Der israelische Rabbi Meir Lau spricht mit Ministerpräsident Benjamin Netanyahu and dem russischen Präsidenten Vladimir Putin.
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Auschwitz-Befreiung

Gedenkfeier in Israel im Bann der Weltpolitik

Bei der Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz haben am Donnerstag in Jerusalem mehr als 40 Staats- und Regierungschefs ein Zeichen zum Kampf gegen die weltweit erstarkende Feindseligkeit gegenüber Juden gesetzt. Frank-Walter Steinmeier sprach als erster deutscher Bundespräsident in Israels nationaler Gedenkstätte Jad Vaschem. In die Appelle und Warnungen der Redner mischten sich auch Aussagen zur internationalen Politik.

Steinmeier richtete in seiner Ansprache eine Mahnung an die Deutschen: Ihnen komme die besondere Verpflichtung zu, gegen den Antisemitismus einzutreten. „Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt“, sagte Steinmeier. „Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten.“

Mit der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland ging Steinmeier kritisch ins Gericht: „Ich wünschte, sagen zu können: Unser Erinnern hat uns gegen das Böse immun gemacht.“ Die Lage lasse das aber nicht zu: „Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit.“

Deutscher Präsident Frank-Walter Steinmeier
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Steinmeier bei seiner Rede

Netanjahu warnt vor dem Iran

Für Israel ist das Welt-Holocaust-Forum das größte Zusammentreffen von Staats- und Regierungschefs seit der Staatsgründung. Das Land misst ihm historische Bedeutung zu und wertet es als machtvolles Signal gegen den Antisemitismus. Zum Schutz der Großveranstaltung mobilisierte Israel 10.000 Polizisten – ein Drittel seines landesweiten Polizeipersonals.

Israels Führung betonte den Selbstbehauptungswillen ihres Landes: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief zum Widerstand gegen den Iran auf, den er als „antisemitischsten Staat der Welt“ bezeichnete. „Wir werden keinen weiteren Holocaust zulassen“, sagte er. Die Lektion des Holocaust sei: „Wir nehmen die Bedrohungen derjenigen, die uns vernichten wollen, ernst.“

Unterstützung von Pence

Unterstützung bekam Netanjahu von US-Vizepräsident Mike Pence: Die Welt müsse sich „stark“ zeigen gegenüber dem Iran, der Israel „von der Weltkarte verschwinden lassen“ wolle und für den „das Leugnen des Holocaust Staatspolitik ist“. Den israelischen Gastgebern versicherte Pence, dass die Freundschaft der USA „in die Ewigkeit“ reichen werde.

Pence betonte, das Holocaust-Gedenken sei „die ständige Verpflichtung aller Generationen“. Man dürfe „das schlimmste Böse, was Menschen anderen Menschen angetan haben“, nie vergessen. Er würdigte die Haltung der Holocaust-Überlebenden als Beispiel für die ganze Menschheit. Pence sagte, Repräsentanten von 50 Ländern hätten sich in Jerusalem versammelt, „um mit einer Stimme zu sagen: Nie wieder!“.

Holocaust-Gedenken in Israel

In Jerusalem wurde in einer großen Gedenkfeier an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor 75 Jahren erinnert.

Streit über polnische Absage

Überschattet wurde die Veranstaltung von der Absage von Polens Präsident Andrzej Duda. Er reiste aus Protest nicht an, weil er anders als Russlands Präsident Wladimir Putin nicht als Redner vorgesehen war. Zwischen Polen und Russland gibt es derzeit diplomatische Spannungen wegen Putins Behauptung, Polen trage eine Mitschuld am Beginn des Zweiten Weltkrieges. Polen wirft ihm vor, die Geschichte im Widerspruch zu historischen Fakten umzudeuten.

Polen argumentiert, dass bei der Veranstaltung mit den Vertretern Deutschlands und Russlands ausgerechnet jene Länder eine Stimme haben, die Polen seinerzeit überfallen haben. Auch Vertreter Frankreichs und Großbritanniens, die Polen im September 1939 nicht geholfen haben, dürften sprechen, während Polens Präsident nicht zu Wort kommen darf.

Putin will Gipfel der UNO-Sicherheitsratsmitglieder

Putin ging in seiner Rede in Jerusalem nur nebenbei auf den Streit über die Geschichte ein. „Heute wird das Thema politisiert, das ist unmöglich“, sagte er. Die Nazis hätten in den besetzten Ländern einheimische Kollaborateure gehabt – „Helfer der Nazis, die oftmals grausamer waren als die Nazis“. Direkte Vorwürfe gegen Polen erhob Putin aber nicht.

Russlands Präsident Vladimir Putin
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Auch Putin nützte seine Rede für aktuelle politische Ansagen

Mit Blick auf die aktuellen Krisen plädierte Putin für ein Gipfeltreffen der Staatschefs der ständigen UNO-Sicherheitsratsmitglieder. Diese fünf Staaten – Russland, die USA, Frankreich, Großbritannien und China – hätten eine „besondere Verantwortung für die Rettung der Zivilisation“ und spielten „eine große Rolle bei der Suche nach gemeinsamen Antworten auf gegenwärtige Herausforderungen“.

Rivlin: „Sind keine Opfer mehr“

Israels Präsident Reuven Rivlin rief dazu auf, politischen Streit über die Bewertung der Geschichte zu vermeiden: „Die historische Forschung sollte den Historikern überlassen werden.“ Er dankte den Staatsgästen für die Solidarität mit dem jüdischen Volk. „Antisemitismus hört nicht bei den Juden auf“, sagte Rivlin: „Antisemitismus und Rassismus sind bösartige Krankheiten, die Gesellschaften von innen zerstören.“

Er forderte ein weltweites Eintreten gegen den Antisemitismus. „Der Antisemitismus hat sich nicht geändert“, sagte er. „Aber wir haben uns geändert. Wir sind keine Opfer mehr.“ Man werde sich und Juden in aller Welt verteidigen.

„Wir haben kein Recht zu vergessen“

Die Spitzen der EU – Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Parlamentspräsident David Sassoli und Ratspräsident Charles Michel – riefen zum gemeinsamen Kampf gegen den zunehmenden Antisemitismus in Europa und zur „Erinnerung an die Schoah“ auf. „Wir können die Geschichte nicht ändern, aber die Lehren aus der Geschichte können uns verändern“, heißt es in einem gemeinsamen Statement.

Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte vor einem Wiedererstarken des Antisemitismus. In unseren Demokratien komme der Antisemitismus wieder – und zwar „gewalttätig und brutal“, sagte Macron. „Es ist immer die erste Form der Ablehnung des anderen. Und wenn der Antisemitismus wieder auftaucht, vermehren sich alle Formen des Rassismus, alle Formen der Spaltung breiten sich aus.“ Der Holocaust dürfe auch niemals instrumentalisiert werden, um Hass zu säen und zu spalten, warnte der Präsident. „Wir haben kein Recht zu vergessen.“

Van der Bellen erinnert an Österreichs Mitverantwortung

Österreich war bei der Gedenkfeier durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen vertreten. Er erinnerte daran, dass Österreich „Mitverantwortung an der Schoah“ trage. „Österreicherinnen und Österreicher waren Täterinnen und Täter, teils an führender Stelle. Zehntausende Österreicherinnen, vor allem Jüdinnen und Juden, aber auch Roma und Sinti, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, politisch Verfolgte, Widerstandskämpfer und Deserteure waren Opfer und wurden von den Nationalsozialisten ermordet“, so Van der Bellen in einer Stellungnahme.

„Dem Andenken der Opfer der Schoah werden wir nur gerecht, wenn wir dafür sorgen, dass Menschenverachtung, Sündenbockdenken und Gewalt niemals wieder als politisches Instrument eingesetzt werden“, mahnte Van der Bellen, denn die Menschenwürde sei unteilbar.