Libyenkonferenz in Berlin
AP/Jens Meyer
Berlin

Einigung auf Friedensplan für Libyen

Bei der bisher größten Libyen-Konferenz haben internationale Akteure am Sonntag in Berlin nach einem Weg zum Frieden in dem nordafrikanischen Bürgerkriegsland gesucht – und sich auf einen umfassenden Friedensplan geeinigt. Doch viele Fragen bleiben weiterhin offen.

Ein dauerhafter Waffenstillstand, die Einhaltung des Waffenembargos und die Wiedereinleitung des politischen Prozesses in Libyen: Die Teilnehmer der Berliner Libyen-Konferenz haben die Weichen für einen innerlibyschen Friedensprozess gestellt.

Doch die insgesamt 55 Punkte umfassende Abschlusserklärung der Konferenzteilnehmer besteht vor allem aus Absichtserklärungen und Appellen, nur wenige Punkte sind verpflichtend. Auch die Frage nach möglichen Sanktionen blieb offen.

Libyenkonferenz in Berlin
AP/Türkische Präsidentschaft
Die deutsche Bundeskanzlerin empfing zentrale Akteure des Libyen-Konflikts, darunter Staaten, die mit Waffenlieferungen oder Truppenentsendungen indirekt an dem Krieg beteiligt sind

„Es gibt keine militärische Lösung“

Insgesamt waren 16 Staaten und Organisationen bei dem Treffen in Berlin vertreten. US-Außenminister Mike Pompeo, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Russlands Präsident Wladimir Putin verließen die Berliner Libyen-Konferenz bereits vor Beginn der abschließenden Pressekonferenz.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach am Sonntagabend von einer umfassenden Einigung auf politische Schritte für eine Friedenslösung unter dem Dach der Vereinten Nationen. Alle Beteiligten hätten deutlich gemacht: „Es gibt keine militärische Lösung.“

Haftar und Sarradsch anwesend

Russland bewertete das Treffen als nützlich und einen „kleinen Schritt nach vorn“. So würden nun beide Konfliktseiten jeweils fünf Vertreter in einen Militärausschuss entsenden, um weitere Schritte für eine dauerhafte Waffenruhe auszuloten, sagte Außenminister Sergej Lawrow der Agentur Interfax zufolge zum Abschluss der Konferenz.

Konfliktparteien in Libyen

In Libyen war nach Sturz und Tötung des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi 2011 ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Die Regierung von Ministerpräsident Sarradsch ist international anerkannt, hält aber nur kleine Gebiete rund um die Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes. Gegen Sarradsch kämpft General Haftar mit seinen Verbündeten, die weite Teile des ölreichen Landes beherrschen und ebenfalls aus dem Ausland unterstützt werden.

Angereist zu der Konferenz waren auch der libysche Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch und dessen Gegenspieler General Chalifa Haftar, ohne dass die beiden direkt miteinander sprachen. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte, er und Merkel hätten beide getrennt getroffen und dabei auch über die blockierten Ölhäfen in dem Land gesprochen. „Beide Seiten haben sich grundsätzlich bereiterklärt, dafür eine Lösung zu finden“, sagte Maas.

Fokus auf Waffenembargo

Internationale Anstrengungen zur Überwachung des Waffenembargos sollten verstärkt werden, hieß es in der gemeinsamen Erklärung der 16 Staaten und Organisationen. Gefordert wird eine umfassende Demobilisierung und Entwaffnung der Milizen. „Man hat sich darauf geeinigt, dass in Zukunft keine Unterstützung mehr erfolgen soll“, sagte Merkel dazu.

Merkel betonte aber auch, dass der Gipfel nur ein erster Schritt in einem längeren Prozess sei. „Ich mache mir keine Illusionen, dass das natürlich noch eine schwierige Wegstrecke sein wird“, sagte sie. Auf die Berliner Libyen-Konferenz sollen nun rasch erste Schritte zur Umsetzung der Ergebnisse folgen. Es solle bald ein erstes Treffen geben, das die Grundlage für einen gefestigten Waffenstillstand schaffen solle, sagte Merkel. Aktuell gibt es in dem Bürgerkriegsland nur eine fragile Waffenruhe.

Libyenkonferenz in Berlin
APA/AFP
Der französische Präsident Emmanuel Macron traf mit libyschen General Hafter zu Beratungen zusammen

Neuer politischer Prozess

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres rief alle Teilnehmer auf, nichts zu unternehmen, was diesen Weg zu einer friedlichen Lösung beeinträchtigen könnte. Der UNO-Sondergesandte für Libyen, Ghassan Salame, äußerte sich ebenfalls äußerst zufrieden. „Heute war ein großartiger Tag, um uns einen Schub zu geben und die Arbeitsmoral um weiterzumachen.“

Das Papier formuliert einen neuen politischen Prozess, der eine Stärkung der zentralen Institutionen zum Ziel hat und auf eine Rückkehr zum politischen Prozess unter Führung der Vereinten Nationen abzielt. Eine Reform des Sicherheitssektors müsse das Gewaltmonopol des Staates wiederherstellen, heißt es darin.

Gefordert wird die Respektierung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte. Wer für Angriffe auf Zivilisten sowie Zivilistinnen und bewohnte Gebiete, Entführungen, außergerichtliche Tötungen und sexuelle Gewalt, Folter und Menschenschmuggel verantwortlich sei, müsse zur Verantwortung gezogen werden. Die Konferenz forderte auch eine transparente und gerechte Verteilung der Öleinnahmen in dem Land.

Libyenkonferenz in Berlin
APA/AFP/Türkische Präsidentschaft
Erdogan unterstützt die Regierung unter Sarradsch

Waffenruhe soll dauerhaft werden

Auch Großbritannien, Frankreich, China, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Republik Kongo, Italien, Ägypten, Algerien sowie die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die Afrikanische Union und die Arabische Liga waren bei dem Treffen vertreten. Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz. Straßen rund um Kanzleramt und Reichstag waren abgesperrt, Hotels und Botschaften schwer gesichert.

Merkel zeigte sich zuversichtlich, dass nun die geplante Waffenruhe in Libyen halten werde. Dass dies 100-prozentig der Fall sei, sei nicht so leicht zu garantieren. Aber es gebe doch eine „Chance, dass diese Waffenruhe hält“. Maas betonte, es sei wichtig, dass das Gremium, in das beide Seiten jeweils fünf Teilnehmer entsenden sollen, nun über die Voraussetzungen für eine dauerhafte Waffenruhe spreche.

Die Einladung für ein erstes Treffen dieser Runde soll laut Merkel schon in der kommenden Woche verschickt werden. Über Sanktionen für den Fall, dass das Waffenembargo weiterhin verletzt werde, sei nicht gesprochen worden, sagte Merkel. Aber Akteure, die das Embargo brächen, sollten künftig klarer benannt werden.

Libyenkonferenz in Berlin
APA/dpa/Carsten Koall
Putin steht an der Seite von General Haftar und seinen Truppen

Wer das Öl kontrolliert, kontrolliert das Land

In Libyen selbst spitzte sich am Wochenende die Lage zu, als eine mit Haftar verbündete Miliz im Südwesten offenbar nahezu die gesamte Ölproduktion des Landes zum Erliegen brachte. Die Gruppe will mit ihrem Vorgehen wirtschaftliche und sicherheitspolitische Forderungen durchsetzen. Schon am Freitag hatten Truppen, die mit Haftar verbündet sind, die Ölhäfen im Osten geschlossen.

Öl- und Gasvorkommen

Libyen verfügt über 2,8 Prozent der weltweiten Ölreserven. Zudem liegen in Libyen etwa 0,7 Prozent der globalen Reserven an Erdgas.

Im Libyen-Krieg spielen die reichen Öl- und Gasvorkommen des nordafrikanischen Staats eine Schlüsselrolle: Denn wer das Öl kontrolliert, kontrolliert das Land. „Selbstverständlich wollen auch die jeweiligen libyschen Bürgerkriegsparteien die Kontrolle über die Öl- und Gasproduktion beziehungsweise die damit verbundenen Einnahmen erlangen, denn nur dadurch können sie sich langfristig eine gefestigte Machtbasis schaffen“, sagte der deutsch-iranische Ökonom und Politikwissenschaftler Behrooz Abdolvand der Nachrichtenagentur AFP.

Wichtiges Transitland für Flüchtlinge

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, der Unterschied zu früheren – gescheiterten – Libyen-Konferenzen sei: Bisher seien es isolierte Ereignisse gewesen. „Dies ist nun der Beginn eines Prozesses.“ Es komme auf die Umsetzung an. Und da sind die Europäer ganz besonders gefragt. Libyen ist nur durch das Mittelmeer von Europa getrennt. Wichtige Flüchtlingsrouten führen durch den Wüstenstaat. Zudem droht das Land zum Sammelbecken islamistischer Terroristen zu werden, wenn man den Konflikt nicht in den Griff bekommt.

Die Europäer haben also ein besonderes Interesse an der Stabilisierung des Landes. Und deswegen müssten sie nach Ansicht Borrells auch besonders viel dafür tun. „Ich denke, die Europäer sollten sich bei der Umsetzung stark engagieren, mehr als in der Vergangenheit, um das Waffenembargo zu kontrollieren“, sagte der EU-Chefdiplomat.

Borrell hatte bereits vor dem Gipfel die Diskussion über eine EU-Militärmission gestartet. Mit Italien und Griechenland haben sich bereits zwei Länder zur Beteiligung bereiterklärt. In Berlin kam der Vorstoß nicht so gut an. Dort will man erst einmal einen diplomatischen Erfolg. Falls es zu einer EU-Mission kommen sollte, wird Deutschland eine Beteiligung der Bundeswehr aber kaum verweigern können. Am Montag bewerten die EU-Außenminister bei einem Treffen die Ergebnisse des Gipfels.

EU-Kommission begrüßt Einigung

Die EU-Kommission begrüßte die Abschlusserklärung als „wichtigen Schritt nach vorn“. Die Konferenz habe die „einflussreichsten“ regionalen und internationalen Akteure während eines „entscheidenden Moments“ in der Libyen-Krise an einen Tisch gebracht, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von Kommissionschefin Ursula von der Leyen und dem EU-Außenbeauftragten Borrell. Zugleich betonten die beiden EU-Vertreter die Notwendigkeit eines innerlibyschen Friedensprozesses.

Schallenberg: „Erste positive Nachricht“

Für ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg ist die Einigung auf der Libyen-Konferenz die „erste positive Nachricht“ für das Land. „Man kann der deutschen Regierung nur gratulieren zu diesem Durchbruch“, sagte Schallenberg am Montag vor Beginn des EU-Außenrates in Brüssel.

Jetzt gehe es darum, die Rahmenbedingungen für einen politischen Prozess sicherzustellen und das Waffenembargo und den Waffenstillstand zu sichern. Die Entsendung von Truppen im Rahmen einer EU-Militärmission müsse man sich „sehr gut überlegen, auch in Österreich“, sagte Schallenberg unter Verweis auf die Verknüpfung mit der „Migrationsfrage, die für uns sehr wesentlich ist“.