Der titelgebende Jojo Rabbit heißt eigentlich Johannes Betzler, ist zehn Jahre alt und ein fanatischer Möchtegern-Nazi. „Total in Hakenkreuze verliebt“ freut er sich auf sein erstes Hitlerjugend-Trainingscamp und übt dafür den Hitlergruß im Kinderzimmer. Mit dabei: sein imaginärer Freund und Vaterersatz, der niemand anderer ist als Hitler höchstpersönlich.
Auf dem Wochenendlager lernt er Bücherverbrennen und Judenerkennen – wird wegen seiner Weigerung, einem kleinen Hasen das Genick zu brechen, aber von den anderen Kindern als „Hasenfuß“ verspottet. Ausgerechnet Hitler ist an seiner Seite, um ihn, „den treuesten kleinen Nazi“, zu trösten – der Hase sei schließlich ein starkes Tier, wichtig „im Kampf um das Vaterland“.
„Anti-Hass-Satire“ über die Nazi-Zeit
Der neuseeländische Regisseur Taika Waititi sieht sich selbst als prädestiniert dafür, eine „Anti-Hass-Satire“ über die Nazi-Zeit zu drehen – als Sohn einer russischen Jüdin und eines Maori sei er Vorurteile und Ausgrenzung gewöhnt. Die Rolle des tollpatschigen, selbstgefälligen, einhornessenden Hitlers hat er sich gleich selbst auf den Leib geschrieben – denn: „Wie könnte man Hitler besser beleidigen, als wenn er von einem polynesischen Juden porträtiert wird?“
Das jüdische Mädchen unter dem Dach
Für „Jojo Rabbit“ ließ sich Waititi von Christine Leunens’ Roman „Caging Skies“ inspirieren, der die Geschichte eines Wiener Hitlerjungen erzählt, dessen Eltern ein jüdisches Mädchen in ihrem Haus versteckt haben. Auch im Film findet Jojo kurz nach seiner Rückkehr aus dem Camp heraus, dass seine alleinerziehende Mutter (der Vater ist im Krieg verschollen) der jungen Jüdin Elsa hinter der Wandvertäfelung unter dem Dach Unterschlupf gewährt. Für Jojo ist dieses Wissen ein Schock – schließlich wird ihm seit Jahren eingebläut, wie schrecklich und gefährlich Juden nicht sind.
Weil Jojo aber weiß, dass er Elsa nicht ausliefern kann, ohne seine heißgeliebte Mutter in Gefahr zu bringen, schließen die beiden einen Nichtangriffspakt – und die Nazi-Satire wird um ein Coming-of-Age-Drama angereichert. In die unfreiwillige Schicksalsgemeinschaft gezwungen bröckelt das fanatische Kartenhaus Jojos, und auch wenn der imaginäre Hitler weiterpoltert, wird er doch leiser und leiser.
Von Charlie Chaplin („Der große Diktator“), Ernst Lubitsch („Sein oder Nichtsein“), Mel Brooks („Frühling für Hitler“), Roberto Benigni („Das Leben ist schön“) bis Quentin Tarantino („Inglourious Basterds“): Die Liste der großen Filmemacher, die sich über Hitler und die Nazis lustig gemacht haben, ist lang, und noch jeder Film hat auch seine nicht einverstandenen Kritikerinnen und Kritiker gefunden. Chaplin selbst entschuldigte sich im Nachhinein – hätte er von den wahren Gräueln gewusst, er hätte den Film 1940 nicht drehen können.
Brooks hingegen bleibt bis heute bei seiner Theorie, dass man erst dann gegen Hitler gewinnt, wenn man ihn auf etwas Lächerliches reduzieren kann. Waititi nennt gleichzeitig den Humor auch als Mittel, um eine neue Generation für das Thema zu interessieren: „Es ist wichtig, neue und originelle Wege zu finden, um die schreckliche Geschichte des Zweiten Weltkriegs immer und immer wieder auch der jüngeren Generation nahezubringen, damit unsere Kinder zuhören und daraus lernen.“
Die Hipsterversion der Nazi-Parodie
So ist „Jojo Rabbit“ gewissermaßen die Hipsterversion der Nazi-Parodie. Schon der Filmbeginn zeigt den Weg, wenn zur deutschen Beatles-Nummer „Komm, gib mir deine Hand“ die Hitlergrußhände nur so in die Höhe fliegen. Ästhetisch fühlt man sich an Wes Anderson erinnert, mit pastellig-bunter Kleinstadt, detailverliebtem Setdesign und einem unübersehbaren Drang nach Symmetrie in jeder Einstellung.
Als geradezu ideal erweist sich die Besetzung des Films. Der elfjährige Brite Griffin Davis gibt als Jojo ein erstaunliches Filmdebüt, genauso wie Archie Yates, der als sein Freund Yorki nicht nur Mütterherzen zum Schmelzen bringt. Thomasin McKenzie ist die Jüdin Elsa, die auf sehr eindrückliche Weise Jojos gewaschenes Gehirn herausfordert. Sam Rockwell als Hauptmann Klenzendor und Rebel Wilson als Nazi-Fräulein Rahm sind, neben Hitler Waititi, der komödiantische Anker und durchgehend für seichte und tiefe Schmähs gleichermaßen zuständig.
Die herausstechendste Rolle spielt allerdings Scarlett Johansson. Zwischen all den Überzeichnungen ist sie die vielleicht menschlichste Figur des Films. Charmant und liebenswert, wie sie auftritt, ist von der ersten Sekunde klar, warum Jojo seine Mutter derartig verehrt.
Als Publikumssieger in Toronto zum Oscar-Geheimtipp
Auf seinem Weg quer durch die internationale Festivallandschaft (auch auf der letzten Viennale war „Jojo Rabbit“ zu sehen) wurde der Film bereits mehrfach ausgezeichnet – unter anderem auch mit dem People’s Choice Award in Toronto, der als Oscar-Orakel durchaus eine Trefferquote vorweisen kann.
Unbestritten verdient hätte sich jedenfalls Johansson, nominiert als beste Nebendarstellerin, die Trophäe. Wenn nicht, wäre es nur zu verzeihen, sollte sie stattdessen den Oscar als beste Hauptdarstellerin bekommen – denn auch in dieser Kategorie ist sie (für ihre Rolle im Netflix-Scheidungsdrama „Marriage Story“) nominiert.