat sich seitdem aber nicht verändert, vielmehr verschärft. „Die Mobilitätswende wird so tiefgreifend sein, dass eine neue Regulierung der Autobranche und unternehmensinterne Transformation allein nicht genügen. Vielmehr müssen Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Verbraucher_innen gemeinsam eine neue Politik in Angriff nehmen. Nur so kann eine grundlegende Transformation der Automobilbranche gelingen. Dabei ist es wichtig, alle Betroffenen mit einzubeziehen“, hielt die FES fest.

Warnung vor „industriellen Wüsten“

Genau das war Ziel des Autogipfels im deutschen Kanzleramt. IG-Metall-Chef Hofmann sagte danach, die Regierung habe zugesagt, sich des Themas kurzfristig anzunehmen. Man habe darüber gesprochen, wie man die Mobilitätswende schaffen könne, „ohne, dass Beschäftigte unter die Räder kommen“, und ohne „industrielle Wüsten“ in Regionen zu schaffen, die stark vom Verbrennungsmotor abhängen. Hofmann: „Kurzfristig heißt für mich nicht Monate.“

VDA-Vizepräsident Arndt Kirchhoff sagte, es gehe darum, wie die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland gehalten werden könne. Dazu müssten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für neue Jobs qualifiziert werden. „Das ist eine große Herausforderung.“ Es gehe nicht um Milliardenhilfen, sondern darum, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.