EU-Abgeordnete tragen Schal mit EU-Fahne und Union Jack
Reuters/Francois Lenoir
EU-Parlament stimmte ab

Brexit steht nichts mehr im Weg

Der Austritt Großbritanniens aus der EU gilt spätestens seit Mittwoch als fix. In Brüssel billigte das EU-Parlament am Abend den Scheidungsvertrag – ein historischer Schritt vor dem Brexit-Tag am Freitag. Für die meisten Abgeordneten verlief das nicht ohne Wehmut. Doch neben vielen Tränen überwog zumindest bei den „Brexiteers“ die Vorfreude.

Obwohl zahlreiche Abgeordnete die Trennung bedauerten und emotionale Reden im Plenarsaal hielten, stimmte die Mehrheit doch für das Ende 2019 vereinbarte Abkommen. Denn mit dem Vertrag soll Chaos zwischen den EU-27 und dem Vereinigten Königreich vermieden werden. 621 Abgeordnete stimmten für das Brexit-Abkommen, 49 dagegen. 13 enthielten sich ihrer Stimme.

Das Votum dürfe nicht als Unterstützung des EU-Austritts Großbritanniens gesehen werden, sagte der Liberale Guy Verhofstadt, der den Brexit-Ausschuss des Parlaments leitete. „Es ist ein Votum für einen geordneten Brexit, gegen ein wilden, einen harten Brexit.“ Er persönlich würde jederzeit alles tun, um den Austritt Großbritanniens noch zu stoppen.

Wichtigster Punkt des Abkommens ist eine geplante Übergangsfrist bis 31. Dezember, in der sich im Alltag zunächst nichts ändern soll. Großbritannien bleibt in der Zeit wie bisher Teil des EU-Binnenmarkts und der Zollunion, beim Reisen und auch im Warenverkehr bleibt bis Jahresende alles wie gehabt.

Emotionaler Abschied

Der Abschied von den britischen Abgeordneten fiel vielen schwer – auch die eine oder andere Träne wurde vergossen.

Zwischen Trauer und Hoffen

Mehrmals wurde am Mittwoch das Lied „Auld Lang Syne“ (Dt.: „Nehmt Abschied, Brüder“) angestimmt, um den britischen Abgeordneten nach 47 Jahren EU-Mitgliedschaft „Auf Wiedersehen“ zu sagen. „Auf Wiedersehen“ und nicht „Goodbye“ nämlich, darauf legten EU-Parlamentspräsident David Sassoli und EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans in einer Sitzung der Sozialdemokraten (S&D) Wert. Sie hoffen auf einen Wiedereintritt Großbritanniens in die EU.

Auch der österreichische Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP), Lukas Mandl, bedauerte den Austritt Großbritanniens in einer Pressekonferenz zum 25-Jahre-Jubiläum des EU-Beitritts Österreichs, Schwedens und Finnlands. „Auf lange Sicht muss Großbritannien wieder ein Mitgliedsstaat der EU werden", so Mandl. An den 31. Dezember als Frist der Übergangsperiode glaubt er wie auch zahlreiche weitere Abgeordnete aller Parteien übrigens nicht. „Nein“, antwortete er schlicht auf die Frage von ORF.at, ob das Datum wirklich fix sei.

„Besser Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende“

Doch müsse die EU alles geben, in der Übergangsphase gute Verträge auszuhandeln. Dem pflichteten am Mittwoch ebenfalls zahlreiche Politikerinnen und Politiker bei. Österreichs ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg etwa bezeichnete die Scheidung als „keinen Moment der Freude“. Gleichzeitig plädierte er aber für eine „engstmögliche Anbindung“ Großbritanniens an die EU.

S & D-Abgeordnete bei einer Verabschiedung der britischen Abgeordneten
APA/AFP/John Thys
„Always United“ („Für immer geeint“) – diesen Schriftzug trugen zahlreiche S&D-Abgeordnete am Mittwoch im Europaparlament

Als „historischen Fehler“ bezeichnete unterdessen Andreas Schieder, SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, den Brexit. Letztlich gelte „wie bei jeder Trennung: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“ Für EU-Abgeordneten Harald Vilimsky (FPÖ) „schmerzt der Abschied der Briten“. Monika Vana (Grüne) sprach ebenfalls von einer „schmerzhaften Zäsur“, und Claudia Gamon (NEOS) gab sich in Brüssel „traurig“.

Farage: „Wir lieben Europa, aber wir hassen die EU“

Völlig konträr dazu war die Stimmung des britischen Europaabgeordneten und Brexit-Vorkämpfers Nigel Farage. Er zeigte sich hocherfreut über seinen Abschied aus Brüssel. „Es gibt nur sehr wenige Menschen im Leben, vor allem in der Politik, die ihren Traum vollenden, und in vieler Hinsicht ist mir das gelungen“, so Farage. Und er setzte noch eins drauf: „Ich bin vollständig gegen die Europäische Union in ihrer jetzigen Form, ich will, dass sie abgerissen wird“, sagte der britische EU-Abgeordnete bei einer Pressekonferenz.

Nigel Farage
AP/Virginia Mayo
Für Farage war der Mittwoch ein Freudentag. Den Erfolg heftete er sich selbst auf die Fahne.

Er habe verstanden, „dass das europäische Projekt nichts für uns ist“. „Wir lieben Europa, aber wir hassen die Europäische Union“, sagte Farage weiter. Nach dem Brexit sei sein Ziel, „dass Europa die EU verlässt“. Als nächste Austrittskandidaten könne er sich Dänemark, Polen und Italien vorstellen. Während Farages Rede in der Plenarsitzung im Parlament standen auch die anderen „Brexiteers“, also die Befürworterinnen und Befürworter des Brexits, auf und schwenkten den Union Jack, die britische Flagge. Die Aktion brachte den Abgeordneten einen Ordnungsruf ein. Kurze Zeit später verließ Farage die Debatte im Parlament.

Anfang vom Ende

Nach der Abstimmung am Mittwoch im Europaparlament müssen am Donnerstag noch die EU-Regierungen dem Austrittsvertrag zustimmen. Das gilt als Formalie und erfolgt im schriftlichen Verfahren. Der Ratifizierungsprozess ist danach auch auf EU-Seite abgeschlossen. Um Mitternacht (23.00 Uhr britischer Zeit) am Freitag endet dann die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens.

Grafik zu Optionen nach dem Brexit
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Wie es danach weitergehen soll, ist offen. Bis zum letzten Dezember-Tag 2020 haben beide Seiten Zeit, sich über ein weiteres Zusammenwirken auf dem europäischen Kontinent einig zu werden. Dazu will die EU-Kommission schon am Montag einen Vorschlag zum Post-Brexit-Deal beschließen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte Großbritannien bereits eine „einzigartige“ Partnerschaft in Aussicht.

Während der Übergangsphase soll in erster Linie ein Freihandelsabkommen ausgehandelt werden. Kein anderes Freihandelsabkommen gewähre „einen derartigen Zugang zu unserem Binnenmarkt“ wie die mit Großbritannien angestrebte Partnerschaft, sagte von der Leyen im EU-Parlament in Brüssel. „Wir werden euch immer lieben und nie weit entfernt sein“, fügte sie hinzu. Bedingung für eine enge Partnerschaft sei allerdings, „dass europäische und britische Unternehmen weiterhin zu fairen Wettbewerbsbedingungen konkurrieren“.

Grenze zu Irland weiterhin Streitpunkt

Der umstrittenste Teil des Brexit-Deals bleibt die Grenze zwischen Irland und Nordirland. Ob es dabei zu Zollkontrollen kommen wird, ist nach wie vor unklar, auch wenn der britische Premier Boris Johnson diese ausgeschlossen hatte. Der EU-Brexit-Chefverhandler Michel Barnier meinte jedoch, sie seien „unverzichtbar“. Weiters geht es um ein Abkommen zur Hochseefischerei, um den Personenverkehr, Dienstleistungen, Finanzgeschäfte sowie Daten- und Investitionsschutz. Ein harter Brexit, also ein Brexit ohne Abkommen, ist aber nach wie vor nicht vom Tisch.

Briten sagen Brüssel „Goodbye“

Großbritannien verlässt am Freitag die EU. Für die Abgeordneten und Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heißt das Abschiednehmen.

Ende der Woche wollen Kommissionspräsidentin von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Parlamentspräsident Sassoli ein gemeinsames Statement herausgeben. Den Abend des Brexits werden sie zu dritt im Haus von Jean Monnet verbringen, um auf einem „Retreat“ über die Zukunft Europas zu sprechen. Der Ort des Geschehens scheint nicht zufällig gewählt, Monnet gilt als einer der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft.