FDP-Politiker Thomas Kemmerich
APA/AFP/Jens Schlueter
Thüringen vor Neuwahl

Kemmerich erklärt Rücktritt

Der neue, erst am Vortag mit den Stimmen der rechtspopulistischen AfD gewählte Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Thüringen, Thomas Kemmerich (FDP), hat am Donnerstag sein Amt wieder zur Verfügung gestellt. Die FDP werde zudem einen Antrag auf Auflösung des Landtags zur Herbeiführung einer Neuwahl stellen, wie Kemmerich in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz mitteilte.

„Der Rücktritt ist unumgänglich“, so Kemmerich, gezwungen habe ihn dazu aber niemand. „Unumgänglich“ sei zudem die Auflösung des Landtags. „Thomas Kemmerich will damit den Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt des Ministerpräsidenten nehmen“, wie Thüringens FDP-Fraktion kurz zuvor mitteilte.

Das Amt des Regierungschefs behält Kemmerich aber offenbar zunächst. Auf die Frage, was er tun werde, wenn die erforderliche Zweidrittelmehrheit für eine Auflösung nicht zustandekomme, sagte Kemmerich: „Dann werde ich die Vertrauensfrage stellen.“ Die Umstände seiner Wahl ließen keine andere Möglichkeit, denn die AfD habe „mit einem perfiden Trick versucht, die Demokratie zu beschädigen“, so Kemmerich, der dazu noch sagte: „Eine Zusammenarbeit mit der AfD gab es nicht, gibt es nicht und wird es nicht geben.“

Kemmerich stehen laut einem Medienbericht durch seinen Amtsantritt mindestens 93.000 Euro an Gehalt und Übergangsgeld zu. Die Summe erhöhe sich mit jedem weiteren angebrochenen Monat im Amt, berichtete das RedaktionsNetzwerk Deutschland.

FDP-Politiker Thomas Kemmerich
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Am Tag nach seinem Amtsantritt kündigte Kemmerich seinen „unumgänglichen“ Rücktritt an

Bei der für die angekündigte Landtagsauflösung notwendige Zweidrittelmehrheit müssten neben Linken, SPD, Grünen und FDP auch CDU oder AfD dafür stimmen. Laut Kemmerich sei man mit Thüringens CDU-Fraktion zwar in Kontakt – „wie sie entscheiden, wissen wir nicht“.

„Nach 24 Stunden schon längst überfällig“

Thüringens CDU will am Freitag bei einer Sondersitzung über die weitere Vorgangsweise beraten. In einer vor Kemmerichs Rücktrittsankündigung verbreiteten Erklärung stemmte sich die CDU von Thüringen allerdings noch gegen eine Neuwahl. „Es darf in Thüringen weder Stillstand geben, noch sind Neuwahlen eine Antwort auf die entstandene Situation“, zitierte Reuters aus dem Schreiben.

Rücktritt nach 24 Stunden

Nur etwas mehr als 24 Stunden nach seiner dank AfD-Stimmen erfolgten Wahl hat der neue Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Thüringen, Thomas Kemmerich (FDP), seinen Rücktritt erklärt.

Aus Sicht der CDU-Bundesspitze sei man sich einig, dass Thüringen einen „Neustart“ brauche, sagte der Generalsekretär der Christdemokraten, Paul Ziemiak, am Donnerstag in Berlin. Dieser Neustart „könne für die CDU nur auf Grundlage der Beschlüsse der CDU Deutschlands erfolgen“. Die Entscheidung des amtierenden Ministerpräsidenten Kemmerich bezeichnete Ziemiak schließlich als „richtig, aber selbst nach 24 Stunden schon längst überfällig“.

Die Bundesspitze der CDU liegt derzeit wegen der Ministerpräsidentenwahl in Erfurt mit dem thüringischen Landesverband über Kreuz. Die dortige Fraktion unter Mike Mohring hatte am Mittwoch gegen die ausdrückliche Empfehlung der Bundesspitze für Kemmerich gestimmt. Ein Unvereinbarkeitsbeschluss des CDU-Bundesparteitags untersagt „Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ mit der AfD.

Ramelow will wieder kandidieren

Bei der Ministerpräsidentenwahl im Erfurter Landtag hatte sich am Mittwoch überraschend der FDP-Politiker Kemmerich im dritten Wahlgang gegen Ramelow durchgesetzt. Unterstützt wurde Kemmerich von CDU und AfD. Damit kam erstmals ein Ministerpräsident mit den Stimmen der AfD ins Amt. Zugleich scheiterte damit eine von Ramelow über Wochen vorbereitete rot-rot-grüne Minderheitsregierung.

Sitzverteilung im Landtag (Tortengrafik)
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

AfD-Fraktionschef Björn Höcke hatte am Mittwoch nach der Wahl erklärt, seine Partei sei angetreten, den bisherigen Ministerpräsidenten und Linke-Politiker Bodo Ramelow in den Ruhestand zu schicken. „Deswegen haben wir die Wahl heute so getätigt, wie wir sie getätigt haben.“ Ramelow steht Parteiangaben zufolge nach den jüngsten Entwicklungen indes wieder als Kandidat für eine rot-rot-grüne Regierung zur Verfügung.

Lindner kündigt Vertrauensfrage an

Nur kurz nach Kemmerich trat in Erfurt auch Bundes-FDP-Chef Christian Lindner vor die Presse. Kemmerich habe „die einzig richtige und die einzig mögliche Entscheidung getroffen“, indem er die Auflösung des Landtags anstrebe und sein Amt zur Verfügung stellen wolle. „Binnen eines Tages hat er sich aus der Abhängigkeit von der AfD befreit“, sagte Lindner.

Die von Kemmerich angekündigten Schritte bezeichnete Lindner als hart, aber notwendig. Gleichzeitig sagte der FDP-Chef, dass es unter seinem Vorsitz nie eine Zusammenarbeit mit der AfD geben werde. Nach den Vorgängen um die Wahl Kemmerichs könne es nun aber auch kein „Weiterso“ geben. Lindner kündigte in diesem Zusammenhang für Freitag ein Sondertreffen des Bundesparteivorstandes in Berlin an, bei dem mit der Vertrauensfrage die Parteiführung neu legitimieren wolle.

Lindner forderte schließlich auch die CDU in Thüringen auf, den Weg für Neuwahlen freizumachen, „damit die Bürgerinnen und Bürger die Situation neu bewerten können“. Die FDP habe „die Situation geklärt, das erwarten wir auch von der CDU und ihrer Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer“.

„Unverzeihlich“

Nach Kemmerichs Wahl gingen auch innerhalb der Großen Koaliton in Berlin die Wogen hoch. Die SPD machte der CDU schwere Vorwürfe und verlangte ebenfalls ein Machtwort von Parteichefin Kramp-Karrenbauer. Diese ging mit der eigenen Fraktion im Thüringer Landtag hart ins Gericht und empfahl schon am Mittwoch eine Neuwahl.

Am Donnerstag meldete sich auch die derzeit in Südafrika befindliche deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Causa zu Wort. „Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung gebrochen hat für die CDU und auch für mich, nämlich dass keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen“, sagte Merkel: Das sei „unverzeihlich“.

Neuwahlen sind laut Merkel „eine Option“ – wichtig sei jedoch zunächst, „dass die CDU sich an einer Regierung unter dem Ministerpräsidenten“ Kemmerich „nicht beteiligt“. CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte bereits am Mittwoch eine Neuwahl und forderte nach der nun in Thüringen getroffenen „notwendigen“ Entscheidung ein zügiges Handeln ein.

Blumenstrauß als Zeichen des Protests

SPD und Linke warfen der CDU und FDP nach Kemmerichs Wahl offen einen „unverzeihlichen“ Dammbruch vor. Eine Zusammenarbeit mit der AfD sei für die SPD „absolut unakzeptabel“. SPD-Chef Walter-Borjans schrieb auf Twitter: „Dass die Liberalen den Strohmann für den Griff der Rechtsextremisten zur Macht geben, ist ein Skandal erster Güte. Da kann sich niemand in den Berliner Parteizentralen wegschleichen.“

Bjoern Hoeckevon von der AfD gratuliert Thomas Kemmerich.
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Höcke gratuliert Kemmerich: Eine überraschende Allianz

Die Chefin der Bundesgrünen, Annalena Baerbock, forderte Kemmerich zum umgehenden Rücktritt auf. Tue er das nicht, müssten CDU und FDP auf Bundesebene die Thüringer Landesverbände ausschließen. Die Fraktionschefin der Linken, Susanne Hennig-Wellsow, ließ ihrer Enttäuschung im Landtag freien Lauf. Direkt nach Kemmerichs Vereidigung ging sie zu ihm und warf ihm die für Ramelow gedachten Blumen vor die Füße.

Linken-Fraktionschefin schmiss Kemmerich Blumenstrauß vor die Füße

Nach der Vereidigung von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten von Thüringen hat die Fraktionschefin der Linken ihre Enttäuschung mit einem fliegenden Blumenstrauß zum Ausdruck gebracht.

Ramelow erinnert an 1930

Nach Auffassung des Internationalen Auschwitz Komitees sendet die Wahl ein „fatales Signal“ an die Überlebenden des Holocausts. „In Thüringen macht Herr Höcke die Regierung“, so Vizepräsident Christoph Heubner. Höcke ist Gründer des des sogenannten AfD-„Flügels“, der vom deutschen Verfassungsschutz im Jänner 2019 als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus eingestuft wurde.

Der abgewählte Ramelow sprach laut mehreren Zeitungen von einem „deutschen Tabubruch“ und fügte hinzu: „Genau 90 Jahre nachdem es in Thüringen schon mal passiert ist: Sich von Herrn Höcke und dem Flügel wählen zu lassen – das war offenbar gut vorbereitet.“ In Thüringen war im Jahr 1930 die NSDAP erstmals in eine Landesregierung gekommen.

Protest vor dem Landtag

Wenige Stunden nach der Wahl gingen deutschlandweit Tausende Menschen auf die Straßen. Sie kamen in mehreren Thüringer Städten und unter anderem auch in Berlin, Hamburg, Köln, Leipzig, Düsseldorf und München zusammen. Am Tag nach Kemmerichs Wahl zum Ministerpräsidenten Thüringens haben sich Zehntausende auch in Petitionen gegen das Wahlergebnis gewandt.

Demonstration gegen die Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen
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Widerstand gegen Kemmerichs Wahl formierte sich auch auf Deutschlands Straßen

Bei der AfD hingegen war die Freude groß. Fraktionschef Höcke sagte, seine Partei sei angetreten, den bisherigen Ministerpräsidenten und Linken-Politiker Ramelow in den Ruhestand zu schicken. „Deswegen haben wir die Wahl heute so getätigt, wie wir sie getätigt haben“, sagte Höcke.