Geistliche Oberhaupt des Iran, Ajatollah Ali Chamenei
APA/AFP/Khamenei.ir
„Wir haben keine Angst“

Chamenei-Kampfansage bei Freitagsgebet

Angesichts der nach dem Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeuges im Land angespannten Lage hat das geistliche Oberhaupt des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, erstmals seit acht Jahren wieder das Freitagsgebet in Teheran geleitet. Chamenei nutzte seinen Auftritt nicht nur für den Aufruf zur nationalen Einheit, sondern auch für eine Kampfansage.

Die jüngsten Proteste hätten demnach keine Auswirkung auf den politischen Kurs des Landes. „Das iranische Volk liebt und will den Widerstand gegen die Weltmächte und keine Kapitulation, auch 41 Jahre nach der Revolution“, so Chamenei. Der Iran habe auch „keine Angst vor diplomatischen Verhandlungen“ – mit den USA und unter Druck wolle man aber nicht verhandeln.

Schließlich habe die Reaktion von Frankreich, Großbritannien und Deutschland im Atomstreit gezeigt, dass auch auf sie kein Verlass sei, sagte Chameini. „Wir sollten nicht vergessen, dass sowohl Deutschland als auch Frankreich den Irak im Krieg gegen uns (1980–88) unterstützt haben.“ Paris, London und Berlin erhöhten zuletzt den Druck auf den Iran und starteten den im Atomabkommen enthaltenen Streitschlichtungsmechanismus. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sieht den Iran derzeit noch im Rahmen des Atomabkommens agieren.

Aufruf zur nationalen Einheit

Chameini verwies auf die von Millionen von Menschen besuchte Trauerfeier für den von den USA im Irak getöteten General Kassem Soleimani. Einige Hunderte, laut Chameini von feindlichen Medien im Ausland Getäuschte, hätten Soleimani mit ihren Parolen beleidigt. Diese könnten Chameini zufolge den Willen des Volkes aber nicht ändern. Mit Blick auf die hier angesprochenen regierungskritischen Proteste rief Chamenei gleichzeitig zur nationalen Einheit auf.

Chamenei ist offiziell der Imam der iranischen Hauptstadt, üblicherweise leiten aber andere Geistliche das Freitagsgebet. Zuletzt hatte der 80-Jährige am 3. Februar 2012 anlässlich des 33. Jahrestags der Islamischen Revolution diese Aufgabe übernommen.

Menschenmenge beim Freitagsgebet in Teheran
AP/Office of the Iranian Supreme Leader
Zehntausende beteiligten sich am Freitagsgebet

Medienangaben zufolge nahmen Zehntausende am nun von Chameini geleiteten Freitagsgebet teil und bekräftigten dessen Aussagen mit Parolen wie „Tod den USA“ und „Keine Kompromisse, keine Kapitulation, nur Kampf gegen die USA“. Das Freitagsgebet wurde auf mehreren Kanälen des Staatsfernsehens live übertragen.

Rückendeckung für Revolutionsgarden

Ausdrücklich stellte sich Chameini hinter die Revolutionsgarden. Die mächtige Elitetruppe hatte die volle Verantwortung für den Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine übernommen, nachdem die iranische Führung das tagelang abgestritten hatte.

Die Revolutionsgarden stünden für die Sicherheit des Iran, sagte Chamenei. Er bekräftigte, der Abschuss sei ein tragischer Unfall gewesen. Die Feinde Iran versuchten das auszunutzen, um die Revolutionsgarden zu schwächen. Den Demonstranten im Iran warf er vor, die Tötung von General Soleimani durch die USA herunterspielen zu wollen.

Zudem warnte Chamenei die Iraner und Iranerinnen vor der „terroristischen Natur“ der USA. US-Präsident Donald Trump bezeichnete Chameini zudem als „Clown“, der zwar vorgebe, die Demonstanten im Iran zu unterstützen, diesen dann aber einen „giftigen Dolch“ in den Rücken rammen werde.

Bericht über zurückgetretene TV-Moderatorinnen

Der Abschuss der Boeing 737-800 von Ukraine International Airlines, bei dem alle 176 Menschen an Bord getötet wurden, und das späte Eingeständnis hatten massive Proteste gegen die Staatsspitze in Teheran und in anderen Städten ausgelöst, bei denen unter anderem der Rücktritt Chameneis gefordert worden war. Auch diese Woche kam es laut Medienberichten weiter zu Protesten. Dabei sei es etwa an Teheraner Universitäten zu Zusammenstößen zwischen Studenten und den Basidsch-Milizen gekommen, wie in Onlinenetzwerken verbreitete Videos zeigten.

Wegen der über den staatlichen Sender IRIB verbreiteten „Lügen“ quittierten „Guardian“-Angaben zufolge zudem die prominenten iranischen Nachrichtensprecherinnen Gelare Dschabbar und Shra Chatami ihren Dienst. „Vergebt mir für die 13 Jahre, in denen ich Lügen erzählt habe“, hieß es der Zeitung zufolge in einem von Dschabbar veröffentlichten Instagram-Posting. Von prominenter Unterstützung der Proteste berichtete am Freitag auch die „Financial Times“ („FT“).

Sarif sieht weiter Mitschuld der USA

Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif warf den USA diese Woche indes erneut vor, für den irrtümlichen Abschuss des ukrainischen Flugzeugs mitverantwortlich zu sein. „Warum ist es passiert? Weil es eine Krise gab. Menschen machen Fehler – unverzeihliche Fehler –, aber es passierte in Krisenzeiten.“

Die Spannungen zwischen den USA und dem Iran waren Anfang Jänner dramatisch eskaliert. Nach der Tötung Soleimanis durch die USA im Irak reagierte Teheran mit dem Beschuss von Stützpunkten im Irak, die von US-Truppen genutzt werden. Die Revolutionsgarden erwarteten daraufhin nach eigenen Angaben einen Vergeltungsschlag der USA und verwechselten das Flugzeug mit einem Marschflugkörper.

Bei den iranischen Raketenangriffen auf Militärstützpunkte im Irak sind indes doch mehrere US-Soldaten verletzt worden. Infolge der Explosionen hätten elf Soldaten Gehirnerschütterungen erlitten, teilte das US-Militär am Donnerstag mit. Zunächst hatten US-Präsident Donald Trump und das Militär erklärt, dass bei den Angriffen keine Soldaten getötet oder verletzt worden seien.

„Nicht für politische Ziele ausnutzen“

Der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Abbas Musawi, rief am Freitag indes alle betroffenen Länder auf, „schon wegen der Opferfamilien wegen“ den Flugzeugabschuss nicht für politische Ziele auszunutzen. Kanada, Großbritannien, Schweden, die Ukraine und Afghanistan hatten diesbezüglich ein unabhängiges Gerichtsverfahren gegen den Iran gefordert.

Mittlerweile seien fast alle Leichen der vom iranischen Militär abgeschossenen ukrainischen Passagiermaschine identifiziert worden und könnten den Familien übergeben werden, wie die Nachrichtenagentur mit Verweis auf Musawi weiter berichtete.

Der Iran versucht Musawi zufolge derzeit, in Zusammenarbeit mit den vom Unglück betroffenen Staaten die Übergabe der Leichen ins Ausland zu ermöglichen. Unter den 176 Toten befanden sich 147 iranische Passagiere, viele mit doppelter Staatsbürgerschaft, sowie 29 aus der Ukraine. Diverse Opfer hatten auch die Staatsbürgerschaft Kanadas, Schwedens und Afghanistans.