CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer
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Thüringen-Affäre

Kramp-Karrenbauer will CDU-Vorsitz abgeben

Knalleffekt in Deutschland: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer verzichtet auf eine Kanzlerkandidatur und wird auch den Parteivorsitz abgeben. Das habe Kramp-Karrenbauer am Montag im CDU-Präsidium mitgeteilt, sagte ein CDU-Sprecher in Berlin. Auslöser ist die Affäre um die Wahl des Ministerpräsidenten im deutschen Bundesland Thüringen.

Kramp-Karrenbauer wolle „zum Sommer den Prozess der Kanzlerkandidatur organisieren, die Partei weiter auf die Zukunft vorbereiten und dann den Parteivorsitz abgeben“, hieß es am Montag aus CDU-Kreisen. Sie habe sich entsprechend im CDU-Präsidium geäußert. Die Parteispitze wurde laut Angaben aus der CDU nicht vorab über ihren Schritt informiert.

Im Präsidium habe Kramp-Karrenbauer gesagt, dass es „ein ungeklärtes Verhältnis von Teilen der CDU mit AfD und Linken“ gebe. Sie sei „strikt gegen eine Zusammenarbeit mit AfD und Linke“, habe Kramp-Karrenbauer gesagt. Zudem sei es für sie „offensichtlich, dass Parteivorsitz und Kanzlerschaft sowie Kanzlerkandidatur in eine Hand gehörten“, hieß es. Deshalb erklärte sie, dass sie keine Kanzlerkandidatur anstrebe.

Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel
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Merkel will Kramp-Karrenbauer weiter als Verteidigungsministerin. Für die CDU-Spitze muss die Partei wieder suchen.

Merkel für Verbleib als Verteidigungsministerin

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Kramp-Karrenbauers Vorgängerin als CDU-Chefin, habe Kramp-Karrenbauer für deren Arbeit gedankt und betont, dass sie Verteidigungsministerin bleiben solle. Diese Position will Kramp-Karrenbauer laut Regierungsprecher Steffen Seibert auch behalten. Die nächste reguläre Bundestagswahl steht in Deutschland erst im Herbst 2021 auf dem Programm.

Kramp-Karrenbauer hatte Ende 2018 den Parteivorsitz von Merkel übernommen. Sie wurde für zwei Jahre gewählt, eine Neuwahl des CDU-Vorstandes steht am Bundesparteitag Ende des Jahres an. Merkel, die Deutschland seit 2005 regiert, will bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr kandidieren.

Suche nach Kanzlerkandidaten

Aus CDU-Kreisen heißt es nun, dass Kramp-Karrenbauer so lange die Partei führen soll, bis ein geeigneter Kanzlerkandidat gefunden ist. In Zukunft sollen Spitzenkandidat und Parteivorsitz wieder in einer Hand liegen. Immer wieder genannt wurde etwa der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn. Dieser zollte Kramp-Karrenbauer „großen Respekt“: „Die Trennung von Parteiführung und Kanzleramt war eine schwierige Situation.“ Es sei ihr Verdienst, CDU und CSU wieder zusammengeführt zu haben.

Annegret Kramp-Karrenbauer mit Jens Spahn und Friedrich Merz
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2018 konnte sich Kramp-Karrenbauer gegen Parteikollegen Spahn (li.) und Merz (re.) für den CDU-Vorsitz durchsetzen

Der Meinungsforscher Manfred Güllner sieht allerdings Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) als aussichtsreichsten Kandidaten – aufgrund seines „politischen Kurses und der Akzeptanz in der Mitte“. Das traue er dem – ebenfalls immer wieder ins Spiel gebrachten – ehemaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz nicht zu. Güllner: „Er ist im Augenblick der Liebling der AfD-Anhänger.“ Merz äußerte sich nach Kramp-Karrenbauers Rücktritt bisher nicht inhaltlich: „In so einer Situation ist kluges Nachdenken wichtiger, als schnell zu reden.“

Söder: „Aufstellung der CDU klären“

Der CSU-Vorsitzende Markus Söder bedauerte Kramp-Karrenbauers Rückzug, pochte aber auf eine grundsätzliche Klärung der „inhaltlichen und personellen Aufstellung der CDU“. Die rechtskonservative CDU-Parteigruppierung Werteunion wünscht sich für die Kanzlerkandidatensuche eine Mitgliederbefragung. Entscheidend sei, dass es keine lange Hängepartie gebe und sich auch Konservative und Wirtschaftsliberale mit dem Kandidaten identifizieren können. Für die Werteunion ist die CDU unter Merkel und Kramp-Karrenbauer zu weit nach links gerückt.

Als „falsch“ bezeichnete der CDU-Europapolitiker Elmar Brok den Rücktritt Kramp-Karrenbauers: „(…) deswegen ist mir nur noch schlecht.“ Für die Staatskrise in Thüringen sei nicht Kramp-Karrenbauer verantwortlich.

Unruhe beim Koalitionspartner

In der SPD, Regierungspartner der Union auf Bundesebene, gibt es nun Befürchtungen wegen eines möglichen Rechtsrucks der Christdemokraten. Außenstaatsminister Michael Roth (SPD) nannte die Entwicklungen in der CDU „beunruhigend“. Es werde jetzt „noch ungewisser, ob anständige Demokratinnen und Demokraten parteiübergreifend zusammenstehen im Kampf für Demokratie und gegen Nationalismus“.

Er spielte damit offensichtlich auf Äußerungen einiger CDU-Politiker an, die das Nein der Partei zu einer Zusammenarbeit mit der AfD infrage stellen. Der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel erwartet baldige Neuwahlen. Die deutsche Regierung sei erneut „paralysiert“.

Sorge vor Machtvakuum

Grünen-Chefin Annalena Baerbock erwartet nun ein größeres Machtvakuum und spricht von einer „dramatischen Situation“. Auch Katja Kipping, Parteichefin der oppositionellen Linken, befürchtet, dass die CDU nun Kurs auf eine Koalition mit der AfD nehme. Kramp-Karrenbauer habe bisher die Abgrenzung der Union nach rechts gehalten: „Der Kampf um AKKs (Annegret Kramp-Karrenbauer, Anm.) Nachfolge wird eine Richtungsauseinandersetzung.“

Entsprechend erfreut zeigte sich AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland. Nach Kramp-Karrenbauers Rücktritt sehe er nun Chancen für eine Annäherung von AfD und CDU. Kramp-Karrenbauer habe „die CDU mit ihrem Ausgrenzungskurs ins Chaos gestürzt“.

Weiter Taktieren in Thüringen

Im Thüringen-Debakel wurden unterdessen am Wochenende zwar Weichen gestellt, aber noch keine Lösungen präsentiert. Die AfD brachte ein Manöver ins Spiel, um Rot-Rot-Grün zu verhindern. Aber auch die anderen Parteien taktieren bereits.

Nach drei Tagen erklärte Thomas Kemmerich (FDP) am Samstag seinen sofortigen Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten, in das er mit den Stimmen der AfD gewählt worden war. Der Schritt, den er am Freitag noch abgelehnt hatte, erfolgte gleichzeitig mit dem Treffen des Koalitionsausschusses in Berlin, bei dem die Spitzen von Union und SPD mit der deutschen Bundeskanzlerin Merkel über Thüringen berieten.

Jetzt gehe es darum, schnell für stabile und klare Verhältnisse zu sorgen, hieß es in einem Beschluss des Koalitionsausschusses. Als nächster Schritt müsse „umgehend ein neuer Ministerpräsident im Landtag gewählt“ werden. „Aus Gründen der Legitimation der Politik“ seien unabhängig davon „baldige Neuwahlen“ erforderlich. Die Parteien der Großen Koalition bekräftigten: „Regierungsbildungen und politische Mehrheiten mit Stimmen der AfD schließen wir aus.“

AfD-Taktik gegen Rot-Rot-Grün

Die AfD hingegen brachte sich bereits erneut in Stellung. Gauland, hatte der Thüringer AfD empfohlen, bei einer neuerlichen Ministerpräsidentenwahl den Ex-Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) zu wählen, „um ihn sicher zu verhindern“. Er dürfte das Amt dann nicht annehmen, wenn er Stimmen von der AfD erhalte, so Gauland. Der Thüringer AfD-Fraktionsgeschäftsführer Torben Braga sagte jedoch am Sonntag, dass er nicht davon ausgehe, dass auch nur ein Abgeordneter der Partei für Ramelow stimmen werde.

Die Linke in Thüringen verurteilte die von Gauland angekündigte Taktik zur Verhinderung von Rot-Rot-Grün. Der AfD gehe es „überhaupt nicht um die Demokratie“, schrieb Ramelow im Kurzbotschaftendienst Twitter. „Vor dem Rücktritt Kemmerichs wollte man mich aus dem Amt jagen und nun wählen? So agieren Demokratieverächter!“ Gaulands Aufforderung zeige die Absicht der AfD, „die demokratischen Institutionen kaputtzumachen“, sagte Thüringens Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow.

Sitzverteilung im Landtag (Tortengrafik)
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Ramelow werde daher erst wieder als Kandidat aufgestellt, „wenn wir eine demokratische Mehrheit garantieren können“. Die Linke will dazu das Gespräch mit CDU und FDP suchen. Der Linken-Bundesvorsitzende Bernd Riexinger rief die CDU auf, Ramelows Wiederwahl zu ermöglichen. Die Linke sei nicht gegen Neuwahlen in Thüringen, bei denen sie laut Umfragen deutlich zulegen könnte, sagte Riexinger am Sonntag. Kurzfristig wäre es aber die bessere Lösung, Ramelow würde erneut ins Amt gewählt.

Lindner fordert „unabhängige Persönlichkeit“

SPD und Grüne beharren auf der Wahl des Linken-Politikers Ramelow zum Thüringer Ministerpräsidenten – zumindest für eine Übergangszeit bis zu Neuwahlen. Das machten die Bundesvorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken deutlich. Sie forderten CDU und FDP auf, für die dafür notwendige Mehrheit im Landtag zu sorgen.

Die SPD stellte sich damit gegen eine Forderung des FDP-Chefs Christian Lindner. Dieser schlug vor, „wie seinerzeit in Österreich eine unabhängige Persönlichkeit an die Spitze der Regierung zu wählen“ – gemeint war die nach der „Ibiza-Krise“ zur Bundeskanzlerin ernannte Verfassungsgerichtshof-Präsidentin Brigitte Bierlein. Auch CDU-Vizechef Volker Bouffier sprach sich in Thüringen für einen unabhängigen Experten als Übergangsministerpräsidenten aus.

FDP-Chef Christian Lindner
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FDP-Chef Lindner will für Thüringen eine „unabhängige Persönlichkeit“ als Regierungsspitze

Ramelow warnte indes vor dem Abgleiten Thüringens in eine fundamentale Staatskrise. Das Land habe nun mit Kemmerich einen geschäftsführenden Ministerpräsidenten ohne Minister und mit Staatssekretären aus den Reihen von Linkspartei, SPD und Grünen. Als zurückgetretener Ministerpräsident könne Kemmerich „weder die Vertrauensfrage stellen noch Minister ernennen“, so Ramelow in der „Bild“-Zeitung (Montag-Ausgabe).

Das sei alles eine einzige Katastrophe. Zugleich streckte Ramelow die Hand in Richtung der bürgerlichen Parteien aus. „Ich werde auch in Abstimmung mit CDU und FDP das Land bis zu Neuwahlen regieren“, versprach Ramelow. Diese seien wegen der Fristen jedoch erst nach der Sommerpause möglich, fügte er hinzu. Für eine Neuwahl ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Rot-Rot-Grün verfügt im Landtag nur über 42 der 90 Sitze.

„Keine Stimmen der CDU für Herrn Ramelow“

Wenn Ramelow wieder Ministerpräsident werden möchte, benötigt er bei der Abstimmung eine Mehrheit. Rot-Rot-Grün fehlen dazu aber vier Stimmen. Daher braucht Ramelow in den ersten beiden Wahlgängen, in denen die absolute Mehrheit nötig ist, Stimmen von CDU und FDP. Stimmen für Linken-Politiker widersprächen allerdings dem Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der eine Zusammenarbeit mit Linkspartei und AfD verbietet.

„Es wird keine Stimmen der CDU für Herrn Ramelow oder jemand anders von der Linken geben, um Ministerpräsident zu werden“, bekräftigte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak am Sonntagabend im ZDF. „Herr Ramelow hat keine Mehrheit in diesem Parlament, und deswegen gibt es auch keine Unterstützung für Herrn Ramelow von der CDU.“