Ombudsfrau Susanne Wiesinger
ORF
Kein „Maulwurf“

Wiesinger weist Kritik zurück

Die Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte im Bildungsressort, Susanne Wiesinger, hat in der ZIB2 am Sonntag Kritik an ihrem neuen Buch „Machtkampf im Ministerium“ sowie an ihrem Vorgehen scharf zurückgewiesen. Das Ministerium bestätigte ORF.at zuvor, dass Wiesinger bereits von ihrer Tätigkeit in der Ombudsstelle freigestellt wurde – auch auf deren eigenen Wunsch, wie betont wurde.

Wiesinger könne die Kritik aus dem Bildungsministerium an ihrem Buch zwar nachvollziehen, allerdings sei der Abschlussbericht, für dessen Erstellung sie als Ombudsfrau angestellt wurde, bereits seit Dezember fertig und im selben Monat auch übergeben worden, so Wiesinger in der ZIB2 am Sonntag. Das Buch stehe auch nicht im Gegensatz zu ihrem Tätigkeitsbericht, es sei vielmehr eine Ergänzung zu diesem, da es auch die Kritik am Bildungssystem selbst thematisiere.

Auf die Frage, warum sie ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann erst diese Woche informiert und nicht seine Reaktion auf den Bericht abgewartet habe, antwortete Wiesinger: „Den Tätigkeitsbericht hatte er ja bereits. Ich wollte meine Tätigkeit als Ombudsfrau ganz erfüllen. Und ich wusste, dass man das verhindert hätte.“ Und dann hätte sie weder den Bericht noch die Arbeit am Buch fertigstellen könnten, argumentierte die Pädagogin.

Bildungspolitik-Kritikerin Wiesinger über Missstände im Schulsystem

Wiesinger berichtet unter anderem über Finanzierungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern und fordert Leistungsdifferenzierungen bei Schülern. Die Neue Mittelschule sei zur „Restschule“ verkommen.

„Feindseliges Konkurrenzverhältnis“

In ihrem am Montag erscheinenden Buch kritisiert die Pädagogin unter anderem ein „feindseliges Konkurrenzverhältnis“ zwischen dem türkisen Bildungsministerium und den Bildungsdirektionen der Länder – vor allem im SPÖ-geführten Wien. Darauf angesprochen, sagte sie am Sonntag: Leidtragende der Parteipolitik seien letztlich die Schulen, etwa wenn es um die Frage der Finanzierung von Maßnahmen wie die Einstellung von Sozialarbeitern gehe. Für sie handle es sich dabei um „unsinnige Diskussionen“, schließlich würde es sich sowohl bei der Finanzierung durch den Bund als auch durch die Länder um Steuergeld handeln.

Wiesinger fordert mehr Schulautonomie

Zudem kritisierte sie, dass die Schulen mit zu vielen „Meldungen, Erlässen und Anordnungen“ konfrontiert seien, die noch dazu, wenn sie vom Bundesministerium kämen, zusätzlich durch die jeweiligen Bildungsdirektionen überarbeitet würden. Das führe dann dazu, dass Schulleiter und Lehrer manchmal verschiedene Informationen bekämen und nicht wüssten, nach welchen sie sich richten sollten.

Auch dass die Deutschförderklassen wie von Faßmann behauptet „ressourcentechnisch gut ausgestattet“ seien, dementierte Wiesinger – schließlich herrsche im ganzen Land ein großer Lehrermangel.

Sie plädierte für mehr Autonomie der jeweiligen Schulen. Lösungen zu finden, etwa wenn es um Konzepte wie die Gesamtschule gehe, könne Wiesinger zufolge „nicht so schwer sein“, dafür müsse man sich nur die Bedürfnisse und Nöte der Lehrer und Lehrerinnen anhören.

Bildungsministerium feuert Ombudsfrau nach Kritik

Wiesinger wirft der Bildungspolitik parteipolitische Vereinnahmung sowie Grabenkämpfe zwischen Ministerium und Bildungsdirektionen vor. Das Bildungsressort weist die Anschuldigungen zurück.

Wiesinger sieht sich nicht als „Maulwurf“

Den Vorwurf, sie sei ein Maulwurf, wies Wiesinger entschieden zurück: „Das empfinde ich nicht so.“ Schließlich habe sie immer mit allen offene Gespräche geführt und „nicht damit hinter dem Berg gehalten“, dass sie die Stelle als unabhängig und weisungsfrei erachte. „Das wusste jeder“, so Wiesinger. Wie es nun für die Ombudsfrau nach ihrer Freistellung weitergehe, werde sie am Montag erfahren.

Die Zusammenarbeit mit Wiesinger wäre im Februar ohnehin ausgelaufen, sagte der Generalsekretär im Bildungsministerium, Martin Netzer, gegenüber ORF.at. Nun habe man die Pädagogin früher freistellen müssen. Bereits am Samstag hatte sich Netzer in einer Aussendung „enttäuscht“ über Wiesingers „Bruch des Vertrauens“ gezeigt.

Das Rechercheportal Addendum – in dessen Buchverlag, der Edition QVV, das Buch erscheinen wird – berichtete am Sonntag, Wiesinger habe von ihrer Freistellung „aus den Medien erfahren“. Im Bildungsministerium stellt man das gegenüber ORF.at in Abrede: Wiesinger sei am Samstag über ihre Freistellung informiert worden, so Netzer. Bei dem Gespräch habe auch Wiesinger deutlich gemacht, ihre Tätigkeit frühzeitig beenden zu wollen, betonte der Generalsekretär.

Netzer: „Lösungsansätze für Regionen und Schulen“

Vor eineinhalb Jahren hatte Wiesinger mit ihrem Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer – Wie der Islam die Schulen verändert“ für Aufsehen gesorgt. Unter der ÖVP-FPÖ-Regierung wurde die Wiener Pädagogin – die sich selbst als „Rote, sogar eine linke Rote“ beschrieb und ehemals Personalvertreterin in der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen war – zur Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte im Bildungsressort ernannt.

Ihren Posten hatte Wiesinger im Februar 2019 angetreten. Das Buch über Integrationsprobleme in den Klassenzimmern sei der Grund für ihr Engagement gewesen, so Netzer: „Ihr Buch war ein Problemaufriss. Die Idee war es, mit ihr Lösungsansätze für Regionen und Schulstandorte zu erarbeiten.“ Im vergangenen Jahr war Wiesinger deshalb in Schulen in ganz Österreich auf „Zuhörtour“.

In ihrer Zeit als Leiterin der Ombudsstelle hätte Wiesinger rund 160 Gesprächstermine mit Hunderten Lehrerinnen und Lehrern absolviert, berichtete Addendum, in dessen Buchverlag Edition QVV 2018 bereits „Kulturkampf im Klassenzimmer“ erschienen ist. Hinter dem Verlag steht Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz.

„Politische Vereinnahmung des Lehrkörpers“

In dem Buch habe Wiesinger ihre „Erfahrungen zu Papier gebracht – ein erschütterndes Fazit, das nun viel Staub aufwirbelt“, schrieb die „Kronen Zeitung“ am Samstagabend über den Inhalt. Laut der Zeitung klagt Wiesinger darin über die „politische Vereinnahmung des Lehrkörpers“ und „Message Control durch Beamte“. Zudem bekrittle sie das „Ignorieren brennender Probleme“ sowie „Versuche, sie, Wiesinger, zu steuern“.

Einzelne Buchauszüge „lesen sich stellenweise wie eine Anklage“, berichtete auch die „Presse am Sonntag“, der nach eigenen Angaben ebenfalls Passagen des Buches vorlagen. Von Anfang an habe sie einen „Berater des Ministeriums zur Seite gestellt“ bekommen, schreibt Wiesinger laut der Zeitung in dem Buch – allerdings nicht zur Unterstützung ihrer Arbeit, sondern um „mich zu kontrollieren“.

Ex-Schüssel-Sprecherin als Beraterin

Im Ministerium weist man die Kritik Wiesingers, man habe sie über einen Berater kontrollieren wollen, zurück. Wiesinger habe zu Beginn ihrer Tätigkeit deutlich gemacht, nicht mit dem Kabinett des damaligen ÖVP-Bildungsministers Faßmann zusammenarbeiten zu wollen. Daher habe man ihr eine externe Beraterin zur Verfügung gestellt, so Netzer.

Heinz Faßmann und Susanne Wiesinger
APA/Helmut Fohringer
Im Dezember 2018 wurde Wiesinger von Bildungsminister Faßmann als Ombudsfrau präsentiert

Es handelte sich um Heidi Glück, die frühere Pressesprecherin von Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP). Glück habe lange im Bildungsministerium gearbeitet und kenne die Rechtslage, so der Generalsekretär. Einen täglichen Kontakt zwischen Glück und Wiesinger habe es nicht gegeben. Auch ihr Büro habe die Pädagogin nicht im Bildungsministerium gehabt.

Generell sei die Ombudsstelle „weisungsfrei“ und arbeite „unabhängig vom Kabinett des Ministers“, sagte Netzer. Glück übte am Sonntag in der „Kronen Zeitung“ scharfe Kritik an Wiesinger: Das Buch sei „ein klarer Vertrauensbruch“. Und: „Sie hat ihre Rolle offenbar mehr als Maulwurf im Ministerium denn als Ombudsfrau angelegt. Das ist unmoralisch.“

Keine rechtlichen Schritte des Ministeriums

Die im Rahmen von Wiesingers „Zuhörtour“ zusammengetragenen Erkenntnisse hätten eigentlich in einen Bericht des Ministeriums einfließen sollen, dessen Präsentation Schlusspunkt von Wiesingers Tätigkeit als Ombudsfrau gewesen wäre. Dazu wird es nun nicht kommen. Einblick in das Buch beziehungsweise in die von Wiesinger gesammelten Daten habe man nicht gehabt, so Netzer. Das Einzige, was dem Ministerium vorliege, sei ein Zwischenbericht Wiesingers, den die Pädagogin Übergangsministerin Iris Rauskala präsentiert hatte.

Rechtliche Schritte gegen Wiesinger wegen Nichterfüllung ihres Auftrags werde man keine einleiten, sagte Netzer gegenüber ORF.at. Ob es ein Disziplinarverfahren – etwa wegen Bruchs des Amtsgeheimnisses – geben werde, sei Sache der zuständigen Stelle in der Wiener Bildungsdirektion. Wiesinger ist Landeslehrerin in Wien und sei vom Ministerium nur „ausgeliehen“ worden. Das Ministerium verwies darauf, dass Wiesinger „wiederholt“ erklärt habe, „nach ihrer Funktion als Ombudsfrau wieder in die Schulpraxis zurückkehren zu wollen“. Die Entscheidung darüber müsse die Wiener Bildungsdirektion treffen.