Demonstranten in Davos
AP/Keystone/Walter Bieri
Globale Ungleichheit

Studien sorgen für Zündstoff in Davos

Mehrere Erhebungen, die im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums (WEF) erschienen sind, sollen in Davos für Zündstoff sorgen. Während der Internationale Währungsfonds (IWF) eine Erholung der Wirtschaft vorhersagt, präsentierte die NGO Oxfam alarmierende Zahlen zur Schere zwischen Arm und Reich: Die wohlhabendsten 2.000 Menschen kontrollierten 2019 mehr Geld als die ärmsten 4,6 Milliarden. Eine Umfrage zeigt zudem, dass das Vertrauen in den Kapitalismus schwindet.

Wenn im schweizerischen Luftkurort ab Dienstag wieder Tausende Entscheidungsträgerinnen und -träger aus der ganzen Welt zusammenkommen, ist Potenzial für globale Fortschritte vorhanden. US-Präsident Donald Trump wird dort ebenso erwartet wie Klimaaktivistin Greta Thunberg und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Kurz vor Beginn des WEF werden daher etliche Erhebungen veröffentlicht, um die Notwendigkeit für Reformen zu betonen. Den Rahmen bildet der „World Economic Outlook“, den der IWF vorab gibt.

Laut diesem IWF-Ausblick, der am Montagnachmittag in Davos präsentiert wurde, ist die Ausgangslage für die Weltwirtschaft nicht die schlechteste. Sie soll sich heuer und im nächsten Jahr laut IWF-Einschätzung erholen. In der Industrie und in Handelsstreitigkeiten macht der IWF eine allmähliche Stabilisierung aus. Außerdem stützt die lockere Geldpolitik der Zentralbanken den Konsum und sichert vielen Firmen sehr günstige Finanzierungsbedingungen.

Lösungen und Risiken

Der Fonds rechnet mit einem globalen Wachstum von 3,3 und 3,4 Prozent in den Jahren 2020 und 2021. 2018 waren es noch 3,6 Prozent, 2019 dagegen dürfte es lediglich zu 2,9 Prozent gereicht haben. In den USA wird sich das Wachstum laut Prognose abschwächen, in der Euro-Zone leicht zulegen. Der IWF ist damit optimistischer als andere Experten.

IWF-Ökonomin Gita Gopinath verwies am Montag auf das erste Teilabkommen im Handelsstreit zwischen den USA und China. Dadurch werde sich der negative Effekt aller Handelskonflikte auf die Weltwirtschaft verringern. Außerdem sei die Wahrscheinlichkeit für einen geordneten EU-Ausstieg der Briten zuletzt gestiegen, ergänzte Gopinath.

TV-Hinweis

Die Reden von US-Präsident Donald Trump, Greta Thunberg und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) werden in ORF III und im Livestream in tvthek.ORF.at übertragen.

  • Dienstag, 11.25 Uhr: Trump-Rede
  • Dienstag, 12.55 Uhr: Thunberg-Rede
  • Freitag, 11.25 Uhr: Kurz-Rede

Insgesamt macht der IWF allerdings weiterhin Risiken aus, etwa eine neuerliche Eskalation im Handelsstreit. Hinzu kämen geopolitische Spannungen, etwa zwischen den USA und dem Iran. Auch Proteste gegen die Regierung in vielen Ländern könnten zulasten der Wirtschaft gehen.

Ungleichheit nahm weiter zu

Die Demonstrationen in vielen Ländern waren auch Thema bei der Präsentation des jährlichen Ungleichheitsberichts der NGO Oxfam. Auf der ganzen Welt gingen die Menschen auf die Straße, um gegen Ungleichheit zu demonstrieren, so der Chef von Oxfam Indien, Amitabh Behar, gegenüber Reuters. Die Untersuchung der Hilfsorganisation zeigte alarmierende Daten zur Schere zwischen Arm und Reich. Diese gehe nicht nur weiterhin stark auseinander, die Vermögenskonzentration an der Spitze habe im vergangenen Jahr sogar noch zugenommen.

Oxfam beruft sich dabei unter anderem auf die Finanznachrichtenagentur Bloomberg, deren Angaben zufolge das Vermögen der 500 reichsten Menschen der Welt im Vorjahr um ein Viertel gestiegen ist. Die NGO nutzt als Grundlage auch Daten der Schweizer Großbank Credit Suisse sowie Vermögensschätzungen des US-Magazins „Forbes“.

Frauen als „versteckter Wirtschaftsmotor“

Vor allem zwischen Frauen und Männern ist der Wohlstand Oxfam zufolge ungleich verteilt. Männer besäßen 50 Prozent mehr Vermögen als Frauen. Ein Grund für die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist der diesjährigen Studie „Time to Care“ zufolge von Frauen geleistete Arbeit zu Hause – etwa Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen und Sorge für den Haushalt.

Hilfsorganisation Oxfam prangert Ungleichheit an

In vielen Städten der Welt protestieren die Menschen. Amitabh Behar von Oxfam sieht die Ursachen in der großen Ungleichheit

Frauen und Mädchen leisteten den Großteil unbezahlter Haus-, Pflege- und Fürsorgearbeit. Insgesamt handle es sich weltweit pro Tag um mehr als zwölf Milliarden Stunden. Das entspreche einem Gegenwert von mehr als elf Billionen US-Dollar pro Jahr, wenn diese mit dem Mindestlohn bezahlt würden. Diese un- oder unterbezahlte Arbeit trägt zur globalen Wirtschaft jährlich dreimal mehr bei als die Technologieindustrie, hieß es. „Es ist uns wichtig zu betonen, dass der versteckte Wirtschaftsmotor wirklich die unbezahlte Fürsorgearbeit der Frauen ist. Und das muss sich ändern“, sagte Behar.

Auch in reicheren Ländern verschärft laut Oxfam die vornehmlich von Frauen geleistete Fürsorgearbeit die Ungleichheiten im Wohlstand. Solange es nicht ausreichend öffentliche Angebote etwa für Kinderbetreuung gebe, könnten in Familien mit hohem Einkommen beide Eltern viel früher wieder arbeiten gehen als in Familien mit niedrigerem Einkommen.

Zweifel am Kapitalismus

Eine internationale Umfrage der US-Kommunikationsagentur Edelman lieferte am Montag einen weiteren kritischen Blick auf die Lage der Weltwirtschaft. Laut der Erhebung, die 34.000 Personen in 28 Ländern umfasste, trifft der Kapitalismus auf starke Skepsis. In seiner derzeitigen Form richtet er nach Auffassung der Mehrheit „mehr Schaden als Gutes in der Welt“ an – das sagten 56 Prozent der Befragten.

Das „Edelman Trust Barometer“ wird seit dem Jahr 2000 ermittelt. Es misst das Vertrauen von Menschen in zentrale Institutionen. Über die Jahre stellten die Autoren eine wachsende Wahrnehmung sozialer Ungleichheit fest. „Die Menschen bezweifeln, dass die Welt, in der wir heute leben, optimal für eine gute Zukunft ist“, so Studienleiter David Bersoff. Zu den genannten Sorgen zählen das Tempo des technischen Fortschritts, Arbeitsplatzunsicherheit, Misstrauen in die Medien und das Gefühl, dass die nationalen Regierungen den aktuellen Herausforderungen nicht gewachsen seien.

Am wenigsten Vertrauen wird dem Kapitalismus in Thailand und Indien entgegengebracht. Auch in Frankreich ist die Skepsis hoch. In Australien, Kanada, den USA, Südkorea, Hongkong und Japan widersprach eine Mehrheit der Negativbeurteilung.

Österreich gut bei sozialen Aufstiegschancen

Eine gute Note erhielt Österreich in einer anderen neuen Studie: Das Land liegt in einem Ranking von 82 Ländern in puncto soziale Aufstiegsmöglichkeiten gleichauf mit Belgien an achter Stelle, wie eine WEF-Datenzusammenstellung ergab. Den ersten Platz belegt Dänemark gefolgt von Norwegen, Finnland, Schweden und Island. Außerdem vor Österreich liegen die Niederlande und die Schweiz. Österreich liegt zudem besonders gut bei der sozialen Absicherung. In diesem spezifischen Punkt erreichte es weltweit sogar Platz drei.

WEF seit 1971

Das Wirtschaftsforum in Davos findet von Dienstag bis Freitag statt. Seit 1971 treffen sich dort jährlich Staatschefinnen und -chefs, Wirtschaftstreibende, Forschende sowie gesellschaftliche Akteure und Akteurinnen zum Austausch über global relevante Themen.

Für die Rangliste werteten die Studienautoren Daten aus und erstellten daraus einen Gesamtindex der gesellschaftlichen Mobilität aus den Bereichen Gesundheit, Bildung, Arbeit, Technologie und soziale Absicherung/öffentliche Einrichtungen.

WEF für globale Anstrengung

„Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen von Ungleichheit sind tiefgreifend und weitreichend“, sagte Klaus Schwab, der Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos. Er nannte unter anderem ein wachsendes Gefühl der Ungerechtigkeit und sinkendes Vertrauen in Institutionen.

„Konzerne und Regierungen müssen darauf mit gemeinsamen Anstrengungen antworten, um neue Wege für die sozioökonomische Mobilität zu finden und sicherzustellen, dass jeder faire Erfolgschancen hat“, mahnte Schwab. Laut WEF braucht es eine globale Anstrengung, um der Ungleichheiten Herr zu werden. Ab Dienstag wollen Schwab und rund 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeiten dazu ausloten.