Einsatzkräfte am Tatort vor der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn nach der tödlichen Messerattacke auf einen Beamten
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Verhaften auf Verdacht

Tötung in Dornbirn als Anlassfall für Pläne

Ab Montag müssen Geschworene am Landesgericht Feldkirch in einem Prozess entscheiden, ob ein 35-jähriger Asylwerber vor knapp einem Jahr den Sozialamtsleiter der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn ermordet hat. Die Verantwortung des Mannes für den gewaltsamen Tod des Beamten ist unbestritten, offen ist die Bewertung der Tat. Der Fall rief auch eine emotionale Debatte hervor, die bis heute geht – Stichwort Sicherungshaft. Juristinnen und Juristen sind skeptisch bis alarmiert.

Wenige Tage nach der tödlichen Messerattacke auf den Sozialamtsleiter am 6. Februar 2019 lag die politische Reaktion der ÖVP-FPÖ-Regierung darauf vor. Sie kam aus dem damals FPÖ-geführten Innenministerium. Der Vorschlag des damals von Herbert Kickl geleiteten Ressorts: die Einführung einer „Sicherungshaft für gefährliche Asylwerber“, wie es hieß – letztlich geht es um ein Verhaften auf Verdacht.

In der Folge entstand eine hitzige Debatte, die bis heute andauert. Und: Trotz Kritik von Expertinnen und Experten hat sich das Vorhaben gehalten und ist auf Betreiben der ÖVP auch im Regierungsprogramm von Türkis-Grün zu finden. Die „Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit“ soll bei Personen greifen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die „öffentliche Sicherheit gefährden“, heißt es in der Passage.

„Lücken im Umgang mit gefährlichen Personen“

Auf Seite 199 des Regierungsprogramms ist zudem von „einzelnen Fällen“ die Rede, „die uns schmerzhaft vor Augen geführt (haben), dass es in unserem derzeitigen Rechtssystem Lücken im Umgang mit gefährlichen Personen gibt“. Unbestritten ist, dass der Fall in Dornbirn Auslöser der Debatte ist. Umstritten ist hingegen, ob der mutmaßliche Täter von Dornbirn vor der Tötung auf geltender Gesetzesbasis in Haft hätte genommen werden können oder nicht.

Herbert Kickl in seiner Zeit als Innenminister
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Die Idee der Sicherungshaft entstammt dem Ressort von Ex-Innenminister Kickl – die ÖVP will sie umsetzen

Zweidrittelmehrheit nötig

Kickl erwartete sich bei seiner Ankündigung damals einen „Schulterschluss“ im Parlament, wie er sagte – der Grund dafür: Für die Einführung einer solchen „Sicherungshaft“ für Asylwerber brauchte es eine Verfassungsänderung durch eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Der Zusatz im Gesetz müsste eine separate – und von der klassischen Schubhaft zu unterscheidende – „fremdenrechtliche Haft“ wegen der Gefährdung der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung ermöglichen.

Doch seit einem Jahr ist die Debatte um die „Sicherungshaft“ von Kritik und Bedenken daran begleitet. Da die Debatte mit der neuen Regierung wieder an Fahrt gewann, gab es zuletzt wieder viele neue Stellungnahmen. Sabine Matejka, Präsidentin der Richtervereinigung, sagte etwa, dass selbst mit Verfassungsänderung der Spielraum wohl „relativ klein“ wäre.

Was ist „Gefährlichkeit“?

Überhaupt wäre es sehr schwierig, so Matejka, im Gesetz zu klären, was „Gefährlichkeit“ ist. Der Haftgrund müsste in einem Gesetz aber klar definiert werden – und das sei im letzten Jahr, als die ÖVP-FPÖ-Regierung schon die Sicherungshaft einführen wollte, auch nicht gelungen. Und unlängst verwies Verfassungsrechtlerin Magdalena Pöschl auf den Umstand, wonach die Einführung einer Sicherungshaft eine Rücknahme des Grundrechtsschutzes erstmals seit 1945 wäre.

Kontroverse Pläne

Nach dem Mord sind erstmals Rufe nach einer Sicherungshaft laut geworden, die die Politik bis heute beschäftigen. Ob diese die Tat verhindert hätte, sorgt bis heute für Diskussionen.

„Jahrhundertelanger Kampf für Freiheit“

Bedenken äußerte auch Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk im Ö1-Format „Punkt eins“: Es handle sich um einen sensiblen Bereich der Grundrechtsordnung. Funk verwies auf einen jahrhundertelangen Prozess, in dem die gegenwärtige Freiheit erkämpft worden sei. Wenn jetzt die „Sicherungshaft“ ins Spiel gebracht werde, wecke dieses Reizwort „unangenehme Assoziationen“. „Das Einschränken der Freiheit auf Verdacht ist der Verfassung unseres Staates fremd“, so Funk.

Es sei Sinn der Verfassung, zu gewährleisten, dass Menschenrechte als Freiheitsrechte gewahrt bleiben, so Funk. „Wenn der Staat dabei Abstriche macht, führt das zur Sorge, wohin das noch führt“, so der Verfassungsrechtler. Generell ortet Funk ein Vorgehen, das in die Richtung gehe, den Verfassungsgerichtshof (VfGH) zu schwächen. „Diese Richtung sollte besser nicht beschritten werden. Das ist die Legitimierung von Willkür“, so Funk.

„Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen“

Die Formulierung im Regierungsprogramm sei vor allem eine „politische Botschaft“, bei der Umsetzung würden aber Probleme entstehen. Auch dem angeführten Argument, ähnliche Modelle gäbe es auch in anderen Ländern, sei mit dem Hinweis zu entgegnen, dass man in Österreich wesentliche Errungenschaften aufzugeben hätte. Ähnlich wie Matejka argumentiert Funk mit der Frage nach der Definition von „Gefährlichkeit“. „Sind das wie im Film Casablanca die üblichen Verdächtigen“, die zu verhaften seien? Dort beginne die „Nagelprobe“.

Auch Brigitte Bierlein, Ex-Kanzlerin und davor langjährige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, übte bereits im Vorjahr Kritik an dem Vorhaben. „Seit 1998 gilt in Österreich ein modernes Verfassungsgesetz, das eine Präventivhaft nicht kennt. Und das ist gut so“, sagte Bierlein im März des Vorjahres der „Presse“. Andere europäische Länder hätten eine Art Sicherheitsverwahrung, „aber kein Verfassungsgesetz wie wir“, so Bierlein.

„Schätze Ad-hoc-Gesetzgebungen nicht sehr“

Reserviert reagierte Bierlein damals auch darauf, dass die ÖVP-FPÖ-Regierung auf (gleichsam damals) aktuelle Mordfälle Bezug nehme und die Gewichte etwas von der Freiheit in Richtung Sicherheit verschiebe: „Es gab tragische Fälle, aber ich schätze Ad-hoc-Gesetzgebungen nicht sehr.“

Funk ergänzte das zuletzt mit dem generellen Einwand, wonach die Tötung mit der neuen Haft möglicherweise gar nicht verhindert werden hätte können. Das sei eine Frage, deren Erörterung in der emotionalen Debatte nicht ausreichend im Fokus stehe. Vielmehr solle man sich fragen, ob es nicht entlang der bestehenden rechtlichen Möglichkeiten vor der Tat Versäumnisse gegeben habe, so Funk.

Möglichkeiten im Rahmen der bestehenden Verfassung

Die Soziologin Veronika Hofinger verwies nach Aufkommen der Idee auf die bereits vorhandenen Möglichkeiten einer U-Haft. Stellt jemand für sich und andere eine Gefahr dar, könne er auch gegen seinen Willen in der Psychiatrie angehalten werden. Die Terrorismusgesetze würden auch das Eingreifen im Planungsstadium erlauben, so Hofinger weiter. Ihrer Meinung nach brauche es keine neuen Haftmöglichkeiten, sie betonte auch: „Es kann keine Inhaftierung ohne triftigen Anlass und ohne geregeltes Verfahren mit einem unabhängigen Richter geben.“

Im Regierungsprogramm nur kurz behandelt

Die aktuelle politische Debatte ist von gegensätzlichen Standpunkten geprägt. Auch innerhalb der neuen Koalition haben sich rasch Gräben aufgetan, Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) äußerte zuletzt Bedenken („juristisch sehr schwierig“). Justizministerin Alma Zadic (Grüne) sagte, die Sicherungshaft werde mit den Grünen „sicherlich keine“ nach Kickl’schem Modell, sondern verfassungs-, EU-Rechts- und menschenrechtskonform.

Auszug aus dem Regierungsprogramm
Screenshot dieneuevolkspartei.at
Die Passage zur „Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit“ im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen

Die ÖVP argumentiert hingegen mit dem Umstand, wonach auch andere europäische Länder eine solche Sicherungshaft vollziehen würden. Auch im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen (das Thema wird dort nur sehr kurz abgehandelt) wird auf diesen Umstand verwiesen, genannt werden etwa die Niederlande, Belgien und Luxemburg als Länder mit bestehenden entsprechenden Modellen.

Kurz will „Gesetzeslücke schließen“

Am Tag des Prozessauftakts in Feldkirch nahm Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zum Thema Sicherungshaft Stellung. Personen, die schon ein Gewaltverbrechen begangen haben und eine Drohung aussprechen, sollen künftig in Sicherungshaft genommen werden können, auch wenn die Drohung allgemein formuliert oder nicht gegen eine Einzelperson gerichtet war, so Kurz.

„Es gibt keine absolute Sicherheit, aber es gibt sehr wohl die Pflicht der Republik Österreich, alles zu tun, dass es ein Maximum an Sicherheit gibt“, sagte der Kanzler. „Das beinhaltet auch das Schließen einer Gesetzeslücke, die wir im Moment haben. 15 andere europäische Länder haben diese Gesetzeslücke bereits geschlossen“, so Kurz.

Die Rede sei nicht von einem Massenphänomen, sondern davon, Personen in einzelnen notwendigen Fällen auf Anordnung eines Gerichts in Sicherungshaft nehmen zu können. „Wir haben uns im Regierungsprogramm auf die Sicherungshaft verständigt, sie wird auch kommen. Zuständig sind die Justizministerin und der Innenminister (Karl Nehammer, ÖVP, Anm.), die gemeinsam mit Experten die entsprechenden Vorschläge ausarbeiten werden.“

FPÖ will Stimmen liefern

Die FPÖ – eigentliche Ideengeberin der Sicherungshaft – ortete ein türkis-grünes „Plagiat“ aus der Zeit der FPÖ-Regierungsbeteiligung. Nach Kurz’ neuen Aussagen boten die Blauen ihre Unterstützung für „ein seriöses und effektives Schließen dieser Sicherheitslücke“ an. Ohne Verfassungsänderung lasse sich „keine praktikable Lösung“ umsetzen, meinte Klubobmann Herbert Kickl in einer Aussendung am Montag.

Die dafür notwendigen Gesetzesänderungen seien bereits unter Türkis-Blau ausgearbeitet worden, einziger „Bremsklotz“ sei der frühere ÖVP-Justizminister Josef Moser gewesen. „Nachdem er nun ohnedies keine wesentliche Rolle mehr in der ÖVP spielt, sollte der Beschluss zeitnah zustande kommen, wenn die ÖVP die Grünen in dieser Frage im Griff hat“, so Kickl.

Wallner urgiert Gesetz

Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) bekräftigte gleichzeitig die Forderung nach einer vorsorglichen Sicherungshaft. Die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen gegen Gefährder sind für Wallner laut Landeskorrespondenz völlig unzureichend: „Dass ein Verbrecher trotz gültigen Aufenthaltsverbotes illegal in unser Land einreist und hier einen Asylantrag stellen kann und sich zudem während des Verfahrens auf freiem Fuß bewegen darf – das darf es nicht mehr geben. Wir brauchen eine klare rechtliche Handhabe, um sicherzustellen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr möglich ist.“

SPÖ, NEOS strikt gegen Änderungen

SPÖ und NEOS sind weiter strikt gegen ein solches Modell. Einer Änderung werde man „keinesfalls zustimmen“, sagte etwa SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak kritisierte am Montag die Pläne: „Die von der Regierung so oft erwähnte Gesetzeslücke, die die Präventivhaft notwendig machen würde, existiert schlichtweg nicht.“

Der Abgeordnete verwies darauf, dass bereits bei der Fremdenrechtsnovelle 2018 Änderungen auf Grundlage der EU-Richtlinie eingebaut worden seien: „Seitdem können Asylwerberinnen und Asylwerber, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen, bereits während des Asylverfahrens in Schubhaft genommen werden. Das hätte auch im Fall Dornbirn zur Anwendung kommen können.“ Eine Präventivhaft im eigentlichen Sinn, „wie es die ÖVP und die FPÖ herbeifantasieren“, als eigener Hafttatbestand sei – „abgesehen von der U-Haft“ – auf Grundlage der Menschenrechte „nicht zulässig“, so Scherak.