Ein Bild des chinesischen Mediziners Li Wenliang und Blumen vor dem Zentralkrankenhaus in Wuhan (China)
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Coronavirus

Tod von Arzt bringt Peking unter Druck

Der Tod des Arztes Li Wenliang, der als einer der ersten vor dem Coronavirus gewarnt hatte, sorgt für einen Aufschrei der Öffentlichkeit in China. Li, der als Augenarzt arbeitete, beobachtete die Symptome des Virus schon im Dezember – und wurde deshalb von der Polizei für das „Verbreiten von Gerüchten“ ermahnt. Lis Tod löste in China nun eine Debatte über Meinungsfreiheit aus – die Peking gehörig unter Druck bringt.

Der 34-jährige Arzt steckte sich im Kampf gegen das Virus selbst an, teilte das Zentralkrankenhaus der Millionenmetropole Wuhan am Freitag im chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo mit. Die „umfassenden Anstrengungen“, sein Leben zu retten, seien vergeblich gewesen. Schon Ende des Jahres hatte er bei Patientinnen und Patienten Symptome festgestellt, die jenen des SARS-Erregers ähnelten.

In einer Botschaft an Kollegen vom 30. Dezember informierte Li über seine Erkenntnisse. Zusammen mit sieben Kollegen, die ebenfalls von der Existenz des neuartigen Virus berichtet hatten, wurde er daraufhin von der Polizei wegen der „Verbreitung von Gerüchten“ ermahnt. Der „Guardian“ schreibt, Li habe ein Dokument unterschreiben müssen, in dem er bestätigte, dass er das Gesetz gebrochen und „die öffentliche Ordnung ernsthaft gestört“ habe.

„Sie schulden Ihnen eine Entschuldigung“

Lis Tod sorgte in den chinesischen Sozialen Netzwerken für Trauer, aber auch Wut. Es war binnen kurzer Zeit laut „Guardian“ das meistdiskutierte Thema auf Weibo mit mehr als 1,5 Milliarden Aufrufen. Nicht nur Privatpersonen beteiligten sich – auch in Blogbeiträgen von staatlichen Medien wurde Trauer bekundet. Gleichzeitig gab es scharfe Kritik an den Behörden in Wuhan.

Eine Frau legt am Eingang des Zentralkrankenhauses in Wuhan (China) Blumen nieder
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Menschen trauerten vor dem Krankenhaus in Wuhan

„Sie schulden Ihnen eine Entschuldigung, wir schulden Ihnen unsere Dankbarkeit. Passen Sie auf sich auf, Dr. Li“, hieß es in einem Weibo-Beitrag von Xiakedao. Das Konto wird von der Auslandsausgabe der „Chinesischen Volkszeitung“ der Kommunistischen Partei betrieben. Der „Economic Observer“, eine staatsnahe Wirtschaftszeitung, forderte die Rehabilitierung aller „Gerüchtemacher“ in Wuhan. In unzähligen weiteren Beiträgen wurde Li gelobt.

Peking kündigt Untersuchung an

Die Reaktion der Öffentlichkeit zog offenbar auch die Aufmerksamkeit der Regierung in Peking auf sich: Die zentrale Kommission für Disziplinarinspektion – die interne Antikorruptionsbehörde der Kommunistischen Partei – sowie die ebenfalls für Korruption zuständige nationale Aufsichtskommission gaben eine Erklärung ab. Ermittler würden nach Wuhan geschickt, um „eine umfassende Untersuchung der von der Öffentlichkeit berichteten Probleme im Zusammenhang mit Doktor Li Wenliang“ durchzuführen, zitiert der „Guardian“.

Offenbar gab es auch Bedenken, dass sich der Ärger von Sozialen Netzwerken auf die Straße verlagern könnte. In einigen Postings ist zu lesen: „Vergesst diese Wut nicht, wir dürfen so etwas nicht noch einmal zulassen“, und „Wenn du wütend bist, wehr dich“. Die Behörden löschten daraufhin den Großteil der im Netz geposteten Beiträge zum Thema. Laut der BBC wurden Hunderttausende Beiträge entfernt – nur eine Handvoll sei noch abrufbar. Die Hashtags „Regierung in Wuhan schuldet Dr. Li eine Entschuldigung“ und „Wir wollen Redefreiheit“ standen lange an der Spitze.

China gestand Fehler ein

Schon vor Lis Tod hatte es in China Kritik am Umgang der chinesischen Behörden mit der Epidemie gegeben. Im Jänner kritisierte etwa das oberste Gericht Chinas das Vorgehen der Polizei in Wuhan. Die Polizei habe die ersten „Gerüchtemacher“ bestraft, statt auf die Informationen zu reagieren, erklärte das Gericht. Die Ausbreitung des Erregers hätte eingedämmt werden können, „wenn die Öffentlichkeit die ‚Gerüchte‘ zu der Zeit geglaubt hätte“.

Am Montag hatte auch Chinas Führung in einem ungewöhnlichen Schritt „Fehler“ im Umgang mit der Epidemie eingeräumt. Der Ständige Ausschuss des Politbüros der regierenden Kommunistischen Partei erklärte, die Reaktion auf die Epidemie habe „Fehler und Schwierigkeiten“ beim nationalen Notfallmanagement offengelegt.

Xi: Kampf in „entscheidender Phase“

Chinas Staatschef Xi Jinping sagte unterdessen, man sei im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus in einer „entscheidenden Phase“. In einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump gab sich Xi Jinping am Freitag zuversichtlich, dass China die Epidemie in den Griff bekomme. Das ganze Land sei mobilisiert und habe sehr strenge Maßnahmen zur Vorbeugung ergriffen. „Wir sind vollauf zuversichtlich und in der Lage, die Epidemie zu besiegen“, so Xi.

Karte von Italien
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Neuanstieg der Infektionen offenbar stabil

Der tägliche Anstieg der neu bestätigten Infektionen in China scheint sich leicht stabilisiert zu haben – ist aber weiter sehr hoch. Die Zahl der Ansteckungen legte bis Freitag erneut um über 3.000 zu. Damit sind über 31.000 Virusfälle bestätigt, so die Gesundheitskommission in Peking. Es war der zweite Tag in Folge, an dem nicht mehr neue Ansteckungen als am Vortag gemeldet wurden. Innerhalb eines Tages starben aber wieder 73 Patienten an der neuartigen Lungenkrankheit – so viele wie am Vortag. Damit sind in China schon 636 Todesfälle zu beklagen.

Ob mit den neuen Zahlen bereits ein Trend bei den Ansteckungen erkennbar ist, scheint offen, da die Statistik auch mit der Zahl der laufenden Untersuchungen schwanken kann. Der Verlauf der Epidemie ist aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auch schwer vorherzusagen. Abgesehen von den besonders betroffenen Gebieten in Zentralchina scheine die Lage in China im Moment relativ stabil zu sein, sagte WHO-Experte Michael Ryan in Genf. Außerhalb Chinas sind in mehr als zwei Dutzend Ländern über 270 Infektionen und zwei Todesfälle bisher bestätigt.

Erstmals Italiener an Coronavirus erkrankt

Zum ersten Mal ist auch ein Italiener am Coronavirus erkrankt. Der am Montag mit einer Gruppe aus 56 italienischen Studenten und Unternehmern aus der chinesischen Krisenstadt Wuhan zurückgekehrte Mann wurde in Rom positiv auf das Coronavirus getestet, wie die Gesundheitsbehörden in Rom in der Nacht auf Freitag berichteten. Der Patient sei leicht fiebrig. Mit ihm im Spallanzani-Spital liegt, weiterhin in stationärem Zustand, das chinesische Ehepaar, das vor acht Tagen positiv auf das Virus getestet worden war.

Weiter unter Quarantäne sind die zwei Kreuzfahrtschiffe mit rund 7.000 Menschen an Bord in Japan und Hongkong. Auf der „Diamond Princess“ vor Yokohama wurden weitere 41 Infektionen festgestellt, damit erhöhte sich die Zahl auf 61. Die Betroffenen wurden in Krankenhäuser gebracht. Die übrigen der insgesamt 2.666 Passagiere sowie 1.045 Crewmitglieder sollen bis 19. Februar an Bord bleiben. Auf dem Schiff in Hongkong mit mehr als 1.800 Passagieren und 1.800 Crewmitgliedern laufen die Untersuchungen. Bei drei Passagieren, die im Jänner mit der „World Dream“ gereist waren, war das Virus festgestellt worden.

Suche nach Ursprung geht weiter

Unterdessen geht die Suche nach dem Ursprung des Virus weiter. Wissenschaftler der südchinesischen Agraruniversität vermuten nun, dass das Pangolin-Schuppentier ein Zwischenwirt in der Ansteckungskette sein könnte. Die mit Hornschuppen bedeckten Säugetiere werden illegal gehandelt. Ihr Fleisch gilt in Asien als Spezialität. Allerdings gibt es auch Zweifel an den Erkenntnissen der Wissenschaftler.

Andere Theorien gingen von Fledermäusen oder Schlangen als Überträger aus, wobei auch die Schlangen angezweifelt werden. Es wird vermutet, dass der Erreger der Lungenkrankheit auf einem Markt in der zentralchinesischen Stadt Wuhan von einem Wildtier auf den Menschen übergegangen ist.