Der ungarische Premier Viktor Orban, der slowakische Premier Peter Pellegrini, der tschechische Premier Andrej Babis, der polnische Premier Mateusz Morawiecki und der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz bei einem Treffen der Visegrad-Staaten in Prag
Reuters/David W Cerny
Visegrad-Gipfel

Kurz als „Vermittler“ in Prag

Wenn es um EU-interne Gräben geht, dann ist der Konfrontationskurs der vier osteuropäischen Visegrad-Staaten gegenüber Brüssel meist nicht weit. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sieht Österreich in der Vermittlerrolle. Wohl ganz in diesem Sinne führte nach dem Antrittsbesuch in Brüssel die nächste Auslandsreise am Donnerstag zum Visegrad-Gipfel in Prag.

Der tschechische Regierungschef Andrej Babis sprach bei der Pressekonferenz mit Kurz und den Amtskollegen Viktor Orban aus Ungarn, Mateusz Morawiecki aus Polen und Peter Pellegrini aus der Slowakei von einem sehr netten und offenen Treffen. Zudem bedankte sich Babis bei Kurz, dass sein erster bilateraler Besuch als neu angelobter Kanzler zum Visegrad-Treffen nach Prag führte.

Ob Migration, mehrjähriger EU-Finanzrahmen, die Zukunft Europas oder die Klimadebatte – bei dem Treffen sei eine breite Themenpalette behandelt worden, wobei Babis am Beispiel Klimaschutz hervorhob, dass man auch mit Österreichs Regierung nicht in allem einer Meinung sei – ungeachtet dessen aber gemeinsam nach Lösungen suchen wolle.

„Hier zählt man in Brüssel auf uns“

Man habe Fragen der aktuellen Europapolitik besprochen, so Kurz, der bereits im Vorfeld gesagt hatte, Österreich müsse „als Land im Herzen der EU als Vermittler eine Brückenfunktion einnehmen“. Für Österreich, das im Herzen Europas liege, sei eine Zusammenarbeit mit Ost und West von zentraler Bedeutung, sagte Kurz bei der Pressekonferenz.

„30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gibt es ein geeintes Europa, das ist auch gut so, zugleich gibt es aber neue Gräben.“ Die Visegrad-Länder seien zusammengenommen schließlich auch der wichtigste Handelspartner Österreichs.

Der ungarische Premier Viktor Orban, der slowakische Premier Peter Pellegrini, der tschechische Premier Andrej Babis, der polnische Premier Mateusz Morawiecki und der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz bei einem Treffen der Visegrad-Staaten in Prag
Reuters/David W Cerny
Orban, Kurz, Babis, Morawiecki und Pellegrini (v. l. n. r.) traten nach dem Visegrad-Gipfel vor die Presse

Die Vermittlung geschehe in Abstimmung mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, hatte Kurz bereits am Sonntag bei seinem Besuch in Brüssel gesagt. „Hier zählt man in Brüssel auch auf uns“, hieß es von Kurz dazu nun in Prag.

Lob für EU-Klimafonds

Mit Blick auf die anstehenden EU-Vorhaben gab es von den vier Visegrad-Regierungschefs und Kurz Lob für den EU-Klimafonds. Uneinigkeit gab es aber weiterhin über den Ausbau der Atomkraft.
Während Tschechien, die Slowakei und Ungarn ihre Atomenergie ausbauen wollen, verwies Kurz auf den österreichischen Standpunkt, wonach neue AKWs in Europa verhindert werden sollen. Auch EU-Gelder zur Kompensierung der Ausfälle beim Ausstieg aus der Kohle dürften nicht in den Ausbau der Atomenergie fließen.

Grundsätzlich ist der Fonds laut Kurz ein „wichtiger Schritt, um Staaten beim Ausstieg aus der Kohleenergie zu unterstützen“. Morawiecki sprach von einem „Ausdruck der Solidarität der EU mit Ländern mit unterschiedlichen Ausgangspositionen“. Trotz schwieriger Verhandlungen habe es Verständnis gegeben für die verschiedenen Startbedingungen in den einzelnen Staaten.

Kurz bei Visegrad-Gipfel

Die Beziehungen zwischen der EU-Spitze und den vier EU-Mitgliedern der Visegrad-Gruppe sind schwierig. Kanzler Kurz (ÖVP) versucht, in den Konfliktfeldern zu vermitteln.

Milliarden für Kohleausstieg

Als beneidenswert bezeichnete der polnische Premier den Energiemix in Österreich. Das hänge aber „auch mit den klimatischen und geografischen Bedingungen“ zusammen, so Morawiecki, der gleichzeitig außer Frage stellte, dass das derzeit auf Kohle setzende Polen mehr Zeit als die anderen Länder zum Erreichen der Klimaneutralität benötigen werde.

Einem Medienbericht zufolge könnte Polen vom 7,5 Milliarden schweren EU-Klimafonds mit zwei Mrd. Euro das größte Stück abbekommen. Nach Deutschland und Rumänien folge bereits an vierter Stelle mit 581 Millionen Euro Tschechien, wie Radio Prague International weiter berichtete.

Österreich als „natürlicher Partner“

Weit weniger Übereinstimmung gab es neben der Atomkraft beim Thema EU-Budget. Während Österreich als Nettozahler höhere Beiträge ablehnt, stemmen sich die östlichen Staaten gegen Kürzungen bei den Transferleistungen, die sie von den reicheren Mitgliedsländern erhalten. „Wir brauchen mehr Geld“, sagte etwa Ungarns Premier Orban.

Bei anderen Themen – allen voran der Migrationspolitik, aber auch der Befürwortung einer EU-Erweiterung auf dem Balkan – zeigten sich die fünf Regierungschefs einer Meinung. Laut Orban ist Österreich hier „der natürliche Partner der Visegrad-Staaten“. Man spreche die gleiche Sprache und teile die gleichen Meinungen, sagte der slowakische Premier Pellegrini. Dieser lobte auch das Format Visegrad plus Österreich, das aus Pellegrinis Sicht in der Welt sehr positiv wahrgenommen werde.

Ernst Gelegs (ORF) zum Visegrad-Gipfel

Ernst Gelegs berichtet über Differenzen zwischen den Visegrad-Staaten und der EU-Linie in der Atompolitik und beim EU-Finanzrahmen.

„Autobahn endlich fertigbauen“

Nach dem Visegrad-Gipfel stand für Kurz noch ein bilaterales Treffen mit Babis auf der Agenda. Auch hier wurde bei einer gemeinsamen Pressekonferenz das „freundschaftliche Verhältnis“ hervorgeboben. Abgesehen vom österreichisch-tschechischen Streitthema Atomkraft überwog auch hier Übereinstimmung.

Einig waren sich die Kurz und Babis auch über den nötigen Ausbau der Verkehrswege zwischen den beiden Ländern. Wichtig sei nun, die Verkehrswege zwischen den beiden Nachbarländern zu verbessern, sagte Babis: „Wir müssen die Autobahn endlich fertigbauen.“

Blumenniederlegung auf Wenzelsplatz

Nach der Begrüßung des Gasts aus Österreich legten die fünf Regierungschefs zudem vor dem Nationalmuseum am Wenzelsplatz gemeinsam Blumen am Gedenkstein für Jan Palach nieder. Der Student hatte sich an dieser Stelle am 19. Jänner 1969 aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings selbst verbrannt.

Kranzniederlegung in Prag
AP/Michal Krumphanzl
Zum Auftakt des Gipfeltreffens besuchten Visegrad-Staatschefs zusammen mit Kurz den Prager Jan-Palach-Gedenkstein

Bei dieser Gelegenheit kam es auch zu Unmutsbekundungen gegenüber Babis. Eine junge Frau schrie aus einem vorbeifahrenden Pkw: „Herr Babis, Sie sind eine Schande.“ Auf der gegenüberliegenden Straßenseite protestierten einige Aktivisten gegen den geplanten Ausbau der Atomkraft in Tschechien. Dem Multimilliardär wird seit Langem vorgeworfen, zu Unrecht von EU-Fördermitteln profitiert zu haben. Er weist die Vorwürfe zurück.

Sorgenkinder der EU

Es ist nicht der einzige gegen die vier Mitglieder des 1991 in der ungarischesn Stadt Visegrad aus der Taufe gehobenen, losen Staatenbündnisses gerichtete Vorwurf. In der Slowakei hat etwa in der vergangenen Woche unter großer Aufmerksamkeit internationaler Medien der Gerichtsprozess im Mordfall Jan Kuciak begonnen. Der Mord an dem Investigativjournalisten und seiner Verlobten im Februar 2018 überschattet bis heute die Politik der Slowakei.

Schließlich sorgt auch der anhaltende Konfrontationskurs gegenüber Brüssel für Schlagzeilen. Es geht zum einen um die starre Haltung in Sachen Migrationspolitik, etwa die Blockadehaltung in Sachen Flüchtlingsumverteilung. In den laufenden Artikel-7-Verfahren gegen Polen und Ungarn geht es zum anderen um handfeste demokratiepolitische Bedenken und die Frage, ob die beiden osteuropäischen Länder mit den dort umgesetzten Reformen gegen die Grundwerte der EU verstoßen.