Thomas Kemmerich von der FDP.
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Überraschung in Thüringen

AfD verhilft FDP-Kandidaten zu Wahlsieg

Rund dreieinhalb Monate nach der Wahl im deutschen Bundesland Thüringen gibt es nun einen Ministerpräsidenten, mit dem wohl niemand gerechnet hat: Mit den Stimmen der AfD wurde der FDP-Politiker Thomas Kemmerich gewählt. Der Kandidat der AfD erhielt keine einzige Stimme. Offenbar wollte die AfD den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow von der Linken auf jeden Fall verhindern.

In dem Bundesland kommt die Wahl vom Mittwoch einem politischen Beben gleich. Kemmerich setzte sich bei der Abstimmung im Erfurter Landtag im entscheidenden dritten Wahlgang gegen Ramelow durch. Der von der AfD aufgestellte parteilose Kandidat Christoph Kindervater erhielt im dritten Wahlgang keine Stimme.

Die Entscheidung zwischen Kemmerich und Ramelow fiel knapp aus. Auf den bisherigen Regierungschef entfielen 44 Stimmen, Kemmerich erhielt 45. Es gab eine Enthaltung. Der Erfurter Politikwissenschaftler Andre Brodocz sagte am Mittwoch im MDR: „Das ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Ministerpräsident mit den Stimmen der AfD ins Amt gewählt wurde.“

Rot-rot-grünes Bündnis gescheitert

Ramelow war seit 2014 Regierungschef des Freistaats und der erste Ministerpräsident der Linken in Deutschland. Doch obwohl seine Partei mit 31 Prozent die Wahl im Herbst 2019 klar gewonnen hatte, ging die Mehrheit der bisherigen Regierung von Linke, SPD und Grünen verloren. Das Bündnis hatte nur noch 42 von 90 Mandaten.

Bodo Ramelow von der Partei „Die Linke“
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Bodo Ramelow scheiterte

Dennoch hatten die bisherigen Koalitionspartner am Dienstag einen neuen Regierungsvertrag unterschrieben. Nachdem Ramelow in den beiden ersten Wahlgängen nun erwartungsgemäß die absolute Mehrheit verfehlt hatte, stellte die FDP Kemmerich im dritten Wahlgang als Kandidaten auf. Christdemokraten und Liberale hatten zuvor kategorisch ausgeschlossen, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Gemeinsam kommen die drei Fraktionen auf 48 Sitze.

Empörung bei der Linken

Der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, bezeichnete die Wahl Kemmerichs als „Tabubruch“. „Wie weit sind wir gekommen, dass die FDP einen Ministerpräsidenten Kemmerich wählen lässt mit den Stimmen des Faschisten Höcke und der AfD? Das ist ein Tabubruch, der weitreichende Folgen haben wird“, schrieb Riexinger in einer ersten Reaktion bei Twitter. FDP und CDU müssten jetzt einiges erklären.

Susanne Hennig-Wellsow von der Partei „Die Linke“.
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Protest im Erfurter Landtag: Linken-Chefin Hennig-Wellsow warf Kemmerich einen Blumenstrauß vor die Füße

Die Landeschefin der Linken, Susanne Hennig-Wellsow, warf Kemmerich aus Protest einen Blumenstrauß vor die Füße. Was heute im Landtag passiert sei, sei „von langer Hand geplant“ gewesen, sagte sie. Mit einem Trick und Zockerei stelle die FDP nun den Regierungschef. Nun sei „ein Fünf-Prozent-Mensch“ Ministerpräsident, der sich mit den Stimmen einer extrem rechten Partei ins Amt habe wählen lassen. Sie schäme sich für Kemmerich.

SPD: „Unverzeihlich“

Die CDU in Thüringen beeilte sich zu betonen, dass eine Koalition mit der AfD weiter nicht infrage komme. Kemmerich müsse deutlich machen, „dass es keine Koalition mit der AfD gibt“, sagte Thüringens CDU-Chef Mike Mohring. Er bestätigte, dass seine Fraktion im dritten Wahlgang Kemmerich unterstützt habe. Auf die AfD angesprochen sagte Mohring: „Wir sind nicht verantwortlich für das Wahlverhalten anderer Parteien.“

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans warf CDU und FDP einen „unverzeihlichen Dammbruch“ vor. „Dass die Liberalen den Strohmann für den Griff der Rechtsextremisten zur Macht geben, ist ein Skandal erster Güte“, schrieb Walter-Borjans am Mittwoch auf Twitter. „Sich von Rechtsextremen zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen, ist komplett verantwortungslos. Gegen die AfD müssen alle Demokraten geschlossen zusammenstehen. Wer das nicht versteht, hat aus unserer Geschichte nichts gelernt“, so auch Außenminister Heiko Maas (SPD).

Freude bei AfD: „Kein Weg mehr vorbei“

AfD-Fraktionschef Björn Höcke sagte, seine Partei sei angetreten, den bisherigen Ministerpräsidenten und Linke-Politiker Bodo Ramelow in den Ruhestand zu schicken. „Deswegen haben wir die Wahl heute so getätigt, wie wir sie getätigt haben“, sagte Höcke.

Alice Weidel, AfD-Fraktionschefin im Bundestag, schrieb auf Twitter: „Rot-Rot-Grün in Thüringen hat schon jetzt fertig! Gratulation an Ministerpräsident Thomas L. Kemmerich. An der AfD führt kein Weg mehr vorbei!“

Kemmerich grenzte sich ab

Kemmerich wurde am Mittwoch sofort vereidigt. Er ist erst der zweite Ministerpräsident der FDP in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Thüringer Grünen wollen nun in Opposition gehen. Fraktionschef Dirk Adams sagte: „Die Unterstützung eines Ministerpräsidenten, der sich bewusst und voller Absicht mit den Stimmen der AfD in dieses Amt wählen lässt, steht für uns nicht zur Debatte.“ Kemmerich strebt nun eine Regierung aus FDP, CDU, SPD und Grünen an. Am Mittwoch grenzte er sich gleich von der AfD ab. „Die Brandmauern gegenüber der AfD bleiben bestehen“, sagte Kemmerich vor Journalisten. Es werde weder eine Koalition noch ein Angebot für eine Zusammenarbeit geben. „Ich bin Anti-AfD, ich bin Anti-Höcke“, sagte Kemmerich. Die Brandmauer gebe es auch gegenüber der Linken.

Im Parlament war seine erste Rede von Zwischenrufen – vor allem aus den Reihen der Linken – begleitet worden. Abgeordnete riefen ihm „Scheinheilig!“ oder „Scharlatan!“ zu.