In nur fünf Jahren wurden in Auschwitz und Nebenlagern mindestens 1,1 Millionen Menschen ermordet – durch Gas und Gift, durch Zwangsarbeit, Erschießungen, Prügel, Hunger und Krankheiten. Auschwitz wurde zum Inbegriff des Holocaust. Die meisten Ermordeten waren Juden und Jüdinnen aus besetzten Ländern Europas. Auch Polen, Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene und Gefangene vieler anderer Nationen litten und starben im Lager.
Hauptredner bei der Zeremonie waren vier Überlebende. „Auschwitz fiel nicht vom Himmel“, erinnerte etwa Marian Turski (93) daran, wie der Terror des NS-Regimes gegen die Juden mit kleinen unwesentlichen Einschränkungen der Bürgerrechte begann – etwa mit dem Verbot, sich auf bestimmte Parkbänke zu setzen. Er bezog sich dabei auf eine Äußerung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, mit dem er im Vorfeld Gespräche geführt hatte. Turski mahnte, auch heute auf Ansätze von Verstößen gegen Bürger- und Menschenrechte genau zu achten – in jedem Land.
Polens Präsident mit eindringlichen Worten
Von Ansprachen von Politikern und Politikerinnen hatten die Organisatoren – anders als beim Welt-Holocaust-Forum in Jerusalem vergangene Woche – bewusst Abstand genommen, nur Polens Präsident Andrzej Duda ergriff in einer Begrüßungsrede vor Delegationen aus rund 60 Ländern und Organisationen sowie 200 Überlebenden das Wort.
„Die Verfälschung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, das Bestreiten des Völkermords, das Leugnen des Holocaust, die Instrumentalisierung von Auschwitz für welchen Zweck auch immer – dies alles bedeutet eine Schändung des Gedenkens an die Opfer, deren Asche hier verstreut liegt“, sagte Duda. Er forderte die Gäste dazu auf, vor den letzten Überlebenden und Augenzeugen die gemeinsame Verpflichtung einzugehen, „die Botschaft und die Warnung für die Menschheit, die von diesem Ort ausgehen, in die Zukunft zu tragen“.
Van der Bellen: „Tiefes Entsetzen und Scham“
Zu der Gedenkfeier war auch Van der Bellen angereist. „Auschwitz zu besuchen ist nicht leicht. Aber es ist notwendig“, teilte er zuvor mit. Gleichzeitig verwies er erneut auf die Mitverantwortung Österreichs am Holocaust. Er empfinde „tiefes Entsetzen“ darüber, was im KZ Auschwitz den Menschen angetan wurde. Opfer der „nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie“ seien auch Zehntausende Menschen aus Österreich gewesen.
Gleichzeitig, so Van der Bellen, „empfinde ich Scham“. Viele Österreicherinnen und Österreicher hätten bei dem „barbarischen Verbrechen“ als Täterinnen und Täter „mitgewirkt“. „Allzu viele Landsleute liefen mit, schauten weg, zu wenige leisteten Widerstand“, kritisierte der Bundespräsident. Begleitet wurde Van der Bellen von seiner Frau Doris Schmidauer, EU-Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, sowie dem Auschwitz-Überlebenden Viktor Klein.
Er habe überlebt, weil er „den Mut und die Hoffnung nicht verloren“ habe, sagte Klein in Auschwitz. Denn „wer die Hoffnung nicht verliert, kann nur gewinnen“. „Wir leben weiter“, so der 1927 Geborene nach einer Besichtigung des früheren Vernichtungslagers, „um für die zukünftigen Generationen daran zu erinnern, und nicht zu vergessen: Es soll nie wieder geschehen“.
„Wo wart ihr, wo war die Welt?“
Die 95 Jahre alte Überlebende Batsheva Dagan erinnerte in einer bewegenden Rede daran, dass die Welt vom Judenmord gewusst, aber nichts getan habe, um das Morden in den Gaskammern zu stoppen. „Wo wart ihr, wo war die Welt, die sah und hörte und nichts tat, um diese vielen tausend zu retten?“ Sie appellierte an die Verantwortung aller Menschen dafür, „dass diese schrecklichen Dinge nie wieder geschehen“.
Die aus Hamburg stammende Elsa Baker, von den Deutschen als Roma im Alter von acht Jahren nach Auschwitz verschleppt, erinnerte an „mehr als 500.000 ermordete Roma und Sinti“, die dem deutschen Massenmord zum Opfer fielen. Zum Schluss sprach der ehemalige KZ-Insasse Stanislaw Zalewski: „Die Asche der Menschen ist vom Wind der Geschichte verstreut worden. Aber ihre unsterblichen Seelen sind noch hier und sichtbar für uns.“
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres warnte indessen vor einer weltweiten Ausbreitung des Antisemitismus: „Wir müssen dieses Phänomen als das bezeichnen, was es ist“, sagte Guterres am Montag. Der wachsende antisemitische Hass löse eine globale Krise aus. Der UNO-Chef führte Verbrechen gegen Juden in den vergangenen Wochen in den USA an, betonte aber vor allem den signifikanten Anstieg antisemitischer Taten in Europa. In Frankreich und Großbritannien hätten durch Judenhass motivierte Verbrechen deutlich zugenommen.