Bei der Mozartwoche ist seit dem Vorjahr alles neu. Rollando Villazon als künstlerischer Leiter und Johannes Honsig-Erlenburg als Präsident der Stiftung Mozarteum ist es ernst, der Stadt neben den Festspielen im Sommer, zu Pfingsten und Ostern noch ein viertes E-Musik-Highlight zu verpassen.
Nach dem auf Effekt programmierten Einstand mit La Fura dels Baus im Vorjahr ist heuer mit der spektakulären Präsentation von Mozarts wohl berühmtester Bearbeitung alter Musik, Händels 1742 uraufgeführtem „Messias“ (KV 572), so etwas wie eine Großdarstellung von Musikgeschichte gelungen. Denn man bekam natürlich die beinahe erdrückende Last des Wilson’schen Gesamtwerkes – wenn man sich Wilson aus dem Katalog der Starregisseure bestellt. Dabei ist eine szenische Umsetzung des „Messias“ schwer, steht doch das Wort Gottes im Mittelpunkt, ohne dass darum ein stringentes Narrativ gestrickt wäre. Musikalisch führt der „Messias“ aus dem Dunkel ins Licht – und das nahm Wilson gern als Auftrag für ein Hell-dunkel-Spektakel.
Sternstunde für die Musik
Brilliert hat bei diesem „Messias“ am Donnerstagabend im Haus für Mozart eindeutig die Musik: ein kolossaler „Messias“ unter Marc Minkowksi, den Musiciens du Louvre, vier großen Solistinnen und Solisten (Elena Tsallagova, Wiebke Lehmkul, Richard Croft, Jose Coca Loza) und dem Philharmonia Chor Wien. Mit großartigen Balletteinlagen von Alexis Fousekis. Und es wurde die Begehung von Musikgeschichte, weil die Bebilderung Wilsons der Aufführung vielleicht weniger half wie im Vorfeld versprochen, sie aber auch – bis auf einige entglittene Bilder (der Blinde in Gestalt des geköpften Mannes vor rotem Hummer) – nicht behinderte.
„Messias“ mit Astronauten
Bei Robert Wilson hat auch ein tanzender Astronaut in seinem Zugang zu Händel via Mozart Platz.
Weswegen man das Fazit wagen darf: hörenswert – und sehenswert auch allemal, auch wenn der große Wilson seinen Zenit gerade in dem Moment überschritten hat, als er das letzte Mal in Salzburg „Pelias und Melisande“ inszenierte – und das war Ende der 1990er Jahre.
Punkten mit Musikgeschichte
Die musikhistorische Ausrichtung beschreibt Honsig-Erlenburg auch als bewusste Entscheidung der Mozartwoche, die über die Stiftung Mozarteum breit aufgestellt sei und dabei ein neugieriges Publikum mit ungeahnten Seiten von Mozarts Schaffen erreichen will. „Insofern“, sagt Honsig-Erlenburg im Gespräch mit ORF.at, „sind wir da in guter Ergänzung zu den Festspielen positioniert und können mit dem ‚Messias‘ in diesem Jahr auch eine stimmige Kooperation vorlegen.“ Die Starrampe dient offenkundig dazu, die Strahlkraft des Festivals zu erhöhen.
Marc Minkowski und die Musiciens du Louvre, Stammgäste auch bei den Salzburger Festspielen und einstige Mentoren der Mozartwoche, tragen jedenfalls dazu bei, die Patina des Wunderkindmythos Mozart abzutragen und mit historischen Tatsachen zu bereichern. Vieles in der Umgestaltung des „Messias“ ist einfach auch den Umständen der Instrumentenausstattung im Wien Ende des 18. Jahrhunderts geschuldet.
Hinweise
„Der Messias“ ist bei der Salzburger Mozartwoche noch zweimal zu sehen, ebenso zum Auftakt der Salzburger Festspiele im Juli.
Die ORF-Klassikplattform fidelio zeigt die Übertragung des „Messias“ am 26. Jänner um 20.00 Uhr. 3sat präsentiert eine Aufzeichnung am 11. April um 20.15 Uhr.
Die sehenswerten Zeichnungen Robert Wilsons zu dieser Produktion sind in der Salzburger Galerie Thaddeus Ropac bis Ende März zu sehen.
Die Sonntage bei Van Swieten
Mozarts Begegnung mit Händels Partituren verdankt sich bekanntlich den Sonntagen, an denen der aus Salzburg geflohene Musikus im Hause des kaiserlichen Leibarztes Gottfried van Swieten verkehrte. Van Swieten, dem begeistertern Hobbykomponisten, war die Verbreitung der Oratorienkunst ein zentrales Anliegen.
Und Mozart war einer der Auserwählten, die Van Swietens Händel-Abschriften auch mit heimnehmen durften. Wie eine Emanzipation von den Arbeiten des einstigen Salzburger Hof- und Domkapellmeisters Johann Ernst Eberlin habe die Bekanntschaft mit Bach und Händel gewirkt, so der Tenor der Mozartforschung. Eberlins Fugen, hielt Mozart in einem Brief an seine Schwester Nannerl 1782 fest, seien „lauter in die Länge gezogene Versettel“.
Mozart setzte in seiner Händel-Bearbeitung vor allem auf eine Überführung der Wesensarten Händels in die musikalische Umsetzungswelt seiner eigenen Zeit. Da musste Mozart etwa auf die breiten Trompetensätze Händels verzichten, einfach weil es im Wien der späten 1780er Jahre nicht ausreichend Bläser gab. Mozart straffte Händel, verkürzte das gesamte Oratorium, achtete aber auf eine ausgeglichene Architektur zwischen Arien und Chorpassagen. Gelungen ist Mozart in jedem Fall ein deutlich akzentuierter, mitunter verspielter „Messias“, etwa wenn der Chor „All we like sheep“ bei Mozart durch den Einsatz von Achtelnoten, wo Händel in Viertel notiert, zu einem Trappeln der Schafe wird – und dem Text „Wie Schafe gehn“ leichtfüßig bis humoresk die Ehre erweist.
In gewisser Weise müsste man sogar der scheinbar sinnentleerten Textzeile „Rock me Amadeus“ von Falco im Fall dieser Händel-Bearbeitung recht geben, weil sich Mozart den Händel im Zugriff eines Arrangeurs von Populärmusik vorknöpft und Akzente setzt: nie billig, immer mit einem feinen Händchen für all jene Effekte, die er noch für seine großen Opernarbeiten brauchen wird. Dynamisierung und Herausarbeiten von Gegensätzen, Entwicklungen, das macht diesen „Messias“ so erfolgreich. Nicht von ungefähr wurde bis Mitte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich Mozarts „Messias“ aufgeführt, wenn man das Händel-Oratorium hören wollte.
Die Mozartwoche hat sich mit diesem „Messias“ jedenfalls eine Aufführung geschenkt, die deutlich mehr und reichhaltiger ist als ein „Versettel“, um es (noch) einmal mit Mozart zu sagen.