Ein Mann in Schutzanzug und mit Schutzmaske vor einer Anzeigetafel an der Börse Schanghai
AP
Coronavirus

Chinas Börsen brechen ein

China steht nach dem Ausbruch des neuartigen Coronavirus immer stärker unter Druck. Am ersten Handelstag nach den verlängerten Neujahrsfeiertagen sind die Börsen wegen der Auswirkungen des Coronavirus auf die Wirtschaft abgestürzt. Zudem gab es erneut einen Anstieg bei den Todeszahlen und Infektionen: Die Gesamtzahl der Toten stieg auf 361, das sind mehr als China bei der SARS-Epidemie 2002 und 2003 gemeldet hatte.

Nach wie vor herrscht in China der Ausnahmezustand: In der Krisenregion in Zentralchina sind weiterhin 45 Millionen Menschen in mehreren Städten abgeschottet. Zahlreiche Unternehmen haben die Produktion niedergelegt, die zunehmende internationale Isolierung Chinas und das deutlich schwächere Reiseaufkommen innerhalb des Lands treffen außerdem die Tourismusbranche schwer.

Die radikalen Maßnahmen setzen auch Wirtschaft und Finanzmärkten zu: Durch einen Kursrutsch wurden am ersten Tag nach den verlängerten Neujahrsferien über 600 Milliarden Euro „vernichtet“. Die Schanghaier Börse meldete am Montag einen Kursrutsch um 7,72 Prozent und verlor damit innerhalb eines Handelstages 2,8 Billionen Yuan an Wert, umgerechnet etwa 360 Milliarden Euro. Der zweite Aktienmarkt des Landes im südchinesischen Shenzhen brach um 8,45 Prozent ein, was einen Verlust von zwei Billionen Yuan (260 Milliarden Euro) bedeutete. Die Verluste waren so groß wie seit der Börsenkrise 2015 in China nicht mehr.

Angespannte Lage in China

China gerät angesichts der Ausbreitung des Coronavirus immer stärker unter Druck.

Chinas Regierung versuchte das Finanzsystem zu stärken und die Auswirkungen der Epidemie abzufedern – unter anderem mit einer ungewöhnlich hohen Geldspritze. Die Zentralbank stellte den Geschäftsbanken am Montag 1,2 Billionen Yuan (156,88 Mrd. Euro) Liquidität zur Verfügung. Die Maßnahme soll die Funktionalität des chinesischen Geldmarkts und Bankensystems sicherstellen.

Die chinesische Notenbank betonte, die Folgen der Epidemie auf Chinas Wirtschaft werden nur begrenzt und temporär sein. Die Finanzmärkte würden sich langfristig wieder normalisieren, heißt es in einem Kommentar der „Financial News“. Die gesunde langfristige wirtschaftliche Basis werde durch den Ausbruch des Virus nicht verändert. Die Aktienmärkte seien wegen einiger irrationaler Faktoren eingebrochen, heißt es weiter. Als Beispiel werden durch einen „Herdentrieb“ ausgelöste Panikverkäufe genannt. Ökonomen des Bankhauses Citigroup revidierten indes die Gesamtjahresprognose für Chinas BIP-Wachstum auf 5,5 Prozent von zuvor 5,8 Prozent.

Provisorisches Krankenhaus in Wuhan (China)
Reuters/China Daily CDIC
In Wuhan, wo das Coronavirus erstmals aufgetreten ist, geht am Montag das neue Krankenhaus für Coronavirus-Patienten in Betrieb, das in nur acht Tagen gebaut worden ist

Mehr Tote in China als bei SARS

Unterdessen wurde erneut ein Rekord bei Infektionen und Todesfällen bekanntgegeben. Die Gesundheitskommission in Peking meldete am Montag den bisher stärksten Anstieg innerhalb eines Tages. Erneut starben 57 Menschen an der Erkrankung. Damit stieg die Gesamtzahl auf 361 Tote – mehr als es durch das Schwere Akute Atemwegssyndrom (SARS) 2002/2003 in China gegeben hatte. Weltweit waren damals 774 Tote zu beklagen gewesen.

Karte von Italien
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Die Zahl der bestätigten Infektionen in China kletterte sprunghaft um 2.829 auf 17.205 Fälle. Die Gesundheitskommission sprach zudem von mehr als 20.000 Verdachtsfällen. Zudem teilte China mit, dass der Höhepunkt der Epidemie erst bevorstehe. Erwartet werde er „in zehn Tagen bis zwei Wochen“, sagte der Chef des nationalen Expertenteams im Kampf gegen das Coronavirus, Zhong Nanshan, nach Angaben chinesischer Staatsmedien vom Montag. Dafür müssten aber vorbeugende Maßnahmen verstärkt werden. „Wir dürfen in unserer Wachsamkeit nicht nachlassen.“

Damit korrigierte der bekannte Experte seine bisherige Vorhersage von vor einer Woche, als er den Höhepunkt noch für Ende dieser Woche vorhergesagt hatte. Warum er den Zeitpunkt jetzt doch weiter in die Zukunft verschieben musste, sagte Zhong nicht. Die Sterblichkeitsrate bezifferte er bei dem Statement auf 2,4 bis 2,5 Prozent. Zuletzt gab es allerdings immer wieder Zweifel an den Angaben aus Peking.

Xi: Kampf gegen Virus hat Priorität

Der chinesische Präsident Xi Jinping räumt dem Kampf gegen das Coronavirus absolute Priorität ein. Das sei die wichtigste Aufgabe, zitieren staatliche Medien Xi. Er werde auch die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen gegen das Virus vorantreiben. Die Führung der Volksrepublik werde die Auswirkungen der Epidemie auf die Wirtschaft genau beobachten, berichteten die Medien weiter. Der Konsum werde stabilisiert, der Start neuer Investitionsprojekte werde beschleunigt.

Drohnen verfolgen Menschen ohne Atemmaske

Zuletzt wurde erstmals auch eine Stadt außerhalb der Provinz Hubei de facto unter Quarantäne gestellt. In der Neun-Millionen-Einwohner-Metropole Wenzhou an der Ostküste dürfe nur noch ein Mensch pro Haushalt alle zwei Tage auf die Straße, um das zum Leben Notwendige einzukaufen, teilten die örtlichen Behörden mit. Sie setzten den öffentlichen Verkehr aus und schlossen 46 Autobahnmautstellen.

Auch ein online verbreitetes Video über außergewöhnliche Schutzmaßnahmen sorgte für Wirbel. Zu sehen ist, dass die Polizei angeblich einzelne Menschen ohne Mundschutz mit Drohnen verfolgt. Per Lautsprecher werden sie aufgefordert, eine Atemmaske anzulegen oder nach Hause zu gehen. „Der Typ mit dem pinken Schutz am Motorrad“, schallt etwa auf dem Video aus der Luft die Stimme einer Polizistin, die mit Sprechfunk über die Drohne spricht. „Ja, Sie! Bitte tragen Sie eine Maske.“ Allerdings soll zumindest eines der Videos von einem chinesischen Influencer stammen. Er habe mit dem Video dafür sorgen wollen, die Maßnahmen zur Prävention einer Epidemie bekannter zu machen, berichtete er dem Portal Watson.

Wie verbreitet das Vorgehen ist, war aber unklar. Auf anderen Videos ist zu sehen, wie die Polizei aus der Luft auch die Bürger aufklärt. „Gehen Sie nur im Notfall raus“, sagte ein Polizist in einem Video mit Sprechfunk über die Drohne, die über einer Kreuzung schwebt. „Bitte tragen Sie einen Mundschutz, wenn Sie rausgehen. Schützen Sie sich selbst!“ Die Videos wurden offenbar mit einer Drohnenkamera aufgenommen.

Atemmasken werden knapp

Offenbar werden auch die Atemmasken knapp. „Was China momentan dringend braucht, sind Atemmasken, Schutzanzüge und Schutzbrillen“, so die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums. Nach Angaben des Industrieministeriums können chinesische Fabriken pro Tag nur rund 20 Millionen Atemmasken produzieren – bei voller Auslastung. In vielen Fabriken läuft die Produktion nach den Ferien zum chinesischen Neujahrsfest aber gerade erst wieder an.

Wie der Ministeriumsvertreter Tian Yulong sagte, versuchen die chinesischen Behörden, zusätzliche Masken aus Europa, Japan und den USA zu besorgen. Nach Angaben des Außenministeriums haben zudem schon Länder wie Südkorea, Japan, Kasachstan und Ungarn medizinisches Material gespendet. Neben der Provinz Hubei, in der die am stärksten betroffene Stadt Wuhan liegt, haben noch mehrere andere Provinzen und Städte in China eine Maskenpflicht eingeführt, darunter die bevölkerungsreichste Provinz Guangdong sowie Sichuan, Jiangxi und Liaoning und die Stadt Nanjing. Zusammen haben sie mehr als 300 Millionen Einwohner.

Erster Toter außerhalb Chinas in Philippinen

Weltweit sind rund 180 Erkrankungen durch das Virus in zwei Dutzend anderen Ländern bestätigt. Den ersten Todesfall außerhalb Chinas gab es am Wochenende auf den Philippinen. Es handelte sich um einen eingereisten Chinesen aus Wuhan. Asiatische Staaten haben Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um eine Einschleppung des Coronavirus zu verhindern. Aus Angst vor einer Verbreitung schloss Vietnam sogar die Schulen in 26 von 64 Provinzen für eine Woche. 15 von 24 Millionen Schülern gehen damit nicht zum Unterricht. Das Nachbarland Chinas hat acht bestätigte Infektionen.

Flugreisende aus Wuhan (China) werden beim Verlassen des Flugzeuges mit Desinfektionsmittel besprüht
Reuters/Antara Foto Agency
Indonesische Reisende werden nach ihrer Ankunft aus Wuhan mit einem Antiseptikum abgesprüht

Auch die Finanzmetropole und chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong riegelte am Montag einen Großteil der Grenzübergänge zum chinesischen Festland ab, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Zehn von 13 Grenzübergängen würden geschlossen, teilt Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam mit.

WHO warnt vor falschen Informationen

Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte unterdessen vor der Informationsflut zum Coronavirus. Der Ausbruch des Erregers sei von einer „massiven Infodemie“, einer Überschwemmung an Informationen begleitet worden, teilte sie am Sonntagabend in Genf mit. Einige Informationen seien korrekt, andere nicht. Da die Flut an Informationen es vielen Menschen schwer mache, zwischen Mythen und Fakten zu unterscheiden, hat die WHO eine große Informationskampagne auf Facebook, Twitter und in anderen Sozialen Netzwerken gestartet.

Darin beantwortet sie Fragen über Infektionsweisen, angebliche Hilfsmittel und Schutzmaßnahmen. Auf einer gesonderten Website rät die WHO unter anderem zum regelmäßigen Händewaschen, auch wenn die Hände „nicht sichtbar dreckig“ seien. Erkrankte sollten in die Armbeuge oder in ein Taschentuch niesen und Letzteres in einen geschlossenen Mistkübel werfen.

In diesem Zusammenhang entferne Twitter die Finanzmarktseite Zero Hedge wegen eines Artikels zum Thema Coronavirus von seiner Plattform. Der US-Konzern habe den Schritt mit Verstößen gegen seine Regeln zu Missbrauch und Belästigung begründet. Zero Hedge hatte in einem Artikel nahegelegt, dass das Virus als Biowaffe entwickelt wurde. Facebook und die chinesische Plattform TikTok hatten angekündigt, gegen Fake News zum Coronavirus vorgehen zu wollen.