Zerschnittene Hochzeitstorte
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Ehegesetz

Scheidung ohne Schuld

Scheidungen finden in Österreich hauptsächlich einvernehmlich statt. Die beiden Parteien sind sich einig, dass ihre Ehe oder die eingetragene Partnerschaft zerrüttet ist. Jährlich gibt es aber Hunderte Fälle, die mit einem Schuldausspruch enden – daran gekoppelt sind auch Unterhaltspflichten. Doch dem Verschuldensprinzip könnte schon bald das Aus drohen.

Die Regierung will das Eherecht „an die heutigen gesellschaftlichen Realitäten“ anpassen. Das Verschuldensprinzip bei Scheidungen soll etwa überprüft und „gegebenenfalls neu erfasst“ werden. Details dazu gibt es aber nicht. Auf ORF.at-Anfrage teilte das Justizministerium mit, dass dieser Punkt noch ausgearbeitet werden muss. Beobachter und Beobachterinnen gehen davon aus, dass die Schuldfrage abgeschafft wird. Denn das wird seit Jahren quer durch alle Parteien gefordert.

In Deutschland wurde die Scheidung wegen Verschuldens vor mehr als 40 Jahren aus dem Gesetz gestrichen. Auch in Österreich wird seitdem über das Ende des Verschuldensprinzips diskutiert. Bei der Reform des Scheidungsrechts 1978 wurde der entscheidende Paragraf 49 des Ehegesetzes jedoch nicht angefasst und 1999 nur um das zusätzliche Erfordernis der ehezerrüttenden Wirkung ergänzt. Auch der an die Schuldfrage gekoppelte Unterhaltsanspruch blieb bestehen. So ist es heute noch möglich, dass der oder die Schuldige für den Unterhalt des oder der Schuldlosen aufkommt – falls notwendig.

Eine Bindung bis zur Scheidung

Wer sich scheiden lassen möchte, muss das hierzulande laut Gesetz auch begründen können. Das war nicht immer so. Bis 1938 prägte die Kirche das österreichische Eherecht: Für Katholiken gab es keine Eheauflösung dem Bande nach (Scheidung). Erst mit dem Ehegesetz des NS-Regimes war es auch dieser Bevölkerungsgruppe möglich, sich wegen eines bestimmten Grundes scheiden zu lassen. Zwar wurde das Ehegesetz seit 1945 mehrfach novelliert – rassistische Bestimmungen des NS-Regimes wurden aufgehoben –, das Grundkonzept blieb bis heute allerdings dasselbe.

„Die Ehe ist ein Vertrag, der nicht einseitig aufgelöst werden kann“, so Constanze Fischer-Czermak, Vorständin des Instituts für Zivilrecht an der Uni Wien. Wesentlich für eine Scheidung sei, dass die Ehe tief zerrüttet ist und eine Besserung nicht erwartet werden kann. Für eine Scheidung im Einvernehmen müsse das Paar ein halbes Jahr getrennt sein und die Zerrüttung zugestehen. „Besteht kein Einvernehmen, kann man bei unheilbarer Zerrüttung nach dreijähriger Aufhebung der Hausgemeinschaft die Scheidung begehren, oder wenn der Ehepartner oder die Ehepartnerin eine schwere Eheverfehlung begangen hat“, sagt Fischer-Czermak.

Grafik zu Scheidungen in Österreich
Grafik: ORF.at; Quelle: Statistik Austria

Letzteres geht meist mit dem Verschuldensprinzip Hand in Hand. Im Gesetz werden als schwere Eheverfehlungen Ehebruch und körperliche Gewalt exemplarisch genannt. Im Gegensatz zur einvernehmlichen Scheidung ist die Zahl der Scheidungen wegen Verschuldens gering. Von 16.304 Auflösungen im Jahr 2018 erfolgten 1.766 mit Schuldausspruch, wobei deutlich mehr Männer als Frauen an der Zerrüttung schuldig waren.

Verschuldensprinzip nicht nur „schwarz-weiß“

Kritiker und Kritikerinnen fordern schon seit Jahren die Abschaffung des Verschuldensprinzips. Aus ihrer Sicht ist die Schuldfrage bei einer Scheidung nicht zeitgemäß. Da an die Schuld eine Unterhaltspflicht geknüpft ist, komme es zu langen Scheidungsprozessen, Rosenkriegen und gegenseitigen Vorwürfen; es geht ums Geld, so der Tenor. Am Ende muss nämlich die „allein oder überwiegend schuldige“ Person dem Ex-Partner bzw. der Ex-Partnerin einen „angemessenen“ Unterhalt gewähren, wenn dessen bzw. deren Einkünfte nicht ausreichen.

Eingetragene Partnerschaft

Das Verschuldens- und Zerrüttungsprinzip gilt auch für die Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft. Die Auflösung ist im Eingetragene-Partnerschaft-Gesetz verankert.

Fischer-Czermak warnt allerdings davor, die Verschuldensscheidung nur „schwarz-weiß“ zu sehen. „Das Erfordernis des Verschuldens könnte zwar aus den Scheidungstatbeständen eliminiert werden, dann wären aber noch weitere Details zu klären“, sagt die Expertin. So müsse man sich etwa die Fragen stellen, welche sonstigen Scheidungstatbestände es geben soll und nach welchen Kriterien der Unterhalt künftig geregelt wird. Wenn das Verschuldensprinzip wegfällt, könnte man auch über eine kürzere Trennungsfrist nachdenken, sagt sie. Derzeit liegt die Frist bei drei Jahren, längstens sogar bei sechs.

Regelung für das Leben nach der Ehe notwendig

In der Vergangenheit haben sich Familienrichter und -richterinnen für die Abschaffung des Verschuldensprinzip ausgesprochen. Zu lange und zu intim seien die Verhandlungen. Gerade in langjährigen Ehen sei es schwierig herauszufinden, weshalb die Ehe gescheitert und wer für das Ende verantwortlich ist, sagt Doris Täubel-Weinrich, Vorsitzende der Familienrichter, im Gespräch mit ORF.at. Die Debatte über das Aus der Schuldfrage begrüßt sie, dass der Unterhalt in Fällen, wo er nötig sein wird, danach geregelt werden muss, dürfe in der Reform nicht fehlen.

Ähnlich argumentieren Scheidungsanwälte und -anwältinnen. Es brauche eine Vereinbarung nach der Ehe. Ein Aus der Schuldfrage sieht man hingegen etwas anders. So etwa der Scheidungsanwalt Norbert Marschall, der in einem Beitrag zur Rechtsgeschichte Österreichs für die Beibehaltung eintrat. Eine generelle Abschaffung würde besonders Männer, die statistisch häufiger für das Scheitern der Beziehung verantwortlich sind, bevorteilen. Frauen würde die Möglichkeit einer gerichtlichen Feststellung über das Verschulden genommen werden.

„Broda’sche Scheidungsautomatik“

Die unterschiedlichen Ansichten spiegelten sich in den vergangenen Jahrzehnten auch im Nationalrat wider – besonders in den 70er Jahren. Im Juni 1978 wurde die Scheidungsreform mit den Stimmen von SPÖ und FPÖ beschlossen. Konkret ging es darum, dass einem Scheidungsbegehren in jedem Fall stattzugeben sei, wenn die häusliche Gemeinschaft seit sechs Jahren aufgelöst ist. Die ÖVP hat sich dagegen ausgesprochen, ihr damaliger Justizsprecher Walter Hauser erklärte auch, warum: In der Ehe gebe es die Verpflichtung, sich um eine „innere geistig-seelische Harmonie zu bemühen“.

Man habe in Österreich „eine der höchsten Scheidungsraten in Europa. Jede vierte Ehe wird bei uns bereits geschieden“, sagte Hauser kurz vor der Abstimmung über die „Broda’sche Scheidungsautomatik“ (SPÖ-Justizminister Christian Broda, Anm.). Die ÖVP beeinspruchte zwar das Gesetz noch im Bundesrat, aber mit einem Beharrungsbeschluss am 30. Juni wurde die Scheidungsreform bestätigt. Am 1. Juli 1978 trat sie in Kraft.

Mehr als zwanzig Jahre später einigten sich SPÖ und ÖVP auf eine Scheidungsreform, diesmal stimmte die FPÖ dagegen. Aus der damaligen Debatte im Nationalrat geht klar hervor, dass die Sozialdemokraten – wie die Grünen und das Liberale Forum – für die Abschaffung des Verschuldensprinzips waren, sich aber nicht gegen die ÖVP, die sich deutlich für das Fortbestehen aussprach, durchsetzen konnten.

Vorbild Deutschland?

Damals wie heute wird bei möglichen Scheidungsreformen stets Deutschland ins Treffen geführt. Dort orientiert man sich beim nachehelichen Unterhalt am Grundsatz der Eigenverantwortung. „Nach der Scheidung obliegt es jedem Ehegatten, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen“, heißt es im Paragraf 1569 des Bürgerlichen Gesetzbuches. „Nur wenn es nicht möglich ist, sich nach der Scheidung selbst zu unterhalten, gibt es Unterhalt. Aber auch das deutsche Recht kennt mehrere Ausnahmetatbestände, die einen Unterhaltsanspruch begründen, weil eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann“, sagt Fischer-Czermak.

Eine österreichische Reform könnte zwar ähnlich ausgerichtet sein. Die Expertin erinnert aber daran, dass durch die Scheidungsrechtsreform 1999 das Verschuldensprinzip in den Hintergrund gerückt wurde. Auch dass den Geschiedenen ein Unterhaltsanspruch unabhängig von der Verschuldensfrage zustehen kann, ist seither gesetzlich verankert. Konkret geht es um jene Fälle, in denen ein Ehegatte – meist Frauen – den Job aufgab, um sich um die Kinder zu kümmern, aber nach der Ehe wegen mangelnder Berufserfahrung keinen neuen Job mehr findet.

Ehe vs. eingetragene Partnerschaft

Wichtig sei, so die Zivilrechtsprofessorin, dass bei einer Reform des Ehegesetzes das Sozialversicherungsrecht nicht zu kurz komme. Nach einer Scheidung würden oft jene Personen ohne oder mit geringer Pension dastehen, die sich um die Kindererziehung gekümmert haben. Das gehöre schon lange abgefedert, sagt Fischer-Czermak. Laut Regierungsprogramm steht ein verpflichtendes Pensionssplitting für Eltern im Raum sowie das bisher bestehende freiwillige Modell. Aber auch hier heißt es noch warten, bis konkrete Vorhaben vorliegen.

Die Regierung beschäftigt ohnehin noch ein anderes Thema, das in den Bereich des Ehegesetzes fällt: Unterschiede zwischen dem Institut der Ehe und der eingetragenen Partnerschaft sollen geschärft werden. In der Vergangenheit waren die Modelle an die sexuelle Orientierung gekoppelt. Seit einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs stehen beide Varianten sowohl homosexuellen als auch heterosexuellen Paaren seit Jänner 2019 offen. Das führte auch zu einer Debatte über die Notwendigkeit von Ehe und eingetragener Partnerschaft.

„Derzeit besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen der Ehe und der eingetragenen Partnerschaft, ein Nebeneinander ist nicht sinnvoll“, so Fischer-Czermak. Wenn die Ehe nach einer Reform moderner wird, müsste auch geprüft werden, ob es noch einen Bedarf an einer eingetragenen Partnerschaft gibt. Bleibt das Scheidungsrecht aber auf aktuellem Stand und die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft wird liberalisiert, wäre diese eine „Konkurrenz zur Ehe“, sagt sie. „Es wäre besser, wenn zuerst das Institut Ehe und das Scheidungsrecht reformiert sowie die nachehelichen Folgen geklärt werden.“